Szene

"Ich bin der Schockmaler, der nie schockieren will"

Heute Redaktion
Teilen
Picture
Bild: Helmut Graf

Er drückt den Finger mit sicherem Griff in die Wunde, macht große Angst zu noch größerer Kunst. Ein Ort, um sie zu inhalieren, ist die Wiener Albertina - am Dienstag schenkte Gottfried Helnwein dem Haus sieben Werke. Wir trafen den Wiener Künstler zum Interview.

Er drückt den Finger mit sicherem Griff in die Wunde, macht große Angst zu noch größerer Kunst. Ein Ort, um sie zu inhalieren, ist die Wiener Albertina - Wir trafen den Wiener Künstler zum Interview.
"Heute": Ihr Freund, Albertina-Hausherr Klaus Albrecht Schröder, beschreibt sie als "Meister der Angst und des Schreckens". Wie beschreiben Sie ihn?

 

Gottfried Helnwein: Als Glücksfall für die Albertina und Österreich. Ein Museum, das zwar eine der bedeutendsten Sammlungen hatte und dadurch einen Stellenwert – aber eine verschlafene Institution. Er hat sie in seiner Zeit zu einem der wichtigsten zeitgenössischen Museen gemacht. Er ist irrsinnig eloquent und hat die Kraft, einiges durchzuboxen. Ich kenne ihn schon sehr lange, er ist als Student zu mir ins Atelier gekommen.

 

"Heute": Sie verdrängen nicht, sie inhalieren – und verarbeiten vieles dann zu Kunst. Ist da nichts, was Sie lieber ausblenden würden?

 

Helnwein: Es ist ganz einfach so: Wenn die Welt schon untergeht, will ich dabei sein, sehenden Auges. Seit meiner Kindheit hatte ich immer das Bedürfnis, zu wissen, was wirklich los ist. Ich wurde angelogen, mir wurden so viele Märchen erzählt. In der Nachkriegszeit herrschte eine unglaubliche Stille, alle taten, als hätte der Holocaust nie stattgefunden. Als ich in der Schule war, wurde er mit keinem Satz erwähnt. Alles was ich gehört habe, war: Österreich war das erste Opfer Adolf Hitlers.

Ich habe sehr insistiert, hab langsam erfahren, dass die Generation meiner Eltern für den größten Massenmord der jüngeren Geschichte verantwortlich ist. Das war der Moment, in dem ich mich von der Gesellschaft disconnected habe. Ich habe mich ganz einfach nicht mehr als Teil davon empfunden. Es war schockierend: Massenmörder und Sadisten wurden wie am Fließband freigesprochen. Später dann kam ich erst drauf, dass ja auch diese Richter und Staatsanwälte und Sachverständige Nazis und Kameraden waren. Das hat mein Vertrauen in ein Rechtssystem erschüttert. Das Thema Gewalt gegen Wehrlose war etwas, das mich fasziniert hat. Dazu gehört auch der massive Missbrauch von Kindern, den ich selber Stück für Stück rausgefunden habe. Das hat mich so beschäftigt, dass ich das einfach malen musste. Die Kunst war mein einziger Ausweg. Ich wusste ja auch nicht, wie man so etwas verbalisieren sollte.

 

"Heute": Konnten Sie sich durch ihre Kunst wieder "connecten"?

 

Helnwein: Eigentlich ja. Ich habe begonnen, zu malen, ohne zu wissen, wohin das führen könnte. In den 60ern war die Vorstellung, als Künstler eine Karriere zu haben, völlig abwegig. Keiner von uns wollte mit Geld, mit Karriere, mit der Gesellschaft etwas zu tun haben. Ich hab das für mich gemacht, wollte weder ausstellen, noch verkaufen. Im Laufe der Jahre hat sich das verändert, da ich gemerkt habe, wie sehr meine Bilder Menschen emotionalisieren. Abscheu, Entsetzen, Verlegenheit. Rührung –- all das waren die Gefühle, die Menschen beim Anblick meiner Bilder hatten. Viele hatten Tränen in den Augen. Ich hab mich gewundert, warum Menschen weinen können, nur weil sie so ein kleines Bildchen sehen. Da hab ich plötzlich gespürt, welche Macht ein Bild hat. Das hat mich zum Weitermachen angeregt und daraus wurde ein Dialog.

 

"Heute":: Sie haben in Interview einmal gemeint, dass Bilder eine tiefere Wirkung als Worte haben. Ist das nicht ein Schlag ins Gesicht jedes Literaten und Poeten?

 

Helnwein: Interessante Frage. Ich sag nicht, dass Bildende Kunst wichtiger ist, als Musik oder Literatur. Aber: Ich habe beobachtet, dass Bilder viel tiefer ins Unterbewusstsein eindringen können und in Bereiche gehen, in die man durch verbale Kommunikation niemals kommen könnte.

 

"Heute":. Apropos Weltuntergang: Denken Sie, dass Österreich dank des Ergebnisses der Bundespräsidentenwahl einem wie immer gearteten Untergang entkommen konnte?

 

Helnwein: Ich sehe das immer im Kontext mit der ganzen Welt. Man nimmt das in Österreich so wahnsinnig wichtig und sieht das so losgelöst vom großen Ganzen. Da wurde immer suggeriert: Wenn jetzt der Hofer gewinnt, dann ist das das Ende. Ähnlich ist’s mit dem Donald Trump. Das ist ein Phänomen, das die ganze westliche Welt betrifft. Das Zweiparteiensystem verschiebt sich. Die Linken und die Rechten und ihre zwei Wählerschichten – dieses System bekommt Risse. Es findet ein Paradigmenwechsel statt. Menschen werden immer mehr verunsichert, es gibt eine Gewaltexplosion, die Darstellungen darüber sind so viel extremer, als sie es früher waren. Die Menschen verlieren so ihr Vertrauen in etablierte Parteien und das ist der Grund, warum immer mehr abwandern, nach rechts oder nach links. Eine stille Revolution findet statt. Es ist ja nicht so, dass alle Nazis wären, es ist eine Reaktion der Angst und Verzweiflung. Wie kann ich es denen da oben zeigen? Indem ich die FPÖ wähle. Wenn man in die USA schaut, die Leute, die Bernie Sanders oder Donald Trump wählten: In Sachen Motivation ist da kein elementarer Unterschied. Beide haben die Banken und Großindustrien als Gegner. Beide sind sich viel näher, als man denkt. Hillary Clinton hingegen ist eine Vertreterin des Establishment. Anders, als es in den Medien oft dargestellt  wird – der böse Trump und die gute Hillary als Heldin der Homosexuellen und Frauenrechte – ist es so, dass Clinton zig Millionen an Wahlkampfgeldern aus Saudi Arabien angenommen hat. Von einem der brutalsten und unmenschlichsten Ländern der Welt, was Frauenrechte angeht. Zwischen Bush und Hillary besteht kein Unterschied. Und die Leute haben davon die Nase voll. Ähnlich ist es hier mit den Leuten, die zur FPÖ überlaufen. Man sollte aufhören, diese Menschen immer auszugrenzen. Wir sollten lieber nachdenken, warum das so ist und was da so falsch läuft.

 

"Heute": Was ist das größte Klischee, mit dem jemals in Verbindung mit Ihrer Person oder Ihrer Kunst konfrontiert wurden?

 

Helnwein: Ich wurde immer schon als Schockmaler bezeichnet. Aber das ist ein oberflächlicher Begriff, der in den Medien entstanden ist. Mir ging es niemals darum, irgendwen zu schocken. Das was ich gemacht habe, ist meine einzige Möglichkeit. Mein Ausweg. Über die vielen Jahre habe ich viele Reaktionen der Menschen auf meine Bilder beobachten können. Und es waren immer solche, die mich bestärkt haben, weiterzumachen. Spannend: Viele Frauen, die selber als Kind missbraucht wurden, finden in meinen Werken eine Art Versöhnung, eine Therapie, eine Möglichkeit, das aufzuarbeiten. Eine Dame, die eine Dissertation über mich schrieb, sagte zu mir, dass sie meine Bilder erstmals als 14-Jährige sah. Sie hat damals gezittert und geweint, es wurde ihr bewusst, dass mein Bild ihre Erinnerung ist. Auch eine US-Sammlerin, die als Kind von ihrem Vater missbraucht wurde, erkennt in zwei meiner Bilder von blutüberströmten Kindern ihre eigene Geschichte. Ästhetik ist ein universelles Mittel, um Dinge zu lösen und zu transzendieren. Gerade durch Ästhetik kann man sich dem Schrecklichen, dem Unbegreifbaren nähern.

 

"Heute": Angst ist Ihr großes Thema. Was macht Ihnen persönlich die größte Angst?

 

Helnwein: Ich beobachte mit Besorgnis, wie sich die Gewaltspirale beschleunigt. Diese sinnlose Tötung, ohne ersichtliches Ziel, das zu einer gigantischen Verunsicherung führt. Früher, vor den 80ern fand Gewalt der Ersten gegen die Dritte Welt immer auf Schlachtfeldern statt, außerhalb unseres Bereichs. Jetzt ist die Gewalt nach Hause gekommen. Es begann mit Schulmassakern in Amerika. Dass Kinder mit der Absicht in die Schule gehen, dort einen Massenmord zu verüben, das hat’s davor nicht gegeben. Das ist ein Phänomen, das uns mittlerweile vertraut ist. Dann kamen die Selbstmordattentate dazu. Die Geschichte zeigt uns: Große Verunsicherung führt zu schlechten Ergebnissen. Weil sich Leute nach einer starken Hand sehnen, die durchgreift. Das Phänomen Hitler wäre so nie möglich gewesen. Denn Hitler ist gewählt worden.