Wirtschaft

"Die fetten Jahre sind noch nicht vorbei…"

Heute Redaktion
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Warum Österreichs Wirtschaft besser ist als die deutsche und wie wir mit dem heimischen Standort international punkten können: Neun hochkarätige Manager diskutierten beim "Heute"-Gipfel.

Ereignisreiche Tage: Zum Zeitpunkt dieses Gipfelgesprächs war Hartwig Löger Finanzminister dieser Republik, kurz danach Vizekanzler, wenig später kurzzeitig ganz den Politjob los, um schließlich für einige Tage Kanzler zu werden.

Im Gipfelgespräch mit Top-Managern skizzierten der Minister und Wiens Stadtrat Peter Hanke ihre Sicht der Lage der

Wirtschaft. Die Fragen stellte "Heute"-Chefredakteur Christian Nusser.

"Heute": Darf ich mit der politischen Situation nach den Ibiza-Videos beginnen – was erwartet uns in den nächsten Wochen?

Hartwig Löger: Natürlich eine Vielzahl intensivster Gespräche. Im September wird es zu Neuwahlen kommen. Wenn solch beschämende Dinge mit besorgniserregendem Inhalt zutage treten, dann gibt es keine Alternative, hier einen Neuanfang starten zu müssen. Es ist schockierend, weil eine Regierung angetreten ist im Sinne der Veränderung für Österreich, mit richtigen Schritten in Richtung Wirtschaft und Standort. Es ist auch klar, dass das, was in dem Video dargestellt wird, schnell klar aufgearbeitet werden muss, sonst haben wir für einen Standort Österreich eine Diskussion, die wir nicht führen sollten, im Sinne der Verwebung Wirtschaft und Politik in der unangenehmen Form.

Investitionen in die Infrastruktur, in 5G und in die Lehrlingsausbildung

Peter Hanke (Wiener Finanz- und Wirtschaftsstadtrat): Das macht auch mir große Sorge, das gebe ich zu, weil wir beide nicht in der Politik sozialisiert wurden, sondern in der Wirtschaft gearbeitet haben. Die Politik kann in diesem Land sehr, sehr viel tun, aber man muss aufpassen, dass das nicht in die falsche Richtung geht. Ich bin in erster Linie froh, dass dieser Schritt so klar gemacht wurde, um aufzuzeigen, dass man willens ist, einen anderen Weg zu gehen. Wir in Wien sehen ja relativ gute Zeiten, es entwickelt sich in die richtige Richtung. Ich warne natürlich auch, dass man sich mit einem Dauerwahlkampf ein zartes Pflänzchen zerstören kann.

"Heute": Wie erlebt man das in der Wirtschaft?

Marcus Grausam (A1 Telekom Austria): Speziell in den letzten Monaten wurden tolle Vorhaben gestartet, es gibt eine 5G-Strategie, es gibt eine klare Breitband-Strategie bis hin in den Ausbildungsbereich, wo man diese Themen in die Lehrlingsausbildung aufnimmt. Wenn man die Ereignisse in Ibiza Revue passieren lässt, hoffe ich nur, dass es nicht zu einem Stillstand kommt.

Julian Jäger (Flughafen Wien): Wir wollen bald eine funktionsfähige Regierung, die Investitionen in die Infrastruktur, nicht nur am Flughafen, unterstützt. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es beim Buchungsverhalten kleine Auswirkungen gibt. Jedoch nichts, was die Airlines und uns in dem großartigen Jahr beeinträchtigen wird.

Sandra Bauernfeind (EHL Wohnen): Wir merken, dass die Baubewilligungs- und Fertigstellungszahlen in den letzten Jahren stark nach oben gegangen sind. Ich glaube nicht, dass wir dieses Niveau halten werden, denn das war schon außergewöhnlich. Ein gesundes Wachstum im privaten wie auch gemeinnützigen Wohnbau ist einfach notwendig, um die Bevölkerung gut mit Wohnraum zu versorgen.

"Heute:" Ein "Spiegel"-Titel hat geheißen: "Die fetten Jahre sind vorbei!" – Stimmt das?

