Gewalt in der Schule. Da denkt man an halbwüchsige Messerstecher, Sittenwächter, Schulhofprügeleien. Aber "Gewalt" ist zu 90 Prozent nicht nur subtiler, sie wird auch immer "jünger". Nun berichtet mir ein fassungsloser Lehrer an einer Schule im Süden Wiens, wie Kinder mit psychischen Beeinträchtigungen schon in der 1. Klasse Volksschule Opfer von Übergriffen durch Mitschüler werden.
So sei ein autistischer Bub von einer Mitschülerin "überredet" worden, sich nackt auszuziehen und seinen Stuhlgang in den Papierkorb in der Klasse zu verrichten. Wie gesagt, da reden wir von 7-Jährigen! Der Lehrer: "Dass wir analfixierte Kinder haben, ist bekannt." Öffentlich abgelegte Corpora delicti würden das belegen. Jetzt gebe es aber bereits "Nachahmungstäter". Was dagegen unternommen werde? Der Lehrer: "Außer wegwischen nichts. Ich halte es für schweren psychosozialen Missbrauch, wenn es unter diesen Umständen keinerlei Einzelbetreuung gibt."
Lage: Sehr traurig
In den Allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) wird statt der vorwissenschaftlichen Arbeit (VWA) ja künftig eine "Arbeit auf vorwissenschaftlichem Niveau mit Abschlusscharakter" verfasst werden, "insbesondere in forschender, gestalterischer oder künstlerischer Form". So heißt es in der neuen Prüfungsverordnung, die Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) schnell noch vorige Woche herausgegeben hat. Erlaubt seien künftig auch Videoreportagen, Podcasts oder Multimediaprodukte. Eine wahre "Reform"... ;-)
In den Berufsbildenden höhere Schulen (BHS) gibt es sie noch, die klassische "vorwissenschaftliche Arbeit" für Maturanten. Jetzt weist mich die Mutter einer HAK-Schülerin darauf hin, dass die Erstellung einer VWA gar nicht unerhebliche Kosten verursacht.
"Die Schüler haben nämlich kaum Zugang zu nicht lizenzierter Literatur. Oft kosten wichtige Einzelartikel schon mehr als 10 Euro. Auch die Uni-Bibliotheken sind nicht frei zugänglich. Meine Tochter steht bei ca. 150 Euro."
Note: Genügend?
Die Trennung in Schüler der AHS und der Mittelschule (MS) im Alter von neun: kaum ein Bildungsexperte, der diese "Zweiklassenschule" made in Austria gutheißt. Jetzt hat sich eine weitere Expertin dazu geäußert. Und zwar rechtzeitig zu den Regierungsverhandlungen, die uns ja einen neuen Bildungsminister bescheren werden, der (oder die) hoffentlich endlich auch die heißen Eisen angreift.
Christiane Spiel, Professorin für Bildungspsychologie und Evaluation an der Uni Wien, zum "Standard": "Wir bräuchten, wie in den meisten anderen Ländern, eine Gesamtschule mit sehr hoher Qualität und innerer Differenzierung, und zwar nicht nach Statusvariablen, sondern nach Interessen und Begabungen der Kinder. Zumindest für die ersten sechs Jahre." Ich sage ja, für mindestens zehn Jahre: von vier bis 14.
Glattauer gibt Noten
Niki Glattauer war 25 Jahre Lehrer und Schuldirektor in Wien. Er hat bisher 13 Bücher veröffentlicht, alle zum Thema Schule wurden Bestseller. Jeden Montag vergibt er in einer Kolumne für "Heute" Schulnoten. Mail bitte an: [email protected]
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Sei's drum, Frau Professor, hier meine Note für Ihren Ansatz: Sehr gut