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"Tiere": Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Greg Zglinskis "Tiere" ist die Reise eines Ehepaars in den Perspektivenwechsel. Ein Liebesfilm der anderen Art.

Heute Redaktion
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Gibt es ein Leben nach dem Tod? Oder ist alles nur geträumt? Wie wirklich ist die Wirklichkeit und geht Liebe über den Tod hinaus? Fragen über Fragen, die sich einem unweigerlich aufdrängen, wenn man sich voll und ganz auf den Film "Tiere" von Greg Zglinski (nach einem Buch von Jörg Kalt) einlässt.

Einfache Story - harter Kern

Die Story mag ja anfangs simpel erscheinen, ist sie aber nicht. Ein Mann, eine Frau, zwei Welten. Viel mehr noch, zig verschiedene Welten der differenzierten Wahrnehmung und Empfindung. Findet Realität so statt, wie wir sie sehen oder sehen wollen oder wie andere uns sehen? Der erste Gedanke nach Filmende war: das hat eindeutig Lynch-Charakter. Und nicht nur wegen der nächtlichen Straßenszenen und abgeschnittenen Gliedmassen. Das Absurde, die leichte Verrücktheit, die jeder von uns in sich trägt, wo Welten miteinander verschwimmen und ein Liebespaar genau aus diesem Grund entzweien.

Von Liebe und Verlustangst

Zurück zur eigentlich einfachen Geschichte: Gutbürgerliches Ehepaar aus Wien, er erfolgreicher Koch, sie Kinderbuch-Autorin. Das Liebesleben bleibt mittlerweile auf der Strecke, man küsst sich höchstens noch auf den Kopf. Der Kopf kommt hier im Film auch ziemlich oft zu Schaden. Das Herz nicht ganz so drastisch. Trotzdem ist da noch Liebe. Und neben der Restliebe auch noch eine ganz große Verlustangst. Was wäre man denn schon ohne den anderen? Ohne den Menschen, an den man sich so sehr gewöhnt hat?

Achtung: Scha(r)fe Kurve!

Das mittelglückliche Paar entschließt sich also für einen Orts-und Luftwechsel in den Schweizer Alpen. Er, Nick, möchte sich als Koch mit diversen, neuen Rezepten weiterbilden, sie, Anna, möchte endlich ein erwachsenes Buch schreiben und ihre Schreibblockade lösen. Es bleibt jedoch vorerst bei Kapitel 1. Denn während der Fahrt ins Schweizer Chalet kollidiert man mit einem Schaf.

Plötzlich geschehen seltsame Dinge

Danach gerät die Realität mehr und mehr aus den Fugen, Schweizer, - wie Wiener Welt scheinen miteinander zu verschwimmen. Anna glaubt mehr und mehr, (Birgit Minichmayr) den Verstand zu verlieren. Zeit und Raum werden plötzlich relativ, sie kann Realität und (Wahn-)Vorstellung nicht mehr unterscheiden. Viel Symbolik liegt dabei in den Bildern, man nehme nur den rotgefärbten Tunnel, der von der Straße des Lebens direkt in den unausweichlichen Tod führt. Irgendwann. Sinnbildlich gesprochen.

Zwischen Mordgelüsten und panischer Angst

Oder will ihr Mann Nick (Philipp Hochmair) - ein Wolf im Schafspelz? - sie in den Wahnsinn treiben? Vielleicht gar umbringen? Im Traum tun sie es, abwechselnd. Betrügen tut er sie längst. Nicht nur mit der attraktiven Nachbarin Andrea vom Stock über ihnen, nein auch mit der feschen Eisverkäuferin am See und am liebsten auch gleich mit der jungen Frau namens Mischa, die einstweilen auf die Wiener Wohnung schaut. Selbst der schwarze, sprechende Kater weiß davon. Die Wahrheit schmerzt, ist da ja noch immer ein Gefühl von Liebe, bei beiden. Minichmayr und Hochmair brillieren hier als schickes Ehepaar in der Mittelstands-Krise. Beide wirken unglaublich authentisch, vertraut und extrem nah.

Der "Inception-Moment"

Der "Mystery-Alpenthriller" liegt irgendwie zwischen schwarzer Komödie und nervenzerreissender Suspence-Tragödie. Gepackt mit viel schwarzem Humor und wunderschönen Naturaufnahmen fesseln vor allem die kleinen, scheinbar unwichtigen Momente, wie verschlossene Türen, sprechende Katzen und eine Gabel mitten im See. Es ist genau jener "Inception-Moment", der uns erahnen lässt, dass man gerade einen Traum im Traum erlebt. Weil kurz danach eh wieder alles beim Alten ist. Oder war das auch nur eine Illusion? Und um den Titel des Films auch noch zu rechtfertigen: agieren die Tiere hier als symbolische Wegweiser oder als Todesankünder? Als einzig echter Vertrauter des Menschen oder als falsches Zauberwesen? Sind gar die Menschen ob ihres (sexuellen) Triebwahns die eigentlichen Tiere? Zur Info: Tiere kamen beim Dreh übrigens keine zu Schaden.

Alpen-Lynch mit perfekter Besetzung

Großartig auch der Auftritt von Mona Petri als Andrea, Mischa und Eisverkäuferin, die im Film alle drei Rollen übernimmt und durch diese Absurdität dem Ganzen einen wunderbaren Lynch-Geschmack einhaucht. Michael Ostrowski (als verzweifelt-wahnhafter Ex von Andrea) steht übrigens auch das ernste Rollenfach. Der Mann ist durch und durch authentisch und ehrlich im Spiel, egal ob lustig oder tragisch. Der Doktor für's Grobe: Mehdi Nebbou, der einen unglaublichen Schmerz und eine tiefe Fassungslosigkeit in seine Augen legt.

Zwischen grenzgenial und verstörend

Der Alptraum, der einem vor-illusioniert wird, nimmt ein überraschendes Ende. Und lässt den Zuseher staunend, sprachlos und fragend zurück. Erinnern Sie sich an das Gefühl, als sie zum ersten Mal "Mulholland Drive" von David Lynch sahen? Genau so ist es hier auch. Ein Film zwischen "grenzgenial und extrem verstörend". Und vor allem - zum Nachdenken anregend. Eine Liebesgeschichte der ganz anderen Art. Ein Film, der uns vielleicht sogar wieder ein wenig mehr ins Hier und Jetzt befördert.

Kinostart ist am 17. November.

Trailer:

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