Udo Birkner (HYPO NÖ und Wien): Wir glauben nicht, dass die fetten Jahre vorbei sind. Wir sehen weiter eine sehr robuste Entwicklung. Österreich ist vorbildlich in der EU, was die wirtschaftlichen Zahlen betrifft. Wir haben wenig Langzeitarbeitslose, wenig Jugendarbeitslose, und als Bank bauen wir auf ein sehr enges Verhältnis mit dem Wohnbau.

Wien ist ein hochattraktiver Markt für Bauprojekte und Unternehmen

Andreas Fleischmann (Raiffeisen Holding NÖ-Wien): Wir sehen das ähnlich, wenngleich mit einer gewissen Abschwächung international. Das macht auch vor Österreich nicht halt. Trotzdem glauben wir an ein positives Jahr.

Erich Forster (Westbahn): Wenn man mit manchen Cargo-Unternehmen spricht, dann merkt man, dass die Rohstofftransporte geringer anfallen. Das sind in der Regel Anzeichen, wo man nach eineinhalb Jahren die Konjunkturauswirkungen sieht. Wir hängen stark an Deutschland, wo die Konjunktur einen Dämpfer bekommen hat.

"Heute": Stichwort Deutschland: Herr Riedl, mit deutschem Eigentümer sind Sie international viel unterwegs. Sehen Sie das ähnlich?

Daniel Riedl (Vonovia, vormals Buwog): Ich sitze im Vorstand in einem DAX30-Unternehmen und sehe es im Wohnbau nicht gesetzt, dass Österreich von Deutschland abhängig ist. Wir entscheiden, wo Kapitalallokation sinnvoll ist. Für uns ist Wien ein hochattraktiver Markt, vor allem in der Projektentwicklung, im Bau von neuen Wohnungen. Allerdings ist es wahnsinnig schwierig, zu Grundstücken zu kommen, sonst würden wir noch viel mehr Kapital hierher verlagern. Aktuell einen Politiker zu finden, der sich für Immobilieneigentümer einsetzt, ist ein bisschen schwierig.

"Heute": Herr Bondi, Sie hätten doch ein größeres Grundstück, die Siemens-Gründe?

Anton Bondi de Antoni (Bondi Consult): Wir machen ausschließlich Gewerbe, ich kann Daniel Riedl leider nichts anbieten, wir haben dort eine Industriewidmung. Es ist eine der wenigen Liegenschaften, wo ich noch Lärm machen, wo ich stinken und wo ich 24 Stunden mit dem Auto fahren darf.

"Heute": Was kommt denn dort hin?

Bondi: Wenn es uns gelingt, die Genehmigung zu bekommen, dort alles abzubrechen, was wir wollen, dann kommen ein großes Bürogebäude, ein 30.000 m2 großes Data-Center und ein Multifunktionsgebäude hin.

Deutschland tut sich schwer mit Infrastrukturprojekten

"Heute": Die Reisebranche ist ja eine, die relativ schnell merkt, wenn's abwärtsgeht. Merkt man Veränderungen?

Wolfgang Lackner (Europäische Reiseversicherung): Wir hatten zwei Jahre extreme Zuwachsraten, heuer geht es verhalten dahin, die Leute sind vorsichtiger. Die Deutschen jammern, sie haben durchaus signifikante Rückgänge im Outgoing-Tourismus. Sie führen das zurück auf die Diskussionen rund um den Handelsstreit, wie geht es mit der KFZ-Wirtschaft weiter, was passiert mit dem Brexit. Für die Versicherungswirtschaft gibt es natürlich ein Thema, das ist Pflege und Vorsorge. Für die Zukunft wäre es wichtig, da Antworten zu haben.

Löger: Deutschland schwächt sich momentan selbst, teilweise gerade im KFZ-Bereich mit überbordender Regulierung, etwa beim Dieselthema. 70 Prozent der Fahrzeuge, die in Amerika produziert und nach China exportiert werden, sind deutsche Autos. Und die Gewinne daraus werden auch in Deutschland entsprechend eingeheimst. Deutschland spürt natürlich diese Abhängigkeit auf internationaler Ebene. Die Erkenntnis ist: Deutschland tut sich selbst schwer, Infrastrukturprojekte auf den Weg zu bringen, weil sie selbst nicht mehr imstande sind. Österreich hat es über viele Jahre geschafft, sich von Deutschland unabhängiger zu machen.

Großbetriebe in Österreich sind in Deutschland kleine Mittelbetriebe

"Heute": Reden wir uns schlechter, als wir eigentlich sind?

Birkner: Wir profitieren von einer kleinteiligen Wirtschaft. Man darf nicht vergessen, dass Großbetriebe in Österreich in Deutschland kleine Mittelstandsbetriebe sind, die sich wesentlich leichter flexibel anpassen können.

Löger: Es ist nahezu unglaublich, was wir quer durch Österreich für eine Kraft haben, der wir uns selber gar nicht so bewusst sind. Ich spreche da gerne von der Entzwergung Österreichs. Wir haben Unternehmen, die sind Weltmarktführer in Bereichen. Da gilt es auch, etwas mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln, gerade in einer Phase, wo es etwas schwierig wird.

Grausam: Wenn man jetzt Richtung Deutschland blickt – in Österreich sind die Frequenzen schon lange versteigert –, ist man in einer Frequenzauktion, die bei über 5 Mrd. Euro steht. Jeder Euro, den man zu viel in einer Auktion bezahlt, fehlt nachher im Ausbau. In einigen Ländern werden wir noch Auswirkungen in der Infrastruktur sehen.

Riedl: Unser zentrales Problem im Wohnbau ist, dass die Preisentwicklung kein Äquivalent in der Einkommensentwicklung findet. Vor drei Jahren haben wir am Wiener Hauptbahnhof Objekte fertiggestellt und für 3.500 Euro verkauft. In der Zwischenzeit sind die Preise dort bei 5.500 bis 8.000 Euro. Wir bauen daher aktuell in der Seestadt für 3.500 bis 4.000 Euro, weil wir in dem Preisband bleiben müssen, das Leute gerade noch schaffen können.

Nachfrage nach Wohnungen von Investoren getragen

"Heute": Wer kauft dann noch?

Riedl: Die Nachfrage von Eigennutzern wird durch die von Investoren abgelöst.

Bondi: Der Gewerbebereich ist da ganz anders gestrickt. Alte Bürogebäude werden nicht mehr angenommen. Der Lebenszyklus in meinem Bereich ist 30 Jahre, dann muss ich es wieder wegreißen.

"Heute": Versucht uns die internationale Finanzwelt auch den Markt zu erklären?

Fleischmann: Ja, das gibt's natürlich immer wieder. Da braucht man jedoch ein gewisses Selbstbewusstsein, bei den österreichischen Banken gibt es ja sehr hohe Expertise. Natürlich drängt auch die deutsche Konkurrenz herein, die die gute wirtschaftliche Struktur und damit auch die niedrigen Risikokosten, die wir haben, sieht.

Löger: Auch ein Grund, warum wir in Österreich besser dastehen als der Schnitt der EU: weil wir in Osteuropa überproportional mitpartizipieren.

Forster: Wir müssen darauf schauen, dass wir unsere Infrastruktur, die grundsätzlich gut ist, sehr viel leistungsfähiger machen. Wir haben derzeit bei der Sicherungstechnologie noch relativ alte Systeme im Einsatz. Wir fahren etwa bei der Wiener Schnellbahn mit einer Technologie, die 70 Jahre alt ist.

Steuerreform aus der Sicht der Wirtschaft ist gut und wichtig

Hanke: Wir investieren in Wien über 3,5 Mrd. allein, um diese Infrastrukturthemen strukturell weiterzuentwickeln.

Lackner: Es stimmt, die österreichische Banken- und Versicherungswirtschaft ist in Osteuropa sensationell aufgestellt. Für so ein kleines Land so eine riesige Präsenz, da haben wir nachhaltig viele Chancen. Auch im Tourismus sind die KMU in Österreich sensationell aufgestellt, es mangelt nur da und dort am Selbstbewusstsein.

"Heute": Ganz gute wirtschaftliche Entwicklung, aber etwas abflauend, da wäre eine Steuerreform nicht schlecht, oder?

Löger: Wir sehen in Österreich den Bedarf, auch in Richtung Wirtschaftsstandort Rahmensituationen zu verbessern. Unter diesem Ansatz ist es eines der großen Ziele, die Steuer- und Abgabenquote in Richtung 40 Prozent zu senken. Daher klare Ansage, dieses Ziel zu verfolgen. Genauso wichtig ist es – da bin ich mitverantwortlich, dass es in Etappen kommt –, Überschüsse zu erzielen, Schulden abzubauen. Und gleichzeitig soll sich Arbeit mehr lohnen. Es muss uns gelingen, mehr Leute in Arbeit zu bringen und auch in der Motivation mehr netto zur Verfügung zu haben. Ich gehe schon davon aus, dass einiges gelingen wird. Auch in einer neuen Regierungskonstellation kann ich mir nicht vorstellen, dass man diesen eingeschlagenen Weg wieder völlig in eine andere Richtung dreht.

Eingeschlagener Weg könnte fortgesetzt werden

Hanke: Prinzipiell halte ich eine Steuerreform aus der Sicht der Wirtschaft für gut und wichtig. Ja, für Steuerreformen wird auch die größte Oppositionspartei immer aufgeschlossen sein. Bei der Körperschaftssteuer wäre es mir lieber, man geht Richtung Vereinheitlichung wie in Europa, damit wir hier nicht einen zusätzlichen Wettbewerb auftun. Bei der Gegenfinanzierung werden wir uns noch anschauen, was da kommt.

"Heute": Ist die Wirtschaft mit dieser Steuerreform zufrieden?

Birkner: Die Steuerreform geht in die richtige Richtung, sie bringt Senkungen. Ich verstehe den Herrn Stadtrat richtig, die europäische Note kann man dann aufgreifen, wenn es zu einer europäischen Vereinheitlichung käme. Man könnte sich ja steuerlich besser positionieren, indem man zum Beispiel auch daran arbeitet, dass das Rating Österreichs dorthin zurückkommt, wo es war. Das sind Dinge, die uns wirklich objektiv helfen würden, wenn im Ausland jemand Standortentscheidungen trifft. Denn andere, die nicht in Österreich aufgewachsen sind, werden sich überlegen, wo sie ihre Standorte hingeben, und dann sollten wir etwas vorweisen können, wo wir tatsächlich einen Vorteil haben.

Von der Entbürokratisierung profitieren Betriebe stark

Lackner: Die Steuerreform steht ja nicht allein, es gibt daneben das Thema Entbürokratisierung, da profitieren wir Wirtschaftsunternehmen am meisten. Jeder Unternehmer ist auch froh, wenn seine Mitarbeiter netto mehr in der Börse haben. Das ist auch in der Wahrnehmung der Mitarbeiter ein ganz entscheidender Punkt.

Jäger: Bei uns gehören schon seit 20 Jahren 10 Prozent der Anteile einer Mitarbeiterstiftung. Heuer kommt auf einen Mitarbeiter rund ein Monatsgehalt zusätzlich zum Einkommen aus Unternehmensgewinnen dazu. Das fördert natürlich auch die Beziehung innerbetrieblich mit den Betriebsräten, die auch ein gutes Verständnis haben, dass alles, was für das Unternehmen gut ist, auch für sie und die Mitarbeiter gut ist.

"Heute": Vielen Dank für die lebhafte Diskussion!

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Blicken positiv in die Zukunft (v.l.n.r.): Andreas Fleischmann (Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien), Wolfgang Lackner (Europäische Reiseversicherung), Udo Birkner (HYPO NÖ), Erich Forster (Westbahn), Peter Hanke (Wiener Finanzstadtrat), Sandra Bauernfeind (EHL Wohnen), Hartwig Löger (da noch Finanzminister), Marcus Grausam (A1 Telekom Austria), Jacqueline Büchi (Chefredakteurin heute.at), Julian Jäger (Flughafen Wien), Anton Bondi de Antoni (Bondi Immobilien), Daniel Riedl (Vonovia). (Foto: Robert Harson) (ek)

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