Gesundheit

Absichtlich infiziert – neue Corona-Studie überrascht

Im Namen der Wissenschaft ließen sich mehrere Freiwillige mit dem Coronavirus anstecken. 53% von ihnen infizierten sich tatsächlich mit dem Virus.

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Für Studienzwecke ließen sich mehrere Freiwillige mit dem Coronavirus anstecken. Das sehen nicht alle Menschen der Wissenschaft als unproblematisch an.
Für Studienzwecke ließen sich mehrere Freiwillige mit dem Coronavirus anstecken. Das sehen nicht alle Menschen der Wissenschaft als unproblematisch an.
PIXSELL / EXPA / picturedesk.com

Mittels Nasentropfen ließen sich 34 Menschen im Alter zwischen 18 und 29 Jahren mit dem Coronavirus infizieren. Doch wie sinnvoll sind diese Versuche am Menschen? Oder sind sie sogar ethisch fragwürdig? Und vor allem, welche Erkenntnisse haben die Forschenden des Imperial College London aus dieser Studie gewonnen?

Von 36 Probanden ließen sich am Ende 34 Personen auf den Selbstversuch ein. Positiv auf das Virus getestet wurden danach 18 Personen. Die Erkenntnis, dass nicht jede Person gleich auf das Virus reagiert, ist nicht neu. Auch warum Menschen stärker oder schwächer bis gar nicht auf das Virus reagieren, ist nach wie vor nicht geklärt. Natürlich könne das Immunsystem eine wichtige Rolle spielen, meint auch Virologe Lawrence Young. Da allen Freiwilligen eine identische Menge an Viren verabreicht wurde, konnte diese Variable außen vor gelassen werden.

Erst im Rachen, dann in der Nase

Die Mitwirkenden konnten jedoch beobachten und nachverfolgen, wie sich das Virus im Körper verhält, berichtet der "Tages-Anzeiger". Zum Beispiel vermehrt sich das Virus anfangs im Rachen. Später ist die Viruslast in der Nase am höchsten. Getestet wurde zweimal wöchentlich und nach vier Tagen konnte im Durchschnitt eine tatsächliche Infektion nachgewiesen werden. Die Viruslast sei am fünften Tag am höchsten gewesen. Doug Brown von der Britischen Gesellschaft für Immunologie lobt die Studie und meint: "Wir erhalten faszinierende Einblicke, wie sich das Virus im Körper ausbreitet und die Infektion fortschreitet."

Beobachtet wurden auch Symptome, die von mäßig bis mittel reichten, aber ebenfalls nicht bei allen auftraten. Von den 18 Infizierten entwickelten 16 Symptome einer Infektion. Den Probanden wurde jedoch weder die Omikron-Variante, noch die Delta-Variante verabreicht, sondern die kaum noch vorhandene Alpha-Variante. Zwei Drittel der Freiwilligen beklagten einen Geschmacksverlust, der bei dieser Variante häufig auftrat.

Ethisch problematisch

Gemessen wurde auch, wann der Organismus beginnt, Antikörper zu entwickeln, was nach vierzehn Tagen einsetzt. Nach weiteren zwei Wochen war die Konzentration weiter angestiegen. Wissenschaftler, die sich für die Studie aussprechen, sind der Meinung, dass diese Studie ein Werkzeug sein könne, wenn es darum gehe, Therapien und weitere Impfstoffe zu entwickeln.

Diese Versuche am Menschen sehen nicht alle Menschen der Wissenschaft als unproblematisch an. Georg Marckmann, Medizinethiker an der Ludwig-Maximilians-Universität in München stufte sie gar als "ethisch sehr problematisch" ein. Grund dafür ist, dass man nicht wissen konnte, ob es für die Teilnehmenden nicht auch zu einem schweren Verlauf hätte kommen können. Er kritisiert auch, dass es nicht um die Entwicklung eines Impfstoffes gehe, sondern lediglich um die Beobachtung, wie sich das Virus verhält. "Was also ist der wissenschaftliche Mehrwert durch diese Erkenntnisse?", fragt Marckmann. Immerhin kostete diese Studie 35 Millionen Euro.

Die Probanden erhielten für ihren freiwilligen Einsatz eine Entschädigung von umgerechnet 5.200 Euro. Ihren Geschmackssinn erlangten die Betroffenen nach rund 90 Tagen wieder zurück.