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"Her": Der schönste Beziehungsfilm des Jahres

Heute Redaktion
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Bild: Warner

Nach den Oscars 2014 wurden Stimmen laut, dass der Gewinnerfilm 12 Years a Slave von vielen Academy-Mitgliedern allein wegen seiner brisanten Thematik gewählt wurde. Tatsächlich ist das Sklavendrama wohl der wichtigste Film im Oscar-Feld gewesen; zumindest, was die Vergangenheitsaufarbeitung einer Nation betrifft. Der wichtigste Film unserer gegenwärtigen Generation ist jedoch Spike Jonze gelungen: Sein unfassbar intimes Werk Her ist nicht nur ein brillantes Beziehungsdrama mit Starbesetzung, sondern auch die geniale Weiterspinnung der Smartphone-Abhängigkeit.

Nach den gelungen: Sein unfassbar intimes Werk "Her" ist nicht nur ein brillantes Beziehungsdrama mit Starbesetzung, sondern auch die geniale Weiterspinnung der Smartphone-Abhängigkeit.

Amerika in der nahen Zukunft. Autos sind nicht mehr wichtig, man fährt U-Bahn, wohin man auch will. Emails lässt man sich von einer Computerstimme vorlesen, persönliche Dinge wie Liebesbriefe werden professionellen Schreibern überlassen. Theodore (Schauspielexzentriker ) ist zwar schon bald ein Jahr her, überwunden ist sie aber noch nicht.

Mitten in Theodores größter Einsamkeitsphase erscheint ein neues Betriebssystem, das den User mittels Computerstimme durch den Alltag hilft. Mit iPod-ähnlichem Kameratool und Ohrstöpsel lernt Theodore seine digitale Assistentin Samantha (Stimme im Original: ) kennen. Samantha ist klug wie der Zentralcomputer der NASA, witzig wie ein bester Freund und sexy wie Scarlett Johansson. Naheliegend, sich in diese Stimme zu verlieben.

Nie peinlich

Es ist Regisseur Spike Jonze wahrlich hoch anzurechnen, dass er es geschafft hat, eine facettenreiche Beziehung zwischen Mensch und künstlicher Stimme zu erzählen, ohne dabei auch nur annähernd Gefahr zu laufen, ins Lächerliche zu geraten. Wie sich Theodore und Samantha nach und nach kennenlernen, wie aus der Beliebigkeit plötzlich Intimität entsteht, ja selbst wie die beiden miteinander sinnlich werden - das ist nie peinlich, im Gegenteil: "Her" ist der vielleicht emotionalste Film des noch jungen Jahres.

Wenn Samantha dank Theodore zu ihrer eigenen "Sexualität" findet, so ist das berührend, zärtlich und in seiner minimalen Inszenierung unheimlich schön. Überhaupt ist Jonzes Inszenierungsstil von tief menschlicher Schönheit durchzogen. Die Widersätze zwischen digitaler Entfremdung und der Dringlichkeit nach Nähe kulminieren bereits in der wunderbaren Anfangsallegorie des computergenerierten Liebesbriefes. In aller Künstlichkeit steckt dennoch echte Poesie.

Schnurlos verbunden

) keine Menschen, die ihm nahe sind. Die Gesellschaft ist vernetzt, aber distanziert - man findet sich erschreckend stark in unserer Gegenwart wieder.

Denn "Her" festigt auch ein minimalistisches, aber umso wahrscheinlicheres Bild unserer Welt, wie sie bald aussehen könnte. So trägt der Mann der Zukunft wieder Schnauzer und hochgezogene Hosen samt Retro-Hemd, ein Stil, der in seiner Konsequenz wie die logsche Fortführung des heutigen Hipsters wirkt. Gedreht wurde "Her" übrigens großteils in Shanghai, obwohl die Geschichte in den USA spielt; was ebenso für die globalisierte Anpassung urbaner Raumkultur steht. Die Stadt ist überall und nirgendwo. Sie schläft immer und nie.

Memo an mich selbst

Dass "Her" schlussendlich zwar ein tieftrauriger, aber nie pessimistischer Film ist, liegt daran, dass er Beziehungen und Emotionen so schildert, wie sie sind: schön, verstörend, unlogisch, euphorisch, einzigartig. Er schlägt das Paradoxon, eine persönliche Geschichte in einer unpersönlichen Welt zu erzählen. Warum etwa die Beziehung zwischen Theodore und seiner Ex in die Brüche gegangen ist, bleibt bis zum Ende unklar. Aber gerade dieses Nichtwissen und dieser Zweifel machen die Gefühle des einsamen Schreibers für jeden umso glaubhafter, der jemals eine schwere Trennung durchlebt hat.

Wir sprachen von Wichtigkeit zu Beginn. "Her" zeigt auf ehrliche, originelle und tief berührende Art und Weise, dass die Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit auch im digitalen Zeitalter unser aller Leben bestimmt. Das ist keine Erkenntnis. Das ist eine Erinnerung. Ein intimes Memo, heute so wichtig wie der digitale Wecker neben dem Bett.