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"Nico, 1988": Glühender Stern im Schwarzen Loch

Bewundert, geliebt, genial und selbstzerstörerisch: Nico war Ikone, Vorbild und Musikerin. Das Biopic zeigt ihre letzten beiden Jahre.

Heute Redaktion
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In den 1950ern war Christa Päffgen das erste Supermodel, als Nico war sie ab den 60ern Andy Warhols Muse, Jim Morrisons Freundin, Leonard Cohens unerreichbare Liebe und Alain Delons verleugnete Kindsmutter.

Idol, Legende, Vorbild

Als Musikerin inspirierte sie mit "Velvet Underground & Nico" und danach als Solokünstlerin unter anderem Patti Smith, Morrissey und Björk. Jim Morrison war es, der Nico riet, ihre Träume aufzuschreiben und zu Musik zu machen. Es waren keine schönen Träume.

"I don't give a fuck" als unumsetzbares Mantra

Trotzdem war Nico kein großer kommerzieller Erfolg beschieden. Für die Massen zu dunkel und schwer verdaulich waren ihre hynotischen Lieder, die Punk, Wave und Gothic vorwegnahmen. Und auch lange Phasen des Glücks durfte sie nie durchleben. "I don't give a fuck" (Ich scheiße drauf), lautet im Biopic "Nico, 1988" (das Jahr, in dem sie starb, Anm.) ihre Standardantwort auf alles, was sie verletzen könnte. Sie ist direkt und oft brutal. Wenn ihr ausnahmsweise doch etwas unangenehm ist, erfindet sie ihre Vergangenheit neu. Bis heute sind einige biografische Details über sie unsicher. Zu viele Versionen existieren.

Schönheit als Last, Heroin als vermeintliche Lösung

Jahrzehntelang war Nico heroinabhängig, trank und rauchte nahezu Kette. Ihr Sohn Ari, den sie mit Alain Delon hatte, wurde ihr weggenommen, weil sie sich nicht um ihn kümmern konnte. Der Vater verleugnete ihn, der sein Ebenbild war, bis zum Tod. Doch Delons Mutter adoptierte den Buben.

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Als Nico 1987 endlich wieder Kontakt mit ihm aufnehmen kann, ist Ari gerade auf Entzug und hat seinen ersten Suizidversuch bereits hinter sich. Obwohl er äußerlich seinem Vater ähnelt, gleichen sich Mutter und Sohn innerlich. Kaum jemand kann ihrer Faszination widerstehen, sie sind talentiert, faszinierend, unglücklich und kämpfen gegen ihre Schönheit, indem sie sich zerstören.

Einmal Ikone, immer anbetungswürdig

"Bin ich hässlich?", fragt das einstige Supermodel in den Achtzigern. "Ja, sehr", entgegnet ihr Manager, der sie liebt. "Gut", antwortet sie. "Ich war nicht glücklich, als ich schön war." Auch als sie nicht mehr schön war, half das nichts. Dass die Männer ihr immer noch verfallen, fällt ihr nicht einmal auf. Sie wurde immer angebetet, für sie ist es selbstverständlich. Die Dänin Trine Dyrholm schafft es, die Faszination, die Nico auch gegen Ende ihres Lebens immer noch ausstrahlt, immer wieder aufblitzen zu lassen und verständlich zu machen.

Trailer:

"Nico, 1988" zeigt Nico auf Tour hinter dem eisernen Vorhang. Am beeindruckendsten ist sie auf der Bühne als sie wegen Nachschubproblemen auf kaltem Entzug ist.

Ihr früheres Leben, als Kind im brennenden Berlin, als umschwärmter Star, als Model und junge Mutter, blitzt in halluzinatorischen, blitzlichtartigen Rückblenden immer wieder auf. Sich davon zu lösen ist unmöglich.

Ein Silberstreif am Horizont, der unerreichbar bleibt

Erst ein Jahr vor ihrem Tod wird Nico clean, lebt mit ihrem Sohn und malt sich ihre Zukunft - wenn schon nicht rosig - dann zumindest nicht schrecklich aus. Doch ein spätes Happy End ist Nico nicht bestimmt.

Regisseurin und Drehbuchautorin Susanna Nicchiarelli beginnt ihren Film mit einer kurzen Sequenz in der Nico ankündigt, auf Ibiza mit dem Rad fahren zu wollen. Es wird vorausgesetzt, dass der Zuschauer weiß, wie das ausgeht (Nico starb Stunden nach einem Fahrradsturz an einem unentdeckten geplatzten Aneurysma). Von ihrem Ende gibt es kein Entrinnen.

Nico in die Seele geschaut, oder?

Nicchiarelli dankt im Nachspann Ari für seine Hilfe. Der Versuch, sich der undurchschaubaren Legende anzunähern, scheint gelungen. Fraglich ist, ob es jemanden gibt, der Nico wirklich kennt.

Berührendes Biopic, schlechte Untertitelung

"Nico, 1988" ist sensibel, vielschichtig, berührend, gut gelungen. Nur die Untertitel sind ein Graus und schreiben hin und wieder das Gegenteil von dem, was die Schauspieler sagen.

Kinostart für "Nico, 1988" ist der 19.7.2018 (lam)

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