Österreich

62 Verletzte nach Chemie-Unfall mitten in Wien

Heute Redaktion
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Der Austritt von Ammoniak aus einer Großkühlanlage eines Kühlhauses in der Baumgasse hat am Dienstag für einen Großeinsatz im Wiener Bezirk Landstraße gesorgt. Mehr als 39 Personen wurden nach Angaben der Wiener Rettung leicht verletzt, 29 mussten zur Überwachung die Nacht in Spitälern verbringen.

Der Austritt von Ammoniak aus einer Großkühlanlage eines Kühlhauses in der Baumgasse hat am Dienstag für einen Großeinsatz im Wiener Bezirk Landstraße gesorgt. Mehr als 62 Personen wurden nach Angaben der Wiener Rettung leicht verletzt, 29 mussten zur Überwachung die Nacht in Spitälern verbringen. Wie es zu dem Gas-Austritt kam, ist jetzt Gegentand der Ermittlungen.

Die Zahl könnte noch steigen. Das Leck wurde von Technikern der Firma in Zusammenarbeit mit den Experten der Feuerwehr, ausgerüstet mit Gasschutzanzügen, abgedichtet. "Die Lage ist stabil, das Leck geschlossen", informierte Branddirektor Gerald Hillinger.

Augenschmerzen und Atemnot

Die erste Warnung war kurz nach 19.00 Uhr von der Feuerwehr gekommen: "Menschen klagen über Augenschmerzen und Atemnot", berichtete ein Sprecher, der zugleich den Appell an die Anrainer richtete, die Fenster geschlossen zu halten und in den Wohnungen zu bleiben. Dramatische Szenen spielten sich an Ort und Stelle ab: Straßen wurden großräumig gesperrt, die Leute per Lautsprecher aufgefordert, sich vom Freien in geschlossene Räume zu begeben. Die Maßnahmen liefen nach ersten Bilanzen gut koordiniert und professionell ab.

Die Wiener Rettung rückte mit dem gesamten Katastrophenzug aus, sagte Mediensprecher Ronald Packert. Die Feuerwehr erhöhte die Alarmstufe auf zwei. In der Arena wurde das Konzert der Gruppe Eisbrecher abgesagt, das nahe Etap-Hotel auf dem Franzosengraben geräumt, die evakuierten Gäste in anderen Häusern untergebracht. Nach Ende der heutigen Vorstellung des Musicals "Cats" im Zelt auf dem Medienareal Neu Marx sorgten Einsatzkräfte für eine rasche Abreise der Besucher. Einige Fans konnten nicht mehr zum Auftritt von Tim Bendzko in den Gasometer gelangen.

Spätfolgen drohen

"Ammoniak führt schon bei geringem Kontakt mit den Schleimhäuten zu Hustenanfällen und Tränenfluss", erklärte Dieter Sebald, interimistischer ärztlicher Leiter bei der Wiener Rettung. Man könne die Symptome aber gut behandeln, die Helfer an Ort und Stelle hätten über ausreichende Medikamente verfügt. Allerdings: Bei ein "paar Atemzügen zu viel" können auch - durchaus behandelbare - Spätfolgen "wie das gefürchtete toxische Lungenödem" auftreten. "Betroffene werden deshalb zur Sicherheit 24 Stunden lang im Krankenhaus unter Beobachtung gestellt", führte Sebald aus.

Fenster mussten über Nacht geschlossen werden

Besonders gefährdet sind Kleinkinder, ältere Personen oder etwa Menschen mit grippalen Infekten. Der Mediziner riet Anrainern, die Fenster über Nacht weiter geschlossen zu halten. "Die Konzentration verdünnt sich mit der Entfernung", so der Arzt. Ständige Übungen hätten nicht zuletzt dazu geführt, dass "der Einsatz präzise wie ein Uhrwerk ablief".

"Außerhalb des Einsatzortes ist keine Gefährdung gegeben, jedoch muss mit Geruchsbelästigung gerechnet werden", teilte die Feuerwehr mit. Größere Unternehmen wurden gebeten, Lüftungsanlagen auszuschalten. Insgesamt 80 Feuerwehrleute und Chemiker standen im Einsatz. Der Grund für den Austritt war noch Gegenstand der Erhebungen.

Straßenzüge und U-Bahn gesperrt

Im Zuge der Maßnahmen war es zu umfangreichen Straßensperren gekommen. Größere Staus blieben laut ÖAMTC aus. Die U-Bahn-Linie U3 verkehrte nur zwischen Ottakring und Kardinal-Nagl-Platz, die Straßenbahnlinie 18 wurde kurzgeführt. Taxis waren keine mehr zu bekommen. Viele Fußgänger warteten entlang der Sperrzone zunächst an den Haltestellen, machten sich dann aber zu Fuß auf den Weg.

Vergiftete im Krankenhaus

62 Personen waren leicht verletzt. Heute-Leser berichten, dass sie den stechenden Geruch bis hin zum Gasometer wahrnehmen würden. In der Arena wurde das Konzert der Band "Eisbrecher" gemeinsam mit "Lord of the Lost" wegen dem Zwischenfall abgesagt. Das Konzert von Tim Benzko im Gasometer startete dagegen planmäßig, obwohl einige anreisende Besucher wegen der Sperren nicht zum Veranstaltungsort vordringen konnten, wie ein enttäuschter Fan berichtete.

Leserreporter: "Einzige zuverlässige Quelle war Facebook"

Ein Heute-Leserreporter, der auf dem Weg zum "Eisbrecher"-Konzert war, berichtete von dem Vorfall. Er kritisierte die Vorgangsweise der Einsatzkräfte: "Wie viele andere Eisbrecher-Fans wollten wir zu dem Konzert, wurden aber von nicht von der Polizei informiert, sondern von anderen Konzertgästen darauf aufmerksam gemacht, dass der beißende Geruch rund um das Gelände von einem Ammoniakunfall stammt."

Nur sein Internet-Zugang hielt den Leserreporter auf dem Laufenden. "Bedauerlicherweise war die einzige zuverlässige Quelle Facebook, wo uns die Band Eisbrecher den aktuellen Stand der Dinge gepostet hat. Es sind sehr viele Einsatzfahrzeuge vorbei gefahren, aber keines ist bei der rund 50 Menschen großen Gruppe stehen geblieben und hat uns über die Erweiterung der Sperre aufgeklärt."

Furcht vor dem unsichtbaren Gas

"Ich habe Angst", so lautete der Tenor vieler Menschen, die von den Einsatzkräften angewiesen wurden, das Sperrgebiet zu meiden. Viele machten sich zu Fuß auf den Weg zum Kardinal-Nagl-Platz - nur bis dorthin verkehrte die U3. Techniker konnten das Leck bereits schließen. Größere Unternehmen werden gebeten die Lüftungsanlagen auszuschalten. Insgesamt 80 Feuerwehrleuten und Chemiker sind im Einsatz.

Katastrophenzug der Rettung

Der Katastrophenzug der Wiener Rettung wird im Ernstfall eingesetzt und besteht aus acht Fahrzeugen und Anhängern, die von 2006 bis 2009 komplett modernisiert wurden. Der Zug enthält einen leitenden Notarzt, eine Leichtverletzteneinheit, eine Versorgungseinheit, ein Rüstfahrzeug, eine mobile Leitstelle, eine Hauptinspektion und ein  Einsatzfahrzeug der Seiltechnikgruppe.