Österreich

Alltagspoet: Er schaut Wien auf den Mund

Heute Redaktion
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Wer hört noch zu? Wir wollen uns alle abstöpseln von der Umwelt und den Menschen um uns herum. Einer macht genau das Gegenteil und hat damit Erfolg.

Andreas Rainer (38) ist ein wahrlich guter Zuhörer. Als Gründer der Facebook und Instagram-Seite „Wiener Alltagspoeten" hat er es sich zur Aufgabe gemacht Dialoge und Aussagen auf Wien's Straßen in Textbilder zu fassen. Er postet täglich Sprüche aus dem Wiener Alltag, die tatsächlich so gesagt wurden und für Lacher sorgen.

Wien: Eine Schatztruhe voller lustiger Dialoge

„Ich bin ja Wiener und ich finde, wenn man durch Wien geht und in der U-Bahn fährt oder in der Straßenbahn sitzt oder auch im Büro oder im Supermarkt an der Kassa steht, erlebt man viele skurrile, lustige, bewegende Momente. Ich habe schon länger die Idee gehabt, dass man das aufschreiben sollte. Und irgendwann habe ich damit angefangen und die Seite auf Instagram gestartet."

Vor rund eineinhalb Jahren startete der 38-jährige humorvolle Journalist auf Instagram, einem Medium, dass hauptsächlich mit Bildern Erfolge feiert, Texte zu posten: "Ich habe mir gedacht, ich mache eine Seite auf Instagram, wo keine Fotos sind, keine Bilder, nur Text und, wo ich mich überhaupt nicht selbst inszeniere. Das hat viel besser funktioniert, als ich mir dachte. Ich hatte es als Spaßprojekt initiiert und jetzt hat es doch eine gewisse Größe erreicht."

Grätzl-Unterschiede: Postings sind nach Bezirken gegliedert



„Die Menschen können sich damit identifizieren", betont er. Zusätzlich sind die Postings nach Bezirken aufgegliedert, hier sieht man auch die Unterschiede in den Grätzln. „Besonders gut gehen die, wo die klassischen Wiener Fähigkeiten zutage kommen, wie die Ungeduld und die Unfreundlichkeit", erklärt der Journalist ironisch.

Wien: "Anderswo ist es no' gschissener"

Laut dem Wiener Alltagspoeten gab es einen absoluten Favoriten seiner Postings: „Eins das sehr gut gegangen ist, wie Wien wieder zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt wurde. Da gab es einen sehr lustigen Dialog auf der Donauinsel. Eine ältere Dame hat zu einem Mann gesagt: ‚Hey, hast schon gehört, Wien ist wiedermal zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt worden.' Und ihr Mann antwortet darauf: ‚Naja, anderswo ist es halt noch gschissener'. Das war definitiv einer der beliebtesten Posts. Oft postet er Dialoge, manchmal auch nur Zitate.

Jeder kann ein Wiener Alltagspoet sein

Am Anfang war der Texter alleine unterwegs um den Menschen bei ihren Dialogen in der U-Bahn, auf den Straßen oder im Cafè zuzuhören. Mittlerweile bekommt er 5-6 Einsendungen täglich von seinen Follower. Rainer: „Ich liebe halt den Wiener Schmäh. Ich finde, der Wiener Schmäh ist das, was Wien zu Wien macht. Es ist halt schön, wenn das gesammelt wird. Mich freut es sehr, wenn ich sehe, dass es den Leuten so taugt. Das Feedback von Leuten ist echt toll und ich bekomme viele Zusendungen von den Leuten, die mir sagen, dass sie das super finden und das ist eigentlich meine Hauptmotivation."

Die Postings, die besonders gut gehen, sind die, wo die ganz klassischen Wiener Fähigkeiten zu Trage kommen, wie zum Beispiel: die Ungeduld und die Unfreundlichkeit. Wie bei der Bäckerei im ersten Bezirk. Ein Tourist fragt nach einem Mehrkornweckerl. Der Bäcker antwortet: „Hamma net. Nächster." Er gibt dem Kunden also keine Chance, was Neues zu bestellen. Eine Chance hast du gehabt, was zu bestellen. Nicht geschafft und weiter geht es.

Wien ist die Hochzeit zwischen Schmäh und Tragödie

Der Alltagspoet ist also ständig hin und her gerissen, zwischen

Schmäh und Tragödie. Er ist sich sicher, dass in Wien die Poesie auf der Straße liegt. „Nehmt die Kopfhörer raus, hört den Menschen zu, ihr verpasst was", rät Andreas Rainer den Wienern, „denn in Wien liegt der Schmäh und die Poesie auf der Straße."

In einem Posting aus Meidling verlässt eine Dame das Fitnesscenter. Sie ruft ihre Freundin an: „Ich gehe gerade aus dem Fitnesscenter und jetzt hau' ich mir mal a Red Bull und a Tschick rein." Für den Wiener Alltagspoeten ist Wien: "Einerseits der Schmäh, andererseits die Wiener Gemütlichkeit und auch dieser wandelnder Wiener Grant, der ebenso mit dem Schmäh untrennbar verbunden ist".

Ob die Dialoge wirklich alle genauso stattgefunden haben, kann der Poet nicht garantieren, denn eine Kontrolle gebe es keine. "Freude soll es machen, die Menschen unterhalten und vielleicht wird in absehbarer Zeit ein Buch aus den Zitaten fertig", fasst er zusammen und rät: "Wenn ihr etwas Spannendes hört, in der U-Bahn oder auch im Büro, dann könnt ihr mir das senden per Instagram oder auch auf meiner Facebookseite. Ein kleiner Tipp: Heutzutage rennen alle mit den Kopfhörern herum um sich abzukapseln. Nehmt die Kopfhörer heraus, es passiert wahnsinnig viel Lustiges und ihr verpasst etwas, wenn ihr immer die Kopfhörer drinnen habt."



Wer ist Andreas Rainer?

Andreas Rainer ist der Wiener Alltagspoet. Er ist Journalist, hat davor lange im Ausland gelebt: In Amerika an zwei Unis unterrichtet und studiert sowie ein Jahr auch in Kanada verbracht. Auch innerhalb von Wien hat er in vielen unterschiedlichen Bezirken gewohnt und durch seine Zeit im Ausland einen Blick von Außen auf seine Heimatstadt bekommen. Das ist einerseits sehr hilfreich für seinen Job, aber auch für die Seite „Wiener Alltagspoeten". Heute verbringt er seine Zeit neben dem Schreiben von Alltagspoesien als Journalist, Texter, Wienerisch Trainer und Social-Media-Berater. Er ist der Autor des Buches "Wien für Deutsche" und wurde für die Shortlist 2015 bzw Longlist 2016 des FM4 Wortlaut Literaturwettbewerbes nominiert. (no)