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234 Tote pro WM-Spiel, jetzt gibt FIFA Katar-Fehler zu

In Katar werden weiterhin Arbeitsmigranten ausgebeutet. Die FIFA reagiert überraschend auf die Anschuldigungen.

20 Minuten
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Die WM in Katar steht in der Kritik
Die WM in Katar steht in der Kritik
IMAGO

Ende 2022 startet die Fußball-WM in Katar (21. November bis 18. Dezember). Das Turnier ist umstritten. Auch, wenn FIFA-Boss Gianni Infantino bei der WM-Auslosung groß tönte: "Es wird das beste Turnier, das die Welt je gesehen hat." Viele Menschen sind davon nicht überzeugt. Fragen sich: Wird es das wirklich?

Der WM-Gastgeber steht praktisch seit der Vergabe Ende 2010 wegen der Menschenrechtslage und der Bedingungen für ausländische Arbeiter in der Kritik. Im Mittelpunkt stand und steht das sogenannte Kafala-System, das Arbeitnehmern aus dem Ausland praktisch alle Rechte nimmt. Der "Guardian" schrieb vor einem Jahr von mehr als 6.500 toten Arbeitern aus Südostasien. Ende 2021 gab das ZDF bekannt, dass mindestens 15.000 Arbeiter gestorben seien. Oder um es mit anderen Worten zu sagen: Ein WM-Spiel kostet mindestens 234 Menschenleben. Und das ist nicht die einzige Kritik.

Amnesty zufolge schränkten die Behörden das Recht auf Meinungsfreiheit vor der WM "noch stärker ein". Zuletzt hat sich ein katarischer Offizieller gegen das Zeigen von Regenbogenfahnen bei der WM in Katar ausgesprochen – weil er mögliche Angriffe befürchtet. Und einer 27-jährigen Frau drohen laut "Spiegel" nach einer Vergewaltigung 100 Peitschenhiebe – wegen "Sex außerhalb der Ehe". Sie war als Mitarbeiterin einer FIFA-Organisation in Katar. Und nun – Tage nach der WM-Gruppenauslosung – werden neue Vorwürfe laut.

So wirft Amnesty International privaten Sicherheitsfirmen im WM-Gastgeberland Katar die Ausbeutung von Arbeitsmigranten vor. Die Menschenrechtsorganisation teilt mit, dass diese "schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen", die "teilweise Zwangsarbeit" entsprächen, ausgesetzt gewesen seien. So hätten Arbeiter gegen ihren Willen und unter Androhung von Strafen Arbeit verrichten müssen. "Manche von ihnen mussten bis zu 84 Wochenstunden arbeiten – und das mit dem Wissen der katarischen Regierung", so Amnesty.

Die happigen Vorwürfe stützt Amnesty auf Gespräche mit 34 Sicherheitskräften, allesamt Wanderarbeitnehmer, von acht Sicherheitsfirmen. Sie berichten, dass sie monatelang oder sogar jahrelang ohne einen einzigen freien Tag arbeiteten. Sie erzählten, dass ihre Arbeitgeber sich weigerten, den wöchentlichen Ruhetag einzuhalten, der nach katarischem Recht vorgeschrieben ist. Arbeitnehmer, die ihren freien Tag trotzdem nahmen, seien mit willkürlichen Lohnabzügen bestraft worden.

"Mein ganzer Körper schmerzte so sehr, dass ich es nicht in Worte fassen kann", so beispielsweise Florence. "Wenn wir einen Tag fehlen, ziehen sie dir mindestens Lohn von zwei Tagen ab. Selbst wenn wir ihnen sagen, dass wir im Krankenhaus sind", sagt Godfrey. Lawrence erzählt: "Wenn du frei nimmst, wirst du bestraft. Dann bekommst du einfach weniger Lohn." Als ihm das klar geworden sei, habe er nie wieder einen freien Tag genommen. Musa erzählt, dass gegen ihn eine Anklage wegen "Flucht" erhoben wurde, nachdem er Mitte 2021 gekündigt hatte. Wer sich jetzt fragt, was das Ganze mit der FIFA zu tun hat – nun: Die Befragten waren bei Firmen beschäftigt, die Dienstleistungen für Regierungsministerien und Fußballstadien sowie für andere Infrastrukturprojekte erbracht haben, die für die WM unerlässlich sein werden, Mindestens drei der Unternehmen haben Sicherheitsdienstleistungen für FIFA-Turniere erbracht.

Lisa Salza von Amnesty International sagt: "Unsere Erkenntnisse zeigen erneut, dass die katarische Regierung nicht ernsthaft darum bemüht ist, ihre eigenen Gesetze umzusetzen oder diejenigen zu bestrafen, die sie brechen." Sie fordert die katarischen Behörden dazu auf, Maßnahmen ergreifen, um die Beschäftigten zu schützen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Von der FIFA fordert Salza, dass der Verband Menschenrechtsverletzungen im Sicherheitssektor beseitigt und die "missbrauchten Arbeiter" entschädigt werden.

Die FIFA reagiert auf die Anschuldigungen auf Anfrage von 20 Minuten mit einem Statement. Der Fußball-Weltverband teilt mit, dass er fest entschlossen sei, die Einhaltung der international anerkannten Menschenrechte bei all ihren Aktivitäten und Veranstaltungen sicherzustellen. Ein FIFA-Sprecher meint: "Wir akzeptieren keinen Missbrauch von Arbeitnehmern durch Unternehmen, die an der Vorbereitung und Durchführung der WM beteiligt sind." Weiter schreibt der Verband, dass das Organisationskomitee jedes Unternehmens, das mit der WM in Katar zu tun hat, untersuche. Auch seien während Kontrollen Firmen identifiziert worden, die die erforderlichen Standards nicht einhielten. "Die festgestellten Probleme wurden dann vor Ort behoben", so der Sprecher.

Die FIFA setze sich zudem für die Einhaltung der Arbeitsrechte ein. Und: "Wir lehnen es ab, mit Unternehmen zu arbeiten, die unsere Standards nicht erfüllen." Und dann, am frühen Donnerstagmorgen geben die WM-Organisatoren in einem Statement die Ausbeutung von Arbeitern im Zusammenhang mit Fußball-Turnieren zu. Was für eine Kehrtwende! "Diese Verstöße waren absolut inakzeptabel und haben zu einer Reihe von Maßnahmen geführt, darunter das Platzieren von Auftragnehmern auf Beobachtungslisten oder schwarzen Listen, um zu verhindern, dass sie bei zukünftigen Projekten arbeiten", so die Verantwortlichen gemäß der AP.

Drei Firmen hätten sich in mehreren Bereichen nicht an Regeln gehalten. Ob all dies die Gemüter beruhigt? Fakt ist: Der Fußball-Weltverband gerät in der Causa Katar-WM immer wieder in Kritik. Teils durch Berichte wie jener von Amnesty, teils aber auch durch unbedachte Aussagen von WM-Botschaftern. So verharmloste zuletzt der niederländische Ex-Fußballer Ronald de Boer die Zahl toter Gastarbeiter in Katar. Der 51-Jährige sagte: "Das ist wirklich völliger Blödsinn. Man hat alle Menschen aus diesen zehn Jahren in einen Topf geworfen." Und: "Es sterben Menschen. Egal wie traurig. Aber sie geben einem das Gefühl, dass die Leute von der Hitze des Stadions erschlagen werden."

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