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"Der letzte Mentsch": Interview mit Mario Adorf

Heute Redaktion
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"Wiedergutmachung ist eigentlich unmöglich", sagt Mario Adorf, der im Film "Der letzte Mentsch" einen jüdischen Holocaust-Überlebende spielt. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa in München schildert der 83-jährige Schauspieler die Scham, die er als junger Mann empfand, als ihm nach dem Zweiten Weltkrieg das ganze Ausmaß der Nazi-Verbrechen und des Holocaust bewusst wurde.

"Wiedergutmachung ist eigentlich unmöglich", sagt , der im Film  "Der letzte Mentsch"  (der heute, am 8. Mai, in den österreichischen Kinos startet) einen jüdischen Holocaust-Überlebende spielt. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa in München schildert der 83-jährige Schauspieler die Scham, die er als junger Mann empfand, als ihm nach dem Zweiten Weltkrieg das ganze Ausmaß der Nazi-Verbrechen und des Holocaust bewusst wurde.

dpa: Sie spielen einen Mann, der seine Erinnerungen an den Holocaust komplett abgekapselt hat. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum er das getan hat?

Mario Adorf: Diese Verdrängung kommt aus einem Schamgefühl, aus einem Gefühl des Missbrauchs. Auch missbrauchte Kinder verdrängen ihre Erfahrungen und können nicht darüber reden. Die Verdrängung hängt auch vom Grad der Verletzung ab. Bei Menahem Teitelbaum war es nicht die Scham für irgendetwas, es war die Erinnerung an schreckliche Erfahrungen. Als 15-Jähriger war er dabei, als sein eigener Vater erschossen wurde.

Können Sie seine Reaktion verstehen, dass er einen Teil der Vergangenheit völlig ausblendet?

Verdrängung ist keine Lösung. Irgendwann gibt es den Punkt, an dem er das auch erkennt. Beim Besuch des jüdischen Friedhofs kommt er darauf, dass er sich zu seiner ursprünglichen Identität bekennen sollte. Man muss auch verstehen, dass das Eingestehen, das Mitteilen eine große Schwierigkeit bedeuten, dass manche das eben nicht können. Ich kann auch keine Lösung anbieten. Es ist ein psychologischer Prozess, der nicht steuerbar ist. Ich glaube, das ist schwer zu beurteilen für jemanden, der diese Erfahrungen nicht selber in diesem Maße gemacht hat.

Warum erinnert er sich plötzlich doch an seine jüdische Herkunft?

Es scheint so, dass im Alter dieses Bewusstsein und der Wunsch auftauchen, doch wieder zu den Wurzeln zurückzukehren. Das mag ein Bedürfnis sein, das alte Menschen haben können.

Sie wurden 1930 geboren und haben den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg als Kind und als Jugendlicher erlebt. Wie sind Sie mit diesen Erlebnissen umgegangen?

Als die Amerikaner einmarschiert sind, habe ich das nicht als Befreiung empfunden, es war ein stummes, niedergeschlagenes Erkennen: Niederlage. Das war die allgemeine Haltung damals. Danach kam die Aufklärung: Was war unter den Nazis alles passiert? Das war eigentlich die bitterste Erfahrung, die Enttäuschung, dass man einer Ideologie nachgelaufen ist. Man war Mitläufer, Mitmacher. Man hat mitgemacht, aber man hat alles, was da sonst noch war, nicht gewusst. Man fühlte sich betrogen, missbraucht. Das war eine wesentliche Phase, zu erfahren, was da passiert war. Das war ein jahrelanger Prozess. Manche Leute haben diese Erkenntnis wieder sehr schnell vergessen oder wollten nichts davon wissen. Ich habe darunter aber wirklich jahrelang gelitten.

Was war das Schlimmste an dieser Erkenntnis?

Das war natürlich der Holocaust, der sich ja nun auch angekündigt hatte. Ich habe selber noch ein Bewusstsein, als ich mit neun Jahren die Kristallnacht in Mayen erlebte. Das Verbrennen der Synagoge. Und den Abtransport der Juden. Aber damals hat man daraus keine Konsequenz gezogen. Die Juden waren einfach nicht mehr da, darüber wurde nicht mehr gesprochen. Und es war kein Bewusstsein da, warum sie weg waren und wohin sie verschwunden sind. Das war ein Teil Verdrängung von denen, die etwas gewusst haben, und es war das große Unwissen der Mehrheit, die sich keine Gedanken darüber gemacht haben. Die Leute hatte ja auch andere Sorgen, vor allem als der Krieg ausbrach. Die schlimmste Erfahrung war natürlich nach dem Krieg die Erkenntnis, welche Verbrechen die Nazis begangen haben.

Wenn Sie diese Ereignisse aus der Perspektive ihrer Figur sehen, kann überhaupt gut gemacht werden, was damals geschehen ist?

Wiedergutmachung ist eigentlich unmöglich. Daran glaube ich gar nicht. Wie soll das wiedergutgemacht werden? Die Konsequenz muss sein, dass es nicht wieder passieren darf. Das ist auch der Grund, warum solche Filme überhaupt gemacht werden müssen. Das Bewusstsein dieser Ereignisse darf nicht einschlafen und der Vergessenheit anheim fallen. Aber es ist auch kein Holocaustfilm, sondern ein heutiger Film. In der Figur der Gül wird der Bezug zur jungen Generation hergestellt. Dadurch entsteht gegenseitiges Verständnis. Die junge Frau versteht den Alten und umgekehrt. Das ist, wenn man so will, die Botschaft des Films.

APA/dpa