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"Peinlich – ich fantasiere Sex mit einem Mann"

Heute Redaktion
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Bild: iStock

Eigentlich steht Piero auf Frauen. Aber bei der Selbstbefriedigung stellt er sich oft Fesselspiele mit einem Mann vor. Nach dem Orgasmus schämt er sich dafür.

Frage von Piero (28) an Doktor Sex: Ich dachte bisher immer, ich sei heterosexuell. Merkwürdigerweise finde ich aber den Gedanken aufregend, einmal mit einem Mann Sex zu haben. Am liebsten stelle ich mir vor, dass er mich zuerst fesselt und dann verwöhnt. Das ist seltsam, denn ich stehe sonst auf Frauen. Dieses "Verlangen" verschwindet aber immer, sobald ich mich selbst befriedigt habe. Es ist danach eher so, dass ich mich ekle und vor mir selbst schäme. Warum kippt meine Stimmung plötzlich so um, nachdem ich den Orgasmus gehabt habe? Das Schamgefühl ist erdrückend und hält mich davon ab, einmal eine solche Erfahrung zu machen. Ich muss dazu noch sagen, dass ich sehr religiös erzogen wurde. Homo- oder Bisexualität waren ein Tabu, ebenso sexuelle Fantasien.

Antwort von Doktor Sex

Lieber Piero

Die Gedanken sind frei und nur sehr wenig von dem, was im menschlichen Kopfkino gespielt wird, ist auch bewusst vom Ich produziert. Der größte Teil davon flimmert ohne dessen Zutun endlos über die "mentale Leinwand". Zensur gibt es keine: Ohne Skrupel wird im einen Augenblick gemordet, im anderen fremdgegangen und gleich nachher werden edle Taten vollbracht und mit Leichtigkeit große Projekte realisiert.

Weder Wille noch Moral oder eine eindeutige sexuelle Orientierung, können einen Menschen vor solchen Phantasien schützen. Sinnvoller, als dagegen anzukämpfen, ist es daher, sich nicht mit solchen Gedankenbildern zu identifizieren, ihnen also keine Energie zu geben, sondern sie einfach vorbeiziehen zu lassen.

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Ich vermute, dass der Stimmungsumschwung, der jeweils kurz nach dem Orgasmus eintritt, mit den Werten und Normen zusammenhängt, die dir in deiner Kindheit vermittelt wurden. Solange du von der Lust getrieben auf einer Wolke schwebst, haben diese keine Macht über dich. Sobald aber das Hochgefühl verschwunden ist, melden sie sich umso heftiger zu Wort. Psychologisch gesehen landest du dann wieder in der Rolle des Kindes, das du einmal warst, und schämst dich, als ob du von deinen Eltern bei einem verbotenen Verhalten ertappt worden wärst.

Das Erwachsenwerden und die Ablösung von Vater und Mutter vollzieht sich nicht einfach automatisch durch das Ausziehen aus dem Elternhaus. Beides erfordert zusätzlich eine bewusste Auseinandersetzung mit der Lebenswelt, die verlassen wird, und den Rahmenbedingungen, denen man als Kind und als Teenager darin unterworfen war. In deinem Fall gehört dazu auch noch, die religiösen Überzeugungen der Eltern zu hinterfragen, dir bewusst zu machen, wo und wie sie dich geprägt haben und welche Auswirkungen dies auf deine Lebensführung und deine Sexualität hat.

Die erdrückenden Schamgefühle, die du jeweils nach dem Orgasmus empfindest, aber auch die passive Rolle, die du in deinen Fantasien bevorzugt spielst, lassen den Schluss zu, dass du diesen inneren Ablösungsprozess nicht vollzogen hast und psychisch noch weitgehend im Bannkreis der elterlichen Wertvorstellungen gefangen bist. Gleichzeitig scheint da aber auch ein starker Wunsch zu sein, die Fesseln zu sprengen. Nutze die Kraft, die daraus entsteht, und mach dich daran, mit der Unterstützung einer Fachperson deine Vision eines selbstbestimmten, von den Vorstellungen der Eltern unabhängiges Leben zu erfinden und dieses Schritt für Schritt zu verwirklichen.

(wer)

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