Politik

"Der Kanzler ist nicht mutig genug"

Heute Redaktion
14.09.2021, 16:47

Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll im Heute-Interview. Ohne ihn läuft in der ÖVP gar nichts: Erwin Pröll (64) ist einer der mächtigsten Politiker Österreichs. Heute traf den Radlbrunner in seinem Büro in St. Pölten zum Gespräch über den Stillstand in der Bildungspolitik, das miserable Image der Volksvertreter, über Korruption und Lobbyisten sowie die Reichensteuer.

Heute: Die Justiz ermittelt gegen die Hälfte der schwarz-blauen Regierung. Ist die Politik schmutziger geworden?

Pröll: "Man kann sich im Parlament noch so viele Gesetze zur Korruptionsbekämpfung überlegen. Wenn jemand ein Gauner ist, wird er auch einen Weg finden,das schärfste Gesetz zu umgehen."

Gibt es heute zu viele Gauner in der Politik?

"Ja! Es hat viele Gauner in die Politik gespült, die aufgrund ihrer persönlichen Wertestruktur nicht in der Lage waren, verschiedensten Verlockungen des Lebens zu widerstehen. Schon bei der Auswahl der Politiker muss auf ihren Charakter geachtet werden. "Mein" und "Dein" zu unterscheiden, ist das Mindeste."

Früher gab es auch viel weniger Lobbyisten.

"Das ist mit Sicherheit auch ein Grund. Es sind Berufe entstanden, die sich im Dunstkreis von Korruption entwickelt haben. Es ist aber auch leichter geworden, Millionen einzustecken am Rande der Legalität, um auf krummem Weg reich zu werden."

Sie fordern mehr Mut in der Bundesregierung. Warum gehen Sie nicht selbst in den Bund?

"Ich habe in Niederösterreich eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Aber die aktuelle Debatte - wie die Frage der Besteuerung von Spitzenverdienern - zeigt, dass es gut ist, wenn Landespolitiker ihr politisches Gewicht in die Bundespolitik einbringen."

Wie kann der Stillstand ohne Neuwahl überwunden werden?

"Ich hoffe auf den 21. Oktober. Kanzler und sein Vize haben die Landeshauptleute eingeladen, um über Reformen zu verhandeln."

Woran krankt es in der Bildungspolitik?

"Nun, ich höre von der zuständigen Ministerin (Claudia Schmied, SP, Anm.) fast jede Woche eine Ankündigung. Allein, es ändert sich nichts. Schon vor einem Jahr haben Bundesländer und Regierung an einer echten Reform gearbeitet. Als es dann an die Umsetzung ging, hat der Bundeskanzler das Ende der Debatte ausgerufen. Offenbar ist er nicht mutig genug, auch gegen innere Widerstände Reformen durchzusetzen."

Gibt es zu viele feige Politiker?

"Das Nach-dem-Mund-Reden und Sich-Ducken ist nicht die Grundlage, auf der man gewählt wird. Viele Politiker übersehen, dass die Menschen viel klüger sind, als manche meinen."

Die Finanzministerin kanzelte Ihren Vorschlag nach einer Solidarabgabe von Spitzenverdienern als Hüftschuss ab. Wie belastet ist Ihr Verhältnis zu Maria Fekter?

"Gar nicht! Die Diskussion mit Fekter ist doch ein Zeichen von Leichtigkeit und nicht von politischer Feindschaft. Meine Antwort, 'Ein guter Schütze kann auch aus der Hüfte treffen', kam gut an."

Sind mittlere Einkommen zu hart besteuert?

"Ja. Deshalb bin ich für eine Solidarabgabe von Spitzenverdienern - um Spielraum zu bekommen und kleine wie mittlere Einkommen zu entlasten. Dabei geht es um das Aufrechterhalten eines sozialen Friedens - ich will nicht, dass es auch bei uns zu Jugendkrawallen wie in London und Banken-Protesten wie in New York kommt."

Fekter will die Leistungsträger schützen. Dabei meint sie die Vermögenden ...

"Schon bei mir am Bauernhof hat es geheißen: 'Die Kuh, die man melkt, muss man gut füttern.' Das ist ein Grundsatz in jeder Gesellschaft. Den sozialen Frieden dürfen wir aber nie gefährden."

Es gibt neue Nachrichten auf Heute.atZur Startseite