Österreich

Machtkampf & Korruption in der ATIB-Moschee?

Heute Redaktion
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Mitte April kam es bei der Wahl neuer Funktionäre zu Tumulten.
Mitte April kam es bei der Wahl neuer Funktionäre zu Tumulten.
Bild: privat

Vergangene Woche kamen aus der Moschee in der Dammstraße die "Kriegs-Inszenierungen mit Kindern" ans Licht. Ein Mitglied des Vereins berichtet: "Das ist nicht das einzig beunruhigende, das hier passiert."

"Das letzte, was in Österreich lebende Muslime momentan gut gebrauchen können, ist, blöd aufzufallen. Und leider tun das Einige", sagt Y. Er ist seit über zehn Jahren ein Mitglied der Atib-Moschee in der Dammstraße und kennt die Menschen dort sehr gut. Manche kennt er gut genug, um zu wissen, dass es nicht ratsam ist, über gewisse Vorgänge hinter den Türen dieser Moschee öffentlich zu sprechen. Deswegen besteht er auf völlige Anonymität.

Als vergangene Woche in einer Pressemitteilung seitens des Atib eine umfassende Aufklärung versprochen wurde, war dies für das kritische Mitglied die Initialzündung, um in einem zweiten Anlauf die inneren Missstände öffentlich zu thematisieren. Die Stellungnahme nennt er "lächerlich": "Kein Wort glaub ich davon."

Tatsächlich ist die Aussage der Pressestelle, den verantwortlichen Obmann wegen der Märtyrer-Inszenierungen bereits vor Wochen abgesetzt zu haben, verwirrend. Die Bilder des Folklore-Rituals waren auf Facebook bis Mitte April weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich, Mitte März wurden sie erst hochgeladen. Erst nachdem die Vorab-Meldung des "Falter" hohe Wellen geschlagen hatte, wurden sie umgehend gelöscht.

Wenn es nach dem Verein geht, ist die Angelegenheit ad acta gelegt. Doch der Mann, der meint, lang genug mitangesehen zu haben, wie der Verein immer "un-islamischer" wird, erhebt ganz andere schwerwiegende Vorwürfe.

Entschuldigen Sie, aber das geht uns nichts an

Es geht um Unterschlagung von Spendengeldern und Einnahmen der Moschee in Millionenhöhe. Eine Praxis, die seiner Ansicht nach längst Normalität ist. Vor drei Jahren, meint er, "hätte er vieles beweisen können." Doch wollte sich von behördlicher Seite aus niemand mit den Anschuldigungen auseinandersetzen: "Von einer Stelle zur anderen wurde ich weitergeleitet. Niemanden hat es gekümmert. Also hab ich es damals aufgegeben." Nicht nur Y.'s Anfrage landete im Zuständigkeits-Roulette.

Für den politikinteressierten Bürger entstand in den vergangen Jahren der Eindruck, islamische Vereine wären grundsätzlich ein heikles Thema. So entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, was zum Beispiel aus einer von Michaela Steinacker (ÖVP) Juli 2017 eingebrachten parlamentarischen Anfrage wurde.

Thema waren Auslandsfinanzierungen (gesetzlich verboten) aus der Türkei in großem Umfang, die an Atib geflossen sein sollen. Der damals zuständige Innenminister Wolfgang Sobotka (VP) verwies umgehend an das Bundeskanzleramt, welches Christian Kern (SP) unterstand. Dieses wiederum spielte den Ball sofort zurück und verwies auf das Kultusamt, welches in den Zuständigkeitsbereich von Innenminister Sobotka fiel. Bemerkenswert ist: Vergangenen Dienstag kritisierte nun Sobotka, mittlerweile Nationalratspräsident, Kanzler Kurz (VP) wegen mangelnder Beantwortung von parlamentarischen Anfragen.

Wenn also der ganze Verein nicht auf Verbindungen nach Ankara geprüft wird, wie etwa auch Peter Pilz seit geraumer Zeit fordert, wer sollte sich dann um eine einzelne Moschee in der Dammstraße kümmern?

Nur die halbe Buchhaltung

Fragt man Y., ob er es nicht bei den Obersten von Atib selbst versucht hat, so seufzt er nur: "Zu wem? Man weiß nicht mal wer alles zu 'denen' gehört. Ich habe es oft genug und lautstark angeklagt. Andere haben sich auch beschwert, fühlen sich dann aber doch eingeschüchtert oder wollen einfach nichts damit zu tun haben. Dass in der Dammstraße etwas nicht stimmt, ist ein offenes Geheimnis."

Tatsächlich berichtete der "Kurier", dass es bei den kürzlich stattgefundenen Wahlen gebrodelt hätte. Der Vorwurf der Veruntreuung von jährlich mehr als 1,3 Millionen Euro stand im Raum. Y. weiß nicht, wer aus seinen Reihen diese Summe geschätzt hatte, jedenfalls würden abgezweigte Gelder kaum dokumentiert werden. Und wenn doch, so habe niemand Einsicht. Obwohl er anzweifelt, dass die jährlichen Verluste tatsächlich so hoch ausfallen, so seien die Defizite doch "immens hoch" und seit dem Bestehen der Moschee käme man durchaus auf Millionenbeträge.

"Das wirkliche Ausmaß kannte ich erst, als ich einen Zugang zur Buchhaltung hatte", so Y. Diesen Zugang hatte der Insider nach den Wahlen von 2015. In einem Zwei-Jahre-Zyklus werden die Funktionen innerhalb der Moschee neu zugeteilt: Ein Obmann, Vize-Obmann, Buchführung, Vereinssprecher etc. In diesem kurzen Zeitraum soll er die Gelegenheit bekommen haben, sich die Einnahmen aus dem Gastrobereich der Moschee anzusehen: "Sie haben nur bis 15 Uhr Buch geführt, danach ist abgerechnet worden. Die Kantine hat aber bis 22 Uhr offen, wenn noch Gäste da sind, noch länger. Sechs Stunden und mehr wird jeden Tag nur einkassiert, aber nichts aufgezeichnet! Das ist nicht alles – beim Freitagsgebet zeigen sich die Besucher wie gewohnt spendabel. Die neuen Funktionäre waren überzeugt, dass auch hier Gelder im großen Stil abgezweigt werden."

Neuwahlen nach Machtkampf

Fünf der gewählten Männer verurteilten die Geschäftspraktiken. Fortan sollen sich zwei verfeindete Lager gebildet haben: "Die einen fragten sich, wo das ganze Geld geblieben ist und die anderen, die wollten, dass alles so beibehalten wird, wie es war. Sie waren vielleicht die Minderheit, aber organisiert und einflussreich." Y. nennt immer wieder drei Namen, die er als Hauptverdächