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"Will Madrid keinen Dialog, verhungert Puigdemont"

Heute Redaktion
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Carles Puigdemont erklärte am Dienstag die Unabhängigkeit von Spanien für vorerst aufgeschoben.
Carles Puigdemont erklärte am Dienstag die Unabhängigkeit von Spanien für vorerst aufgeschoben.
Bild: picturedesk.com

Die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens ist vorerst ausgesetzt. Das Spiel auf Zeit könne nur aufgehen, wenn Madrid zu Gesprächen bereit ist, sagt ein Spanien-Experte.

Kataloniens Regionalpräsident Carles Puigdemont hat die Unabhängigkeit von Spanien vorerst nicht ausgerufen. Zwar sagte Puigdemont am Dienstagabend vor dem Regionalparlament in Barcelona, er nehme das "Mandat" der Katalanen für eine Unabhängigkeit an – zugleich bat er aber die Abgeordneten darum, die Unabhängigkeitserklärung zunächst "auszusetzen", um in den kommenden Wochen einen Dialog mit Madrid einleiten zu können. Spanien-Experte Kai-Olaf Lang von der Stiftung für Wissenschaft und Politik hat die Lage in Spanien für die Schweizer Zeitung "20 Minuten" beurteilt.

Herr Lang, Puigdemont will mit der Unabhängigkeitserklärung noch warten und mit Madrid in den Dialog treten. Wie schätzen Sie seine Ankündigung ein?

Es war eine sehr vorsichtige Rede. Puigdemont hat versucht, einen Spagat hinzubekommen. Auf der einen Seite kann er das Ergebnis des eigenen Referendums nicht ignorieren, sonst würde er von seiner Basis nicht mehr ernst genommen. Es ist auch seine Überzeugung, dass er sich daran halten muss. Der Druck auf ihn, die Unabhängigkeit auszurufen war groß. Gleichzeitig hat er sich gegen einen raschen Marsch Richtung Eigenständigkeit entschieden: Er will die Tür für Gespräche mit Madrid nicht zuschlagen. Jetzt hat er Zeit gewonnen und den Ball Madrid zugespielt.

War das richtig?

In der jetzigen Situation ja. Hätte er den Startschuss zur Eigenstaatlichkeit gegeben, wäre Madrid sofort und sehr hart gegen die katalanische Regierung vorgegangen: Eine neue Eskalation wäre hereingebrochen, eine Kollision mit dem spanischen Staat. Insofern hat er jetzt nochmals versucht, einen Gesprächskorridor zu öffnen – das ist staatsmännische Verantwortung.

Madrids Voraussetzung für den Dialog war, dass Katalonien von einer Unabhängigkeitserklärung absieht. Das ist jetzt passiert, Puigdemont kann den Spiess jetzt quasi umdrehen und das Gespräch verlangen.

Was passiert jetzt?

Man muss Madrids Reaktion abwarten. Der Zentralregierung wird es aber sehr schwer fallen, Gespräche zu eröffnen. Das gilt auch für eine internationale Vermittlung zuzulassen. Das wäre ein Eingeständnis von Schwäche. Rajoy steht ebenfalls unter großem Druck, von seiner Partei, der spanischen Öffentlichkeit. Akzeptiert er jetzt internationale Vermittler, wäre das ein Signal von "Ich habe es nicht im Griff". Er wird davon ausgehen, dass seine Strategie der Härte gefruchtet hat und Barcelona im letzten Moment vor der Unabhängigkeitserklärung zurückgeschreckt ist. Madrid wird aber in keinem Fall über die Abhaltung eines Referendums mit sich reden lassen.

Welche Reaktionen sind seitens Puigdemonts Basis zu erwarten?

Teile seiner Anhängerschaft sind sicher nicht zufrieden. Die antikapitalistische CUP-Partei und andere Befürworter der Unabhängigkeit halten das Abstimmungsresultat für ein klares Mandat, das die Regionalregierung dazu ermächtigt, effektive Schritte zu unternehmen. Dieser Teil ist zwar nicht die Mehrheit, aber doch relevant. Die zu allem Entschlossenen und die Lautigten zusammenzuhalten, ist nun die Herausforderung für Puigdemont.

Was, wenn Madrid den Dialog nicht will?

Dann verhungert Puigdemont. Das wäre das Zeichen, dass all die Kompromiss- und Gesprächsbereitschaft nicht funktioniert hat. Puigdemont wäre dann in der Situation, entweder abzutreten oder aber alle Kräfte der Entschlossenen zu bündeln und die einseitige Unabhängigkeit doch noch auszurufen. Die Unabhängigkeitserklärung ist zunächst ausgesetzt, aber ewig durchhalten kann er das nicht. Es ist immer noch eine heikle Phase. Puigdemont hat einen Befreiungsschlag gemacht. Das Konzept kann aber nur aufgehen, wenn Madrid den Dialog annimmt. Und das ist offen. Die große Eskalation ist vorerst abgewendet, aber die Ungewissheit geht weiter. (kko)