Szene

"Meine Texte waren schon immer viel klüger als ich"

Heute Redaktion
Teilen

Konstantin Wecker lässt sich nicht mundtot machen. Er schreibt und singt laut und zornig gegen der Verrohung der Moral an - und ist dabei mehr als einmal gestrauchelt. Heute steht er aufrechter denn je auf der Bühne und packt "40 Jahre Wahnsinn" in vier Österreich-Konzerte.

Konstantin Wecker lässt sich nicht mundtot machen. Er schreibt und singt laut und zornig gegen der Verrohung der Moral an – und ist dabei mehr als einmal gestrauchelt. Heute steht er aufrechter denn je auf der Bühne und packt "40 Jahre Wahnsinn" in vier Österreich-Konzerte.

Sie erheben unermüdlich die Stimme für die Revolution. Wie sieht sie aus?

Es geht um eine gewaltfreie Revolution des Bewusstseins. Es muss etwas radikal umgewälzt werden. Die Tatsache, dass ein Prozent der Menschheit so viel besitzt, wie die restlichen 99 Prozent, weist auf ein großes Versagen hin. Jeder einzelne hat Handlungsbedarf!

Bitte um eine Anleitung zur Mini-Revolution…

Mehr Empathie, weniger Wurschtigkeit! Das Mitgefühl wurde uns ausgetrieben, das macht sich auf der Karriereleiter nicht gut. Vor allem die junge Generation wird seit 20 Jahren einer subtilen Gehirnwäsche unterzogen. Feiern, shoppen und sich stylen ist sexy, politisches Engagement nicht. Das ist im Sinne eines Systems, das nur Gewinn machen will. Aber das wird schlimm enden. Es geht den Menschen schlecht. Schaut nach Italien und Spanien, die Jugendarbeitslosigkeit dort ist ein Graus. Wir sind aber alle Europa, also geht’s uns alle an.

Die Welle rollt also unaufhaltsam auch auf uns zu?

Es passieren so viele unterschiedliche Tragödien, jeder Mensch scheitert in seinem Leben mehrmals und das ist im Schicksalsplan auch so vorgesehen. Das Leben ist ein tragischer Entwurf, diese Tatsache kann man nicht immer wegfeiern. Aber es bringt uns weiter. Wenn wir die Tragödien annehmen, lernen wir etwas über uns.

Es ist derzeit en vogue, die Kunst des Scheiterns zu feiern. Auch Ihre Biografie widmet sich dem Versagen. Was ist so gut daran, zu verlieren?

Auf den ersten Blick einmal gar nichts. Mein Scheitern war zunächst nur Scheitern, sonst nichts. Ich bin öffentlich gescheitert, und auch im stillen Kämmerchen. Aber jedes Mal hat mich das Schicksal in eine andere Situation geworfen. Nach meiner Verhaftung (wegen Kokainkonsums, Anm.), zum Beispiel, war alles weg. Geld, Ansehen, Unterstützung. In den Medien wurde ich zerrissen. In dieser absoluten Nacktheit gab’s Momente, in denen war ich glücklicher als je zuvor. Mir wurde klar: Da ist ein unzerstörbarer Kern in mir.

Leben Sie heute weniger selbstzerstörerisch? Oder haben Sie einfach nur ein anderes Bewusstsein dafür?

Wenn man das Gen hat, ist es nicht leicht, es zu tilgen. Es ist immer noch da und es wird bleiben. Unbewusst will ich es ja auch nicht loswerden, weil ich weiß, dass es mich in genau die zerbrechliche Situation bringt, in der mir Großes widerfährt.

Wie zum Beispiel?

In den schlimmsten Phasen hatte ich meine größten kreativen Schübe. Mit 14 war das schon so. Ich schreibe und schreibe und bin danach überrascht, was ich da zustande gebracht habe. Meine Texte waren schon immer klüger als ich. Ich sag Ihnen ehrlich: bei den geglücktesten Gedichten hatte ich nie den Eindruck, dass sie von mir sind.

Apropos klug: Warum haben Sie Ihre Sexfilm-Karriere („Beim Jodeln juckt die Lederhose“, Anm.) so früh beendet?

Ich hab gewusst, dass ich schnell aus dieser Nummer raus muss, sollte ich noch jemals eine normale Beziehung zu Frauen planen. Das war übel. Das Schlimmste an den Filmen ist ja nicht der Sex und das Nacktsein. Nein, schlimm ist, wie sensationell schlecht sie gemacht sind. Meine Söhne haben die Filme übrigens auf YouTube entdeckt und finden sie köstlich.

Auf Ihrer neuen CD „Ohne Warum“ bitten Sie Ihre Kinder, nie Uniform zu tragen. Wäre das die Höchststrafe für Wecker?

Ich hatte große Angst, dass meine zwei Söhne als revolutionären Akt mir gegenüber genau das aussuchen, was am Schlimmsten wäre: Nazi werden oder zum Militär gehen. Daran bin ich zum Glück vorbeigeschrammt. Sie rebellieren, oder anders.

40 Jahre Wahnsinn, so der Titel Ihrer Tour. Wahnsinn, was Sie alles geschafft haben. Oder einfach nur Wahnsinn?

Einfach nur Wahnsinn. Und vor allem Wahnsinn, dass ich immer noch da stehe.

Wo trifft der Revoluzzer in Ihnen den Demütigen?

Eigentlich ständig. Um ein echter Rebell zu sein, bedarf es ganz viel Demut. Sonst ist es ja nur eine Revolution, im Zuge derer man sich selber dort hinbringen will, wo der Bekämpfte ist. Das ist Krieg, keine Revolution.