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"Warum ist sexuelle Exklusivität so wichtig?"

Seit Livio herausgefunden hat, dass er Sex und Beziehung gut trennen kann, stellt er sich eine Grundsatzfrage.

Heute Redaktion
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Bild: iStock

Frage von Livio (34) an Doktor Sex: Ich lebe in einer Partnerschaft und liebe meine Freundin sehr. Wir können gut miteinander sprechen, haben eine ähnliche Weltanschauung und teilen gemeinschaftliche Interessen. Jedoch können wir auch unseren individuellen Vorlieben nachgehen oder uns mit Freunden und Kollegen treffen. Es läuft also alles rund und wir leben auf eine Art zusammen, wie viele andere Paare wohl auch.

In meinen vergangenen Beziehungen war ich nicht immer treu und weiß daher, dass ich Sex und Beziehung gut auseinanderhalten kann. Nun frage ich mich, ob ich mit dieser Eigenheit zu einer – gegebenenfalls – krassen Minderheit gehöre und ob diese Fähigkeit geschlechterspezifisch ist? Ich würde meiner Partnerin das Recht auf Sex mit anderen auch einräumen. Aber sie scheint einfach keine Lust darauf zu haben.

Antwort von Doktor Sex

Lieber Livio

Ehrlichkeit und Treue sind Eigenschaften, die sich die meisten Menschen bei ihrem Gegenüber wünschen. Aus wissenschaftlicher Perspektive gibt es aber keinen Grund zur Annahme, dass wir von Natur aus monogam sind. Für die Arterhaltung ist es nicht entscheidend, in welcher Beziehungskonstellation der Nachwuchs gezeugt wird. Hauptsache, er wird gezeugt und kann danach überleben. Dies ist aber auch in anderen Formen des Zusammenlebens möglich als in der heterosexuell-monogamen Ehe des Bürgertums.

Dass Frauen insgesamt weniger zu Promiskuität neigen als Männer, hat letztlich wohl vor allem damit zu tun, dass sie es sind, die in einer auf der Kleinfamilie aufbauenden Gesellschaft die Folgen einer unerwünschten Schwangerschaft weitgehend allein tragen müssen. Vielleicht gibt es dafür aber auch eine genetische Veranlagung.

Monogamie ist ein romantisches Beziehungsideal, welches durch gesellschaftliche Strukturen und Sozialisation aufrechterhalten wird – auch in Form von Kitschromanen, Hollywoodfilmen und Schlagerschnulzen – und Paaren auf die Dauer das Zusammenleben zur Hölle macht. Wer seinem Impuls folgt, landet unweigerlich im Chaos. Und handelt er oder sie dann auch noch nach dem Motto "Wenn schon nicht treu, dann wenigstens ehrlich", ist die Katastrophe perfekt. Weil viele Menschen in einem Entweder-oder-Schema denken, wenn es um sexuelle Treue geht, beenden sie die Beziehung, sobald der Partner oder die Partnerin Sex mit jemand anderem hat. Auch dann, wenn sie auf allen Ebenen gut und wertvoll ist.

Egal, welches Geschlecht man hat: Unterschiedliche sexuelle Bedürfnisse zu haben, ist die Regel und nicht die Ausnahme. Über kurz oder lang ist kein Mensch gefeit davor, sexuelle Phantasien und Wünsche auf andere Personen als den Partner zu projizieren. Wegschauen hilft daher nicht. Sinnvoller ist vielmehr, in einer Beziehung von Anfang an davon auszugehen, dass Sex nach der anfänglichen Verliebtheit etwas ist, dass man auch mit anderen Menschen teilen könnte. Und entsprechende Regeln für den Umgang mit sexuellen Beziehungen außerhalb der Partnerschaft zu installieren. Die Möglichkeit zu haben, bedeutet ja nicht zwingend, sie auch auszuleben. Und manchmal ist das Wissen, dass man etwas ganz und gar selbstbestimmt tun könnte, letztlich der Grund, es sich zweimal zu überlegen und möglicherweise danach nicht zu tun.

Deine Frage an Doktor Sex: [email protected] (wer)

(mp)