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"Ein traumatisierendes Erlebnis für die Kinder"

Heute Redaktion
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Während Vermummte in Basel eine Wohnung räumen, schreien Kinder voller Angst. Ein Psychiater und eine Psychologin erklären die Folgen für die Kleinen.

Schaut man sich das Video der gewaltvollen Räumung einer Genossenschaftswohnung in Basel an, sind vor allem die panikartigen und angsterfüllten Schreie der Kinder fast unerträglich. Für Fachleute ist klar, dass dieses Erlebnis für die Kinder sehr schlimm war. "Das hört man an den Schreien und sieht man an den Reaktionen der Kinder", sagt Brigitte Kunkel, Psychotherapeutin mit der Spezialisierung auf Traumatherapie für Kinder und Jugendliche.

Das bedeute aber nicht, dass das Erlebten bei den Kindern ein bleibendes Trauma hinterlasse. "Das kommt vor allem darauf an, wie die Eltern damit umgehen. Wenn diese das Erlebte einigermaßen ruhig auffangen können und die Familie wieder in ruhiges Fahrwasser bringen, dann stehen die Zeichen gut, dass die Kinder das überstehen." Umgekehrt sei es umso schlimmer, wenn die Eltern vom Erlebten selbst stark gezeichnet seien und Mühe hätten, dies zu verarbeiten.

"Schockbilder kommen immer wieder hoch"

Auch Corsin Bischoff, Kinder- und Jugendpsychiater und Leitender Oberarzt am Kantons-Krankenhaus Winterthur, spricht von einem "absolut traumatisierenden Erlebnis, das die Kinder da hatten". Sie hätten überfallsartige Gewalt erlebt und starke Angst bei ihren Eltern und das über eine recht lange Zeit.

Nach so einem Vorfall seien Menschen, ob Kinder oder Erwachsene, verstört. "Die Schockbilder des Erlebten kommen immer wieder hoch." Bei Personen, die das gut verarbeiteten, nähmen diese Bilder nach ein paar Tagen ab und hörten irgendwann auf. "Bei anderen bleiben die Bilder haften, und das ist ein erstes Anzeichen für ein bleibendes Trauma, vor allem, wenn diese Bilder immer wieder Flashback-artig auftauchen."

"Kinder spielen die Szenen immer wieder nach"

Laut Bischoff gibt es denn auch drei Faktoren, die auf ein bleibendes Trauma hinweisen. Der erste seien die Flashbacks. "Der zweite ist eine erhöhte Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit." Der dritte sei ein Vermeidungsverhalten. "Betroffene fangen an, sich zurückzuziehen, und gehen ihren täglichen Aktivitäten nicht mehr nach."

Diese Muster finde man sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern. "So spielen kleinere Kinder, die immer wieder diese Bilder im Kopf haben, zum Teil diese Szenen immer wieder nach."

Auch Babys und Kleinkinder nähmen die Gefühle der Eltern ganz sensibel wahr. "Babys trinken dann nicht mehr richtig, sind unruhig und schlafen nicht mehr gut." Kleinkinder könnten weniger lebhaft sein oder gar verstummen.

"Bei kleinen Kindern ist das Risiko einer Störung größer"

Auch Psychotherapeutin Brigitte Kunkel weist auf die Belastung für die Kleinen hin. "Man hat die Tendenz, zu sagen, die Kleinen verstünden das nicht und seien darum nicht traumatisiert." Aber das Gegenteil sei der Fall.

"Wenn die Kinder größer sind, können sie das Vorgefallene mindestens rational verstehen und über Erklärungen auch verarbeiten." Kleinere Kinder hätten nur Gefühle und die atmosphärische Belastung und seien emotional noch näher verbunden mit den Eltern. "Darum ist bei ihnen das Risiko für eine Störung größer."

Sicheres Umfeld und stabiles Zuhause wichtig

Entscheidend, ob ein Erlebnis zur Traumastörung werde oder nicht, sei auch die Ausgangslage, fügt Bischoff an. Es gehe um die Frage, wie stabil ihr Zuhause sei, wie liebevoll der Umgang der Eltern mit ihnen und wie sehr sie sich auf ein sicheres Umfeld verlassen könnten. Bischoff: "Sind die Kinder schon vorbelastet, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Erlebnis bleibende Spuren hinterlässt."

Zur möglichen Therapie von Kindern mit einer bleibenden Traumastörung sagt Brigitte Kunkel: "Die Situation der Kinder oder der Familie muss zuerst stabil sein, vorher muss man nicht anfangen." Dann sei es wichtig, dass Traumatherapeuten gut mit Eltern und Bezugspersonen zusammenarbeiteten, um ganz genau zu wissen, was passiert ist, was das Kind erlebt hat. "Erst dann ist eine spezifische Behandlung möglich." (ann)

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