Österreich

Akademikerball: Josef S. zu 12 Monaten verurteilt

Heute Redaktion
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Am Wiener Straflandesgericht endete der Prozess gegen einen deutschen Demonstranten beim Akademikerball mit einem Schuldspruch. Josef S. wurde wegen Landfriedensbruch, schwerer Sachbeschädigung sowie versuchter schwerer Körperverletzung verurteilt. Das nicht rechtskräftige Urteil lautete 12 Monate Haft, acht davon bedingt. Weil S. seit Jänner in U-Haft saß, hat er diese Strafe bereits abgesessen und geht frei.

Am Wiener Straflandesgericht endete der Prozess gegen einen deutschen Demonstranten mit einem Schuldspruch. Josef S. wurde wegen Landfriedensbruch, schwerer Sachbeschädigung sowie versuchter schwerer Körperverletzung verurteilt. Das nicht rechtskräftige Urteil lautete 12 Monate Haft, acht davon bedingt. Weil S. seit Jänner in U-Haft saß, hat er diese Strafe bereits abgesessen und geht frei.

als Mitglied des sogenannten Schwarzen Blocks an Ausschreitungen beteiligt gewesen zu sein. Er selbst plädierte auf nicht schuldig und machte bei der Verhandlung im Juni von seinem Recht Gebrauch, sich der Aussage zu entschlagen. Ein Enthaftungsantrag war damals vom Gericht abgelehnt worden.

Der Schöffensenat (Vorsitz: Thomas Spreitzer) verhängte über den jungen Mann eine teilbedingte Freiheitsstrafe von einem Jahr. Vier Monate wurden unbedingt ausgesprochen, den Rest der Strafe sah das Gericht dem bisher Unbescholtenen unter Setzung einer dreijährigen Probezeit auf Bewährung nach. Da dem 23-Jährigen die U-Haft auf die Strafe anzurechnen war - der Angeklagte hat seit seiner Festnahme knapp sechs Monate im Gefängnis verbracht -, kam er nach der Verhandlung auf freien Fuß.

"Führende Beteiligung"

Dem erstinstanzlichen Schuldspruch zufolge soll der 23-jährige, aus Jena stammende Student mit einer Reihe von namentlich nicht mehr feststellbaren Personen in gewaltbereiter Absicht an der Demonstration in der Wiener Innenstadt teilgenommen und dabei Anweisungen erteilt und gestikuliert haben. Er wurde demnach wegen "führender Beteiligung" am Landfriedensbruch schuldig erkannt.

Der Senat ging weiters davon aus, dass der Angeklagte die Polizisten unter anderem mit Steinen beworfen, die Eingangstür der Polizeinspektion Am Hof mit einer Eisenstange zertrümmert und mit derselben Stange gemeinsam mit anderen Tätern die Karosserie und die Windschutzscheibe eines Polizeidienstfahrzeugs demoliert hatte, ehe er eine gezündete Rauchbombe ins Fahrzeuginnere warf. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verteidiger Clemens Lahner erbat Bedenkzeit. Der Staatsanwalt verzichtete auf Rechtsmittel.

Polizist "vollkommen glaubwürdig"

Richter Thomas Spreitzer bezeichnete in seiner ausführlichen Urteilsbegründung den im Wesentlichen einzigen Belastungszeugen - einen zu Erkundungs- und Beobachtungszwecken eingesetzten Zivilpolizisten - als "vollkommen glaubwürdig". "Es gibt keinen Grund, warum er Sie zu Unrecht beschuldigen soll", meinte Spreitzer zum verurteilten deutschen Studenten.

Dem Beamten sei es "nicht darum gegangen, jemanden einzutunken", betonte der vorsitzende Richter. Dass es in seinen Aussagen unterschiedliche Angaben gab und diese nicht zur Gänze mit jenen von zwei anderen zivilen Aufklärungskräften übereinstimmten, fand Spreitzer "nachvollziehbar und logisch", zumal der Beamte unter Stress gestanden sei. Insofern handle es sich um "kleine Widersprüche, die total unbedenklich waren".

"Erste Reihe fußfrei"  

Die Behauptung des Verteidigers, der 23-Jährige wäre "nur friedfertig" gewesen, nannte Spreitzer demgegenüber "total unglaubwürdig und lebensfremd". Der junge Mann habe an der Demonstration "erste Reihe fußfrei" teilgenommen - auch noch, als diese eskalierte: "Einer, der damit nix zu tun haben will, dreht sich um und geht."

Spreitzer billigte dem 23-Jährigen zu, als "politisch denkender junger Mann" gehandelt zu haben: "Der Zweck heiligt aber nicht die Mittel." Er forderte den Studenten außerdem dazu auf, über die Folgen der von ihm gesetzten Handlungen nachzudenken. Die von einem kleinen Teil der Demonstranten vorgenommenen Gewalttätigkeiten hätten es "Rechtspopulisten" und "namhaften österreichischen Politikern", die am Akademikerball teilgenommen hatten, ermöglicht, "sich als die neuen Juden darzustellen" bzw. sich "als Unschuldslämmer und Opfer zu gerieren".

Mutter verlangte Entschuldigung

Die Mutter des verurteilten 23-Jährigen hat nach der Verhandlung eine öffentliche Entschuldigung des Staatsanwalts verlangt. Dieser hatte ihren Sohn in seinem Schlussvortrag der Feigheit bezichtigt und in die Nähe zum Terrorismus gerückt. Diese Wortwahl sei "diffamierend" und habe sie "erschüttert", sagte die aus Deutschland angereiste Frau. Sie und ihr Mann hätten damit gerechnet, dass ihr Sohn nicht freigesprochen wird, "weil das ganze Verfahren hindurch klar war, dass der Aussage des Belastungszeugen Glauben geschenkt wird".

Bei der Urteilsverkündung sei ihr schlecht geworden, gestand die Mutter ein: "Ich versuche, mich jetzt erst mal körperlich aufrecht zu halten. Aber ich bin glücklich, wenn ich ihn (ihren Sohn, Anm.) sehe." Dieser Wunsch erfüllte sich rund 30 Minuten nach Schluss der Verhandlung, als sich für den 23-Jährigen nach fast sechsmonatiger U-Haft die Gefängnistore öffneten. Ein Taxi, in dem auch seine Mutter und sein Verteidiger Clemens Lahner saßen, chauffierte den Studenten in die Freiheit.

Lesen Sie weiter: Reaktionen auf das Urteil

Der nicht rechtskräftige Schuldspruch für den deutschen Akademikerball-Demonstranten hat am Dienstagabend zahlreiche empörte Reaktionen gezeitigt. Die SPÖ-Jugendorganisationen sahen ebenso wie ÖH und Bundesjugendvertretung einen Skandal. SPÖ und Grüne forderten wieder eine justizpolitische Debatte über den Landfriedensbruch-Paragrafen. Zustimmung kam von ÖVP Wien und FPÖ Wien.

SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim teilte mit, er sei "gelinde verwundert" über den Prozessausgang. Er übte einmal mehr Kritik an der langen U-Haft für den Angeklagten und bekräftigte seine Forderung, den Tatbestand des Landfriedensbruchs und dessen Anwendung justizpolitisch zu diskutieren.

U-Haft als "gerechte Strafe"

Vorsichtig, aber doch erhob er den Vorwurf, dass die Behörden eine andere Agenda als bloße Anwendung des Strafrechts verfolgten: Es stelle sich die Frage, ob die Behörden nicht die U-Haft quasi als "gerechte Strafe" betrachtet hätten. "In dem Zusammenhang ist sicherlich zu berücksichtigen, in wie weit die Ausübung des Grundrechtes auf Demonstrationsfreiheit - im gegenständlichen Fall in Bezug auf rechtsextreme Entwicklungen - Vertretern von Sicherheit und Gerichten als unerwünscht und unverständlich erscheinen mag."

Der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser sieht die Unschuldsvermutung abgeschafft. "Mit diesem Verfahren ist der Eindruck entstanden, dass sich Beschuldigte in Österreich frei beweisen müssen, was nie gelingen kann", kritisierte er. Die Anwendung des Landfriedensbruch-Paragragfen sei eine "massive Gefahr", der Richter habe sich in seiner Urteilsbegründung einer "Mutmaßung" bedient. "Ein Strafparagraph, der einen derartigen Interpretationsspielraum für die Strafbarkeit zulässt, ist gefährlich".

"Katastrophale Auswüchse"

Die SPÖ-Jugendorganisationen SJ, VSStÖ und AKS beklagten "gezielte Kriminalisierung von antifaschistischem Protest", die Grünen und Alternativen StudentInnen waren "wütend". Die ÖH sah "katastrophale Auswüchse des (Un-)Rechtsstaates" und Willkür, die Bundesjugendvertretung sprach von einem "traurigen Tag für Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht".

Applaus kam indes aus der Wiener ÖVP. Juraczka sah das Urteil als "ein positives Zeichen dafür, dass Gewalt nicht toleriert wird und die Verursacher schlussendlich zur Verantwortung gezogen werden". Den Kritikern schrieb er "ins Stammbuch", dass der Rechtsstaat für alle gelte. Der Wiener FPÖ-Landessekretär Hans-Jörg Jenewein sprach von einem "Sieg des Rechtsstaates". Das Gericht habe sich nicht der "linken Meinungshetze" gebeugt, freute er sich. Sowohl Juraczka als auch Jenewein kritisierten die SP-Jugendorganisationen und die ÖH für ihre Unterstützung des Angeklagten.

Wenig Verständnis in ausländischen Medien

Das umstrittene Urteil gegen den deutschen Akademikerball-Demonstranten Josef S. stößt in ausländischen Medien auf wenig Verständnis. "Spiegel Online" berichtet von einem "Schuldspruch aus Mangel an Beweisen", die Berliner "tageszeitung" titelt sarkastisch: "Ein Zeuge reicht." Die "Sächsische Zeitung" beklagte bereits vor dem Urteilsspruch: "Im Zweifel gegen den Angeklagten."

Vernichtend fällt der Prozessbericht von "Spiegel Online" aus, das im Urteil den juristischen Grundsatz, wonach Angeklagte im Zweifel freigesprochen werden, verletzt sieht. Schon die Anklage habe sich gelesen, "als wäre sie mit Schaum vor dem Mund verfasst worden", kritisiert das Onlinemagazin mit Blick auf den verwendeten Begriff "Demonstrationssöldner".