Welt

"Naive Frauen mitschuldig an Vergewaltigung"

Heute Redaktion
Teilen

Andrea Geissbühler (Schweizerische Volkspartei) findet es in Ordnung, dass Vergewaltiger nur bedingte Strafen erhalten, wenn sich die Frauen "naiv" verhalten hatten. Das stößt auf massive Kritik.

Andrea Geissbühler (Schweizerische Volkspartei) findet es in Ordnung, dass Vergewaltiger nur bedingte Strafen erhalten, wenn sich die Frauen "naiv" verhalten hatten. Das stößt auf massive Kritik.

Ein Drittel der verurteilten Vergewaltiger muss in der Schweiz nicht ins Gefängnis: Sie kommen mit bedingten Strafen davon. Das kritisierten am Sonntag auf "TeleBärn" sowohl Strafrechtsprofessor Martin Killias wie auch die Berner SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler scharf.

Doch dann relativiert Geissbühler ihre Aussage und findet, dass bedingte Strafen – die in ihren Augen eigentlich keine Strafen sind – gerechtfertigt sind, wenn die Frau an ihrer Vergewaltigung "mitschuldig" sei.

"Naive Frauen, die fremde Männer nach dem Ausgang mit nach Hause nehmen und dann ein bisschen mitmachen, aber dann plötzlich dennoch nicht wollen, tragen ja auch ein wenig eine Mitschuld. Da sind die bedingten Strafen vielleicht gerechtfertigt", sagt die ehemalige Berner Kantonspolizistin im Fernsehbeitrag.

Experten widersprechen vehement

SVP-Nationalrätin Natalie Rickli, die sich seit langem für härtere Strafen für Sexualstraftäter einsetzt, widerspricht: "Natürlich ist Vorsicht geboten und jede Frau ist auch für sich selber verantwortlich, aber eine Vergewaltigung oder Strafmilderung lassen sich dadurch nicht rechtfertigen." SP-Nationalrätin Mattea Meyer geht noch weiter: "Eine solche Aussage ist absolut unhaltbar. Ein Opfer ist nie Schuld an der Tat, denn Nein heißt Nein."

Opfern eine Mitschuld zu geben, führe dazu, dass diese sich nicht mehr getrauen, Anzeige zu erstatten. "Geissbühler, die ja Polizistin ist, schadet damit der polizeilichen Arbeit und Glaubwürdigkeit. Denn die Polizei muss Opfer in jedem Fall ernst nehmen. Was Geissbühler hier betreibt, ist Täterschutz." Auch Experten sind entsetzt: "Keine Frau, die Opfer einer Vergewaltigung wird, trägt die Schuld oder Mitschuld für die erlittene sexuelle Gewalt", sagt Linda Borner, Beraterin bei Lantana, der Berner Fachstelle Opferhilfe bei sexueller Gewalt. "Die Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern vertritt in dieser Hinsicht eine Nulltoleranz-Linie."

Auch Brigitte Gschwend von der Opferhilfe Bern sagt: "Diese Aussage, dass die Frauen eine Teilschuld trifft, weil sie mitgehen oder jemanden mit nach Hause nehmen, halte ich für nicht adäquat. Dass eine Frau einem Mann erlaubt, sich mit ihm in privaten Räumlichkeiten aufzuhalten, gibt ihm noch keinen Freibrief, sexuelle Aktivitäten zu erzwingen."

Wenn Frau A sagt, muss sie dann auch B sagen?

"Sie hat nun eben die Haltung, dass jemand, der sich einer Gefahr aussetzt, automatisch auch mitschuldig ist"», so Gschwend weiter. "Es geht auch um das uralte Thema, ob eine Frau, die A sagt, auch B sagen muss. Diese Argumentation ist sehr gefährlich. Denn das hieße ja, dass der arme Mann nicht mehr fähig ist, das B zu respektieren. Aber das muss man ganz klar von jedem Mann in jedem Alter verlangen können."

Geissbühler steht auf Anfrage von "20min.ch" nach wie vor zu ihrer Aussage. Den Vorwurf, Täterschutz zu betreiben, weist sie zurück: "Ich habe klar gesagt, dass ich es verurteile, dass ein Drittel der Vergewaltiger mit einer bedingten Strafe davon kommt. Der Anteil ist klar zu hoch." Sie halte generell nichts von bedingten Strafen. Aber als Polizistin habe sie eine differenzierte Sichtweise: "Ich habe bei Befragungen gesehen, dass es Frauen gibt, die lange mitspielen." Sie appelliere deshalb auch an den gesunden Menschenverstand der Frauen.