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"Vergeude ich nur noch meine Zeit mit ihr?"

Linus gibt alles, um seine Freundin zu verführen. Der Lohn dafür ist drei Mal im Jahr Blümchensex in der Missionarsstellung. Langsam hat er genug.

Heute Redaktion
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Linus gibt alles, um seine Freundin zu verführen...
Linus gibt alles, um seine Freundin zu verführen...
Bild: iStock

Frage von Linus (25) an Doktor Sex: Ich habe seit sechs Jahren eine Freundin. Zu Beginn lief alles super und wir hatten mehrmals pro Woche Sex. Aber seit wir zusammengezogen sind, ist alles anders. Obschon ich mir immer total Mühe gebe, um ihr zu zeigen, dass ich sie liebe und sexuell attraktiv finde, haben wir mittlerweile gerade noch zwei bis drei Mal im Jahr Blümchensex in der Missionarsstellung. Wenn ich mit ihr darüber reden will, weicht sie aus und sagt, sie wisse es und wolle es ändern. Schlussendlich geschieht aber nie etwas. Vor einiger Zeit beschloss ich daher, meine Taktik zu ändern: In der Hoffnung, dass sie sich mir so wieder zuwendet, zeigte ich ihr nur noch die kalte Schulter. Aber auch das hat rein gar nichts genützt. Langsam bin ich am Ende mit meinen Möglichkeiten und meine Unruhe nimmt zu. Liebt sie mich überhaupt noch oder vergeude ich nur meine Zeit mit ihr?

Antwort von Doktor Sex

Lieber Linus

Auch wenn ich Verständnis habe für deine Not: Ein wenig lachen musste ich trotzdem über den doch etwas hilflos anmutenden Versuch, deine Freundin mit "Liebesentzug" zu mehr Nähe zu bewegen. Dass du zu einer solch paradoxen Intervention greifst, zeigt mir, dass dein Leidensdruck groß sein muss. Auch wenn sich bei dir Ohnmachtsgefühle breitmachen, angesichts der Erkenntnis, mit deinen Möglichkeiten am Ende zu sein, hat diese Situation einen entscheidenden Vorteil: Indem du all das erfolglos ausprobiert hast, was in deiner Macht steht und deinem Denken zugänglich ist, wird nämlich Entwicklung über die dir bekannten Grenzen hinaus möglich.

Nichts bleibt, wie es ist. Alles ist in einem steten Wandel unterworfen. So schmerzlich es für dich vielleicht klingen mag: Dies gilt genauso für deine Beziehung wie für den Sex. Mit anderen Worten: Der Versuch, einen bestimmten, als angenehm und erfüllend wahrgenommenen Zustand für immer aufrechterhalten zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt – und daher sinnlos. Diese Erkenntnis bedeutet nun aber nicht, dass du Schluss machen und dir eine andere Partnerin suchen musst. Jedoch erfordert sie eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Phänomen Beziehung und deinen Vorstellungen davon. Und es sind auch Überlegungen zur Sexualität und ihrem Stellenwert in einer Partnerschaft notwendig.

Für Jiddu Krishnamurti, einen Philosophen, der im 20. Jahrhundert gelebt hat, ist der eigentliche Sinn der Beziehung, sich in einem Prozess selber zu erkennen und darin den Zustand des eigenen Wesens total zu enthüllen. Beziehung wirkt für ihn also wie ein Spiegel, in dem man viel über sich selber herausfinden kann. Vielleicht magst du dich auf diese Betrachtungsweise einlassen und dir überlegen, was denn deine Not über dich aussagt, über deine Haltung und dein Denken bezüglich Beziehung? Und was du daran ändern könntest, um so auf das Geschehen zwischen dir und deiner Partnerin Einfluss zu nehmen? Könnte es sein, dass du dir das partnerschaftliche Zusammensein zu sehr als Wohlfühloase ohne tieferen Sinn vorstellst? Ist es möglich, dass du eine unrealistische Vorstellung davon hast, wie Sex nach sechs Jahren Beziehung sein sollte? Bist du in der Lage und willens, ein gewisses Maß an Entbehrung und Spannung auszuhalten? Oder glaubst du, dass eine Partnerin vor allem dazu da ist, sexuelle Wünsche zu befriedigen und auch sonst dafür zu sorgen, dass es dem Mann möglichst gut geht?

Falls du statt Selbstkritik zu üben lieber an der Überzeugung festhalten möchtest, dass du alles Menschenmögliche schon getan hast und daher nur deine Freundin "schuld" sein kann an deinem Unglück, ist es naheliegend, die Konsequenzen zu ziehen und einen Strich unter eure Beziehung zu machen. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass du in einer neuen Partnerschaft bald wieder am selben Punkt landen wirst, schätze ich als ziemlich hoch ein. Womöglich wirst du dann jedoch erkennen können, dass es in einer Beziehung kein konstantes Glück gibt, weder sexuell noch sonst, und dass es auch nicht darum geht, einander ständig die Wünsche von den Augen abzulesen, um sich gegenseitig ein Leben wie im Märchen zu ermöglichen. (wer) (red)