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"Der Iran kann sich mit Terror-Angriffen rächen"

Heute Redaktion
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Kommt es nach dem US-Raketenangriff auf einen iranischen General zum Krieg? Sicherheitsexperte Alexandre Vautravers beurteilt den eskalierenden Konflikt.

Herr Vautravers*, der hochrangige iranische General Qassem Soleimani kam bei einem US-Raketenangriff in Bagdad ums Leben. Was sind die möglichen Konsequenzen des Angriffs?

Auf lokaler Ebene demonstrieren die USA zunächst, dass sie die Machtbalance im Irak beeinflussen wollen, indem sie den iranischen Einfluss zurückdrängen und die vor Ort populären schiitischen Milizen – dieselben, die 48 Stunden zuvor die amerikanische Botschaft in Bagdad angegriffen haben – schwächen.

Auf globaler Ebene zeigen die Vereinigten Staaten damit, dass sie über nachrichtendienstliche und zielgerichtete Angriffsmöglichkeiten in der gesamten Region verfügen. Mit dem Angriff schüren die Amerikaner aber den schon seit 1979 andauernden Konflikt mit der Islamischen Republik Iran.

Und natürlich gibt es wichtige wirtschaftliche Konsequenzen für alle Akteure in der Region, insbesondere durch den Anstieg des Ölpreises.

Der religiöse und politische Führer des Iran, Ajatollah Ali Khamenei, sagte, der Widerstand gegen die USA und Israel werde nun "mit doppeltem Ansporn" weitergehen. Wie wird der Iran reagieren?

Die USA verfolgen eine direkte Strategie, weil sie über die finanziellen und militärischen Mittel verfügen. Der Iran geht indirekt vor: Gegen US-Interessen oder Verbündete in der Region kann es daher zu Vergeltungsmaßnahmen kommen. Etwa mit Drohnen oder Raketen, Angriffen mit Autos oder LKW, der Zerstörung von Handelsschiffen oder Geiselnahmen.

Gerade die Streitkräfte von General Soleimanis, die al-Quds-Brigaden, sind für solche Angriffe trainiert. Durch den Angriff auf ihren Oberbefehlshaber sind sie beinahe gezwungen, zu handeln. Wie ihre Reaktion ausfällt, ist aber noch schwer abzuschätzen.

Was würde eine weitere Eskalation der Auseinandersetzung für den Nahen Osten bedeuten?

In naher Zukunft wird es wohl keinen Flächenbrand geben, da einige regionale Akteure noch zögern, sich für oder gegen die USA zu positionieren. Die umfangreiche militärische Aufrüstung in der Region kann jedoch – wie bereits in der Vergangenheit – zu schwerwiegenden Zwischenfällen führen. Diese Situation wird voraussichtlich bis zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen anhalten.

Donald Trump setzte sich für einen Truppenabzug der Amerikaner aus dem Nahen Osten ein. Nun provoziert er mit dem Angriff auf einen iranischen General. Wie passt das zusammen?

Zwar setzt sich Trump für einen Rückzug der amerikanischen Truppen vor Ort ein. Gleichzeitig steht er aber für einen gezielteren und entschiedeneren politischen Interventionismus.

Haben die USA mit der Tötung einen Präzedenzfall geschaffen?

Diese gezielten Luftangriffe sind nicht neu. Sie bildeten schon 1999 die Grundlage für die Kampagne gegen den ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic in Serbien und 2003 gegen Saddam Hussein im Irak. In der Militärstrategie spricht man von einem sogenannten "Enthauptungsschlag". Es bezeichnet einen Angriff auf die militärischen Führungsstrukturen des Gegners mit der Absicht, dessen Fähigkeit zum militärischen Gegenschlag einzuschränken.

Muss man in Zukunft mit weiteren solchen Angriffen rechnen?

Vor zehn Jahren sprach man vor allem über Drohnen. Heute sind sogenannte Hyperschallraketen im Fokus, die jeden Punkt der Erde in wenigen Minuten erreichen können und für die es keine Verteidigungsmöglichkeiten gibt. Aber es ist nicht das Werkzeug oder die Waffe, die zählt, sondern die Art und Weise, in der sie eingesetzt wird. Die USA zeigen, dass sie eine Weltmacht bleiben und den irakischen Luftraum nach Belieben betreten und verlassen können.

*Alexandre Vautravers ist Leiter des von ihm entwickelten Programms für Globale Sicherheit und Konfliktlösung an der Universität Genf. Er forscht und publiziert zu den Bereichen internationale Beziehungen und Sicherheitsfragen, Entwicklung von bewaffneten Konflikten, Technologie und Rüstungsindustrie.

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