Österreich

"Ein Sessel überm Klo war mein Aufenthaltsraum"

Heute Redaktion
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Der ehemalige Wiener Schulwart Peter S. (48) erhebt schwere Vorwürfe gegen die MA56.
Der ehemalige Wiener Schulwart Peter S. (48) erhebt schwere Vorwürfe gegen die MA56.
Bild: Denise Auer

Unzählige Überstunden und ein "Pausenraum" am stillen Örtchen. Im Gespräch mit "Heute" übt ein ehemaliger Schulwart massive Kritik an der Stadt Wien.

Im September 2018 startete die FPÖ Wien eine Hotline, bei der Mitarbeiter der Stadt Wien Probleme mit ihrem Arbeitgeber melden können. Darunter war auch der ehemalige Schulwart Peter S. (Name geändert). Der 48-jährige Wiener war von 2010 bis 2018 neun Jahre lang als "Springer" bei der MA56 angestellt, wurde an Schulen eingesetzt, wenn der eigentlich zuständige Schulwart krank war.

Im Gespräch mit "Heute" klagt der ehemalige Schulwart sein Leid. "Die zeitlich unbegrenzten Schulwarte sind fixen Schulen zugeordnet, haben dort auch eine Wohnung, wo sie Mittagessen oder ihre Pausen verbringen können sowie fixe Dienstzeiten. Die Springer haben das alles nicht. Wir wurden eingesetzt, wo und solange es gerade notwendig war".

Klo und Kellerabteile als "Pausenraum"

Als Aufenthaltsorte bekommen die Springer, laut Peter S., das, was gerade frei war. "In neueren Schulen waren die Räume okay, in einem Fall haben sie mir in der Schule aber einen Sessel über die Klomuschel gestellt und gesagt, das ist dein Pausenraum", erinnert sich der Wiener. In einem anderen Fall wurde S. in einer Schule in der Großfeldsiedlung (Floridsdorf) in einer Gitterbox in einem Kellerabteil untergebracht.

Springer werden in ganz Wien eingesetzt

Diese Schulen sind über ganz Wien verteilt. "Das klingt jetzt nicht schlimm. Aber im Gegensatz zu den fixen Schulwarten, die neben der Schule wohnen und fixe Arbeitszeiten haben, mussten wir solange arbeiten, bis wir fertig waren", so S. In seinen rund neun Dienstjahren war der ehemalige Schulwart an 80 verschiedenen Schulen tätig.

Während sich die "zeitlich ungeregelten Schulwarte" den Dienst teilen (pro Schule gibt es zwei Schulwarte) und fixe Dienstzeiten (die erste Schicht beginnt um 6 Uhr und dauert bis 13.30 Uhr, die zweite geht von 13.30 Uhr bis 21.30 Uhr), müssten die Springer als Ersatz-Schulwarte den ganzen Dienst alleine absolvieren. "Der Dienstantritt beginnt auch für uns um 6 Uhr, wenn Schnee zu räumen war, sogar schon um 5.30 Uhr. Der Dienst endete regulär um 21.30 Uhr. Wenn aber der Turnsaal der Schule an Vereine vermietet wurde, mussten wir diesen noch aufräumen", so S.

"12-Stunden-Tag ist doch eine Lappalie"

Rechnet man die Zeiten für An- und Heimfahrt mit, war Peter S. bis zu 18 Stunden unterwegs. "Die Überstunden wurden zwar alle bezahlt, aber im Vergleich dazu ist ein 12-Stunden-Tag eine Lappalie. Die Zeit war für mich besonders schwierig, weil ich alleinerziehender Vater bin. Damals war meine kleinere Tochter erst neun Jahre alt. Ohne die Unterstützung meiner Familie wäre das damals gar nicht gegangen", so der ehemalige Schulwart.

Die Folgen der Überbelastung ließen nicht lange auf sich warten: Durch die unzähligen Überstunden hatte Peter S. kaum noch Zeit für Freunde und Familie, die sozialen Kontakte brachen immer mehr ab. 2015 folgten die ersten psychischen Probleme, später Depressionen und schließlich das erste Burnout. "Durch die langen Arbeitszeiten habe ich vor allem im Winter monatelang kein Tageslicht gesehen, mein Serotonin-Spiegel war im Keller", so der Wiener.

Zu der zeitlichen Überforderung kam auch die geistige Unterforderung: "Ich habe mir erwartet, dass ich Sachen reparieren kann. Stattdessen muss jeder Schulwart jeden Tag 2.500 Quadratmeter Fläche reinigen, inklusive der Toilettenanlagen. Das ist schlimmer als beim Bundesheer", so Peter S.

Ärger über vorgefertiges Formular: "Ich bekenne mich schuldig"

Im Jahr 2017 ergab sich für Peter S. eine Anstellung als fixer Schulwart in einer Neuen Mittelschule in der Donaustadt. Doch der erhoffte Frieden stellte sich auch hier nicht ein.

"Immer wieder sind hier Dinge vorgefallen, die nicht in Ordnungen waren. Doch die Gespräche mit der Schulchefin endeten damit, dass sie sich über mich bei der MA56 beschwerte und mir vorwarf, ich hätte Sie angeschrien. Doch das ist nie passiert und mit mir hat niemanden gesprochen. Stattdessen wurde mir ein Formular vorgelegt, das ich hätte unterschreiben sollen. Der erste Satz lautete 'Ich bekenne mich schuldig…'".

Peter S. unterschrieb nicht und war prompt den fixen Posten los und zurück bei den Springern. Damit kehrte auch das Burnout zurück. Ein Neurologe kam bei Peter S. zu dem Schluss, dass "schon der Gedanke an die Rückkehr an den Arbeitsplatz als massiv bedrohlich empfunden wird", stellte bei S. Schlafstörungen und Zukunftsängste fest.

Stadt wehrt sich gegen Vorwürfe

"Die Vorwürfe dieses ehemaligen Mitarbeiters möchten wir entschieden zurückweisen und sind für uns in keinster Weise nachvollziehbar", heißt es in einer Stellungnahme der MA56, die "Heute" vorliegt.

Für Springer gebe es unterschiedliche Dienstzeiten-Modelle. Dass es dabei zu "kurzzeitigen Vollzeit-Diensten" von 6 bis 21.30 Uhr komme, sei nur die Ausnahme und wenn, dann nur auf ausdrücklichen Wunsch der Mitarbeiter und unter der Voraussetzung der Freiwilligkeit, so die MA56.

"Vorgefertigte Klauseln unbekannt"



Gebe es Beschwerden, ziehe die MA 56 zu jedem Personalgespräch die Personalvertretung hinzu, dabei würden Niederschriften geführt, um der Dokumentationspflicht nachzukommen.

Diese würden nur im Beisein der Personalvertretung dokumentiert und unterschrieben. "Vorgefertigte Klauseln bzw. Formulierungen mit 'Ich bekenne mich schuldig' sind uns völlig unbekannt und auf keinen Fall Teil unserer Personalpolitik", unterstreicht die Dienststelle.

"Achten sorgsam auf entsprechende Aufenthaltsräume"



Durch die MA56 zurückgewiesen wird auch der Vorwurf des Sessels über einer Toilette als Pausenraum. Aufgrund der wachsenden Bevölkerung und der steigenden Anzahl an Schülern seien die Bildungsstandorte sowie deren räumliche Gegebenheiten naturgemäß beschränkt. "Wir achten trotzdem sorgfältig darauf, gerade unseren Mitarbeitern einen entsprechenden Aufenthaltsraum zur Verfügung zu stellen. Die Zuordnung obliegt hier ausschließlich der MA 56 in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Schulleitung", heißt es. (lok)