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"Unser Bus wurde von der Strömung mitgerissen"

Heute Redaktion
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Zwei deutsche Touristen schliefen in ihrem VW-Bus auf einem Parkplatz, als sie von Wassermassen überrascht wurden. Die Geretteten hatten "ungeheures Glück".

Zwei deutsche Touristen, Philipp* und Jonas*, wurden letzte Woche von den Niederschlägen in Splügen in der Schweiz überrascht. Die beiden nächtigten auf einem Bergbahnparkplatz in einem blauen VW-Bus, als sie am frühen Morgen aufgrund des Hochwassers in einer spektakulären Aktion gerettet werden mussten. "Der Rand des Parkplatzes wurde von den Wassermassen mitgerissen – gemeinsam mit dem Fahrzeug", erklärt der Mediensprecher der Kantonspolizei Graubünden.

Philipp* und Jonas*, wie geht es euch im Moment?

Wir waren zuerst einmal sehr erleichtert, dass wir gerettet waren, gleichzeitig auch geschockt – die ganze Situation war irgendwie unwirklich und noch nicht ganz fassbar. Mit den Bildern und Berichten in der Presse wurde uns die Dramatik und Lebensgefahr und unser großes Glück dann noch deutlicher vor Augen geführt. Wir sind zur Zeit im Kanton Aargau und sind dabei, das erlebte Schritt für Schritt zu verarbeiten und die Konsequenzen anzugehen.

Was habt ihr hier in der Schweiz unternommen?

Wir sind letzten Dienstag in die Schweiz eingereist und waren zu Kletterferien unterwegs zu einem Campingplatz ins Tessin.

Ihr habt dann euren VW-Bus auf den Bergbahnparkplatz in Splügen abgestellt. Wie kam es dazu?

Wir kamen mitten in der Nacht an. Auf der Durchreise ins Tessin kamen wir in ein Gewitter und entschieden uns daher, auf dem öffentlichen Parkplatz zu übernachten. Wir hatten den Bach bemerkt, vom Auto bis zum Bach waren es jedoch mehrere Meter. Nicht im Traum hätten wir daran gedacht, dass ein steigender Wasserspiegel den Parkplatz unterspülen und uns den Boden unter unseren Füssen wegreißen könnte...

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Wie habt ihr reagiert, als ihr gemerkt habt, dass das Wasser kommt?

Ich habe im Schlaf eine Bewegung des Fahrzeugs wahrgenommen und bin dadurch aufgewacht. Das Gewitter hatte mich schon früher in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Ich richtete mich auf und schaute aus dem großen Heckfenster des VW-Busses.

Zur linken Seite sah ich stark strömendes Gewässer und zur rechten Seite sah ich den Parkplatz, an dessen Kante wir standen. Ich war geschockt, dachte aber, wir hätten noch eine Chance, mit dem Bus schnell wegzufahren. Ich weckte meinen Cousin Philipp. Er sprang auf und wollte die Zündung des Wagens starten.

In diesem Moment passierte es: der Wagen rutschte rückwärts in den Fluss herein und wurde von der Strömung mitgerissen. Wir blickten uns an und wussten beide, dass die Situation soeben ernst geworden ist.

Der VW-Bus verfing sich nach einer halben Drehung im Gewässer an einem Stein – zum Glück. Allerdings war uns auch jetzt noch klar, dass wir alleine diese Situation nicht lösen konnten – wir brauchten Hilfe.

Wie ging es dann weiter?

Wir ließen sofort die Fenster herunter, um nicht im Fahrzeug gefangen zu sein und Philipp rief den Notruf an. Wir beide wussten nicht, wo genau wir in der Nacht zum Übernachten geparkt hatten. Der letzte Ortsname, der mir auf der Fahrt aufgefallen war, war "Sufers". Der Beamte des Notrufs fragte, ob wir aussteigen könnten. Wir entdeckten zwischen dem tobenden Gewässer eine Art kleine Kiesbank mit drei Felsbrocken, an der unser Auto hängengeblieben war.

Wir schnappten die auf dem Beifahrersitz liegenden Kletterhelme, die wir am Tag vorher noch für einen Klettersteig in Österreich genutzt hatten, und kletterten aus der Beifahrertür des Wagens. Die Gefahr war noch nicht gebannt, fühlte sich aber von nun an an wie beim Whitewater-Rafting, bei dem wir beide schon Erfahrungen mit stark reißenden Gewässern gemacht hatten. Wir versuchten, das Gewässer zu überqueren, aber schnell war klar, dass die Strömung viel zu stark war, um eine Chance auf eine sichere Überquerung haben zu können.

Was ging euch da durch den Kopf?

Da wir sehr unsicher waren, ob die alarmierte Hilfe uns irgendwie finden würde, berieten wir uns inmitten des Flusslärms, wie wir aus eigener Kraft zurück ans Flussufer kommen könnten. Philipp versuchte, durch das Werfen eines Steins die Fahrer des zweiten parkenden PKW's auf uns aufmerksam zu machen, aber diese schienen noch zu schlafen.

Wir dachten an das Kletterseil, das in dem Kofferraum des VW-Busses lag. Dann entdeckten wir ein Auto auf der nicht weit entfernten Straße, wir riefen nach Hilfe. Es fuhr vorbei. Kurz danach ein zweites Auto, zweiter Versuch. Es hielt an, parkte auf unserem Parkplatz und der Fahrer winkte uns zu. Wir waren ein wenig beruhigt, früher oder später würde Hilfe kommen!

Wart ihr erleichtert?

Ja, aber schnell wurde uns unser nächstes Problem klar: Die Kälte. Das eiskalte Wasser kühlte besonders unsere nackten Füsse schnell herunter. Auch das spritzende Wasser und die noch kühle Morgenluft machte vor allem Philipp, der nur im T-Shirt geschlafen hatte, zu schaffen. Wir setzten uns nah aneinander, um uns ein wenig gegenseitig zu wärmen und harrten aus. Bald hatte sich eine große Rettungsmannschaft auf der anderen Seite versammelt, die intensiv beriet, wie sie uns retten könnten. Währenddessen trugen die Fluten immer mehr von der ehemaligen Parkfläche ab und vergrößerten den Abstand von uns zum Ufer mehr und mehr. Das Rettungsteam spannte ein Seil und organisierte einen Kran, der zufällig in der Nähe war. So langsam wurden wir immer zuversichtlicher, dass wir relativ unversehrt davonkommen würden und einen Riesen-Glücksengel hatten!

Wie verlief die Rettungsaktion?

Nachdem wir rund eine Stunde auf den Steinen ausgeharrt hatten, begann die Rettungsaktion. Unsere beiden Lebensretter wurden an Gurten am Kran befestigt und zu uns herübergeschwenkt. Wie man im Bild sieht, ergriff ich das Bein eines Retters, um den Retter zu uns herüberzuziehen. Je ein Retter konnte uns dann sichern und wir konnten ans Ufer gezogen werden. Im Krankenwagen erhielten wir einen medizinischen Check. Unsere Unterkühlung wurde umgehend behandelt und wir wurden warm eingepackt - meine Körpertemperatur war auf 35 Grad und Philipps auf 33 Grad abgesunken.

Ansonsten sind wir mit einigen Schürfwunden und Philipp mit einer kleineren Fußverletzung und mit einem Schock davongekommen.

Was nehmt ihr aus dem Erlebnis mit?

Wir sind sehr dankbar und sehr beeindruckt, wie schnell und organisiert unsere Bergung vonstatten gegangen ist. Wir möchten dieses Interview vor allem nutzen, um allen Beteiligten ganz herzlich zu danken - dem Autofahrer, der uns entdeckte, den Ernst der Situation erfasste und Hilfe organisierte, dem Notfall-, Polizei- und Feuerwehrteam, das sehr professionell, kompetent und selbstlos unsere Rettung realisierte, der Baufirma und dem Kranführer, die ihren Kran zur Verfügung stellten, den aufmunternden Sanitätern, die unsere medizinische Versorgung sicherstellten.

Unser ganz großer Dank gilt besonders den beiden mutigen und unerschrockenen Rettern, die uns vom Kran aus den Fluten gerettet haben. Der von Philipp geliebte und selbst umgebaute VW-Bus wurde nach unserer Rettung mit den Fluten mitgerissen und bis heute nicht wiedergefunden.

*Namen der Redaktion bekannt