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"Hilfe, mein Onkel griff mir zwischen die Beine!"

Heute Redaktion
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Symbolfoto
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Bild: iStock

Was als harmlose Berührung begann, endete für Silvia tragisch. Um ihre Tante nicht zu verletzen, schwieg sie Jahre lang. Nun hat sie genug. Doch wie soll sie vorgehen?

Frage von Silvia (13) an Doktor Sex: Mein Onkel hat mich vor längerer Zeit mehrmals an der Brust und zwischen den Beinen angefasst. Einmal wollte er mich sogar küssen. Anfänglich hat mir das alles ein wenig gefallen. Am Schluss aber überhaupt nicht mehr. Es war eine schlimme Zeit. Ich konnte mich niemandem anvertrauen, weil ich meine Tante nicht verletzen wollte. Nun habe ich lange genug geschwiegen. Was kann ich tun?

Antwort von Doktor Sex

Liebe Silvia

Stark, dass du dir Hilfe holst!

Deine Zweifel und das emotionale Hin und Her kann ich gut verstehen. Was du erlebt hast, war für dich so fremd und ungewohnt, dass es schwierig, wenn nicht gar völlig unmöglich war, "richtig" zu handeln. Umso mehr, als Menschen involviert waren, die dir wichtig sind und die du gern hast. Mach dir also deshalb keine Selbstvorwürfe. Dass es dir anfänglich gefallen hat, was dein Onkel mit dir machte, ist nicht außergewöhnlich. Manche Menschen, die einen sexuellen Übergriff oder sexuelle Gewalt erlebt haben, berichten von solchen verwirrenden Gefühlen und vom Gespaltensein zwischen "Faszination" und Ekel.

Gerade für ein Mädchen, das wie du auf dem Weg zur jungen Frau ist, kann es mit einem Prickeln und angenehmen Gefühlen verbunden sein, wenn ein älterer Mann ihm den Eindruck vermittelt, dass es attraktiv und begehrenswert ist. Diese Gefühle und Eindrücke können sich noch verstärken durch den Umstand, dass Berührungen und Küsse sich immer irgendwie speziell anfühlen – unabhängig von der Beziehungssituation, in der sie stattfinden oder der Absicht der handelnden Personen. Einfach, weil der Körper keine Moral kennt, also nicht zwischen "guten" und "schlechten" Berührungen unterscheidet, sondern in der biologisch vorgesehenen Weise reagiert.

Was sagt das Gesetz?

Dein Onkel hat deine persönlichen Grenzen massiv überschritten und sich strafbar gemacht. Was du unbedingt wissen musst: Für sein Handeln bist du nicht verantwortlich – genauso wenig wie für seine Beziehung mit deiner Tante oder die Tante selbst. Weil Vergehen gegen die sexuelle Integrität nicht verjähren können, gibt es keine Dringlichkeit. Du kannst den Vorfall also jederzeit zur Anzeige bringen, wenn du das willst. Dadurch hast du auch alle Zeit, um die nächsten Schritte in Ruhe zu planen und besonnen zu handeln.

Daran, dass du deinen Onkel und seine Beziehung geschützt hast, indem du bis heute geschwiegen hast, ist nichts falsch. Manchmal ist Schweigen die einzige Möglichkeit, um das eigene Leiden nicht noch zu vergrößern. Manche Opfer von sexueller Gewalt und Übergriffen schweigen auch, weil sie sich für ihre Erlebnisse schämen. Andere, weil ihnen suggeriert oder explizit unterstellt wird, am Geschehenen mitschuldig zu sein. Man weiß heute, dass das Reden über solche Erlebnisse einen positiven Effekt auf die Psyche und das Wohlbefinden von Betroffenen hat und zu einer gelingenden Verarbeitung beiträgt. Wichtig ist jedoch, dass die Gespräche in einem geschützten Rahmen stattfinden – idealerweise in einer Therapie.

Wie weiter?

Falls du jemandem deine Erlebnisse erzählen möchtest, ohne gleich wissen zu müssen, wie es danach weitergehen soll, ist es wichtig, dass du zu dieser Person Vertrauen hast. Du bist völlig frei, an wen du dich wenden willst. Es kann dein Vater, deine Mutter, sonst jemand aus der Familie, der Verwandtschaft – ausgenommen sind der betroffene Onkel und seine Frau – oder aus deinem weiteren Umfeld sein. Auch ein Lehrer oder eine Lehrerin kommt infrage.

Am besten wählst du jemanden, dem du zutraust, dass er oder sie mit deinen Informationen angemessen umgeht. Das heißt, jemand, der nicht den Kopf verliert und gleich zur Polizei rennt, den Onkel mit seiner Tat konfrontiert, die Tante benachrichtigt oder ähnlich wilde Sachen. Das wäre nämlich überhaupt nicht hilfreich. Auch eine gleichaltrige Person ist eher nicht geeignet. Sie kann dir zwar zuhören und mit dir sein – was auch sehr wertvoll ist –, aber bei der Planung eines allfälligen weiteren Vorgehens kann sie dich nicht unterstützen.

Fachstellen bieten Begleitung an

Wenn du mit deiner Vertrauensperson gesprochen hast, kannst du mit ihr zusammen nächste mögliche Schritte prüfen. Falls du zum Schluss kommst, deinen Onkel anzeigen zu wollen, rate ich dir, mit einer Opferberatungsstelle Kontakt aufzunehmen und dich dort über deine Möglichkeiten und den Ablauf einer Strafanzeige und einer Strafuntersuchung beraten zu lassen. Am besten zusammen mit deiner Vertrauensperson. Solche Verfahren können anstrengend sein. Oft dauern sie längere Zeit und die Fragen, die dabei gestellt werden, können ins Detail gehen. Das alles kann eine Belastung sein und es wäre daher hilfreich, jemanden dabeizuhaben, der dich unterstützen kann.

Alle von dir gewünschten Auskünfte erhältst du aber auch anonym, also ohne Angabe deiner Personalien, per Telefon, E-Mail oder persönlich vor Ort. Die Mitarbeiterinnen sind der Schweigepflicht unterstellt. Solange du es nicht willst, werden sie also mit niemandem in Kontakt treten und auch keine Informationen an Dritte weitergeben. Auf der Webseite der Opferhilfe Schweiz findest du Adressen von und Links zu Beratungsstellen in der ganzen Schweiz. Und auch die Webseite von Lilli.ch oder diejenige der Beratungs- und Informationsstelle Castagna bietet viele wertvolle Informationen zum Thema.

Die Person, die sich auf der Fachstelle um dich und dein Anliegen kümmern wird, ist mit sexuellen Übergriffen bestens vertraut und weiß, was es für einen Menschen bedeutet, eine sexuelle Grenzüberschreitung erlebt zu haben. Sie wird dir in Ruhe zuhören und dich über deine Rechte und Handlungsmöglichkeiten informieren. Die Beratung verpflichtet dich zu nichts. Du selbst entscheidest, welche Schritte du danach tun oder lassen willst. (wer)