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Aktivist erhängt gefunden: "Er würde mir das nie antun"

Die Freundin des weißrussischen Oppositionellen Witaly Schischow ist sich sicher: Ihr Freund hat auf der Joggingrunde im Park nicht Suizid begangen.

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Witaly Schischow
Witaly Schischow
SERGEI SUPINSKY / AFP / picturedesk.com

Witaly Schischow floh letztes Jahr mit seiner Freundin vor dem autoritären weißrussischen Regime in die Ukraine. Jetzt fand man den 26-Jährigen erhängt in einem Park in Kiew. Der Aktivist leitete die Organisation "Belarussisches Haus in der Ukraine", die Exil-Belarussen beim Ankommen hilft. Die Organisation hatte am Montag Alarm geschlagen, weil Schischow vom Joggen nicht zurückgekehrt war.

Ukrainische Medien zeigen die Aufnahme einer Überwachungskamera, die in den sozialen Medien kursiert. Darauf verlässt Schischkow in Sportkleidung das Haus.

Polizei schließt Suizid nicht aus

Die Polizei ermittelt eigener Aussage zufolge wegen Mordes, schloss zunächst aber auch einen Suizid nicht aus. Dazu sagt die Freundin Schischows: "Witaly hatte keine schlechten Gedanken. Ich bin sicher, er würde nie Suizid begehen. Und er würde auch mir das nie antun. Wir hatten gemeinsame Pläne für die Zukunft."

Es habe keine direkten Drohungen gegen Schischkow gegeben, aber er habe eine Vorahnung gehabt, so Boshena Acorn weiter. "Mir hat er davon nichts erzählt, aber er schrieb einem unserer Freunde vor einer Woche, dass er ein schlechtes Gefühl habe und er sich um mich kümmern solle, falls etwas passierte."

Schischow sei nicht nervös gewesen, habe sich nicht anders verhalten, aber «er war in letzter Zeit aufmerksamer, schaute etwa, welche Autos vorbei fuhren und wer ausstieg.»

Laut Polizei weist Schischows Leiche Schrammen an Nase, Knie und Brust auf. Untersuchungen müssen zeigen, ob diese Verletzungen von Schlägen stammen.

EU-Vertreter: "Eine ernste Eskalation"

Die weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja drückte Schischows Angehörigen ihr Beileid aus. "Belarussen können nicht einmal im Ausland sicher sein, solange es diejenigen gibt, die sich an ihnen rächen wollen", schrieb sie auf Telegram.

Tischanowskaja, die in Lettland im Exil lebt, ist eine zentrale Figur des Widerstands gegen den belarussischen Machthaber Lukaschenko. Derzeit ist sie zu Besuch in London, wo sie Reportern sagte: "Selbst wenn ich eines Tages verschwinde, weiß ich, dass diese Bewegung ohne mich weitergeht."

Vertreter der EU-Institutionen äußerten sich zunächst nur knapp. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich schockiert über die Berichte.

EU-Parlamentspräsident David Sassoli bezeichnete den Tod Schischows als "entsetzlich". Die Tatsache, dass belarussische Aktivisten in Drittländern ins Visier genommen würden, stelle eine ernste Eskalation dar, so Sassoli.

Presseschau: «Schlicht und unauffällig»

"Der Fall hat die Konturen einer demonstrativen Hinrichtung durch den belarussischen KGB", schreibt die italienische Zeitung "Corriere della Sera".

Dagegen schreibt die russische Regierungszeitung "Rossijskaja Gaseta": "Die von Schischow geleitete Organisation behauptete sofort, dass sein Tod auf eine "KGB-Spur" zurückzuführen sei. Hier lohnt es sich aber, auf Details zu achten".

So sei Schischow nie ein öffentlicher und allgemein wahrnehmbarer Gegner des belarussischen Präsidenten gewesen. "Er gab keine Pressekonferenzen und Interviews, koordinierte keine Proteste und war praktisch nicht präsent in den sozialen Netzwerken, in denen die belarussische Opposition hauptsächlich gegen das offizielle Minsk kämpft."

Schischkow habe "schlicht und unauffällig" das "Belarussische Haus in der Ukraine" geleitet: "Eine typische Organisation, die von ausländischen Zuschüssen und Spenden lebt."

"Lukaschenko hält sich, solange ihn Putin unterstützt"

Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, dass das belarussische Regime etwas mit dem Tod Schischows zu tun habe, würde das erneut den verbrecherischen Charakter der Lukaschenko-Diktatur belegen. schreibt die "Frankfurter Rundschau".

Und: "Die EU prüft zu Recht weitere Sanktionen. Zudem sollten alle Staaten, die Oppositionelle aus Belarus aufgenommen haben, sie intensiver schützen. All das mag Lukaschenko nicht stoppen, schon gar nicht, solange der russische Präsident Wladimir Putin seinen Amtskollegen stützt. Es macht Lukaschenko aber das Leben schwer und hilft der Opposition."

Das sieht auch die spanische Zeitung "La Vanguardia" so: "Weißrussland ist die letzte Diktatur Europas. Sie wird mit eiserner Faust von Lukaschenko regiert, der zwar die harten Sanktionen der EU und der USA ertragen muss, dank der Hilfe des Nachbarn Russland aber überlebt."

Lukaschenko sei der letzte politische Dinosaurier aus der Sowjetära und er werde sich an der Macht halten, solange ihn der Kreml unterstütze. "Aber seine innenpolitische Position wird immer schwächer, da die Bürger den Mangel an Freiheiten satt haben und die immer härtere und willkürlichere Repression offen anprangern."

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    Der weißrussische Aktivist Witaly Schischow wurde seit Montag vermisst.
    Der weißrussische Aktivist Witaly Schischow wurde seit Montag vermisst.
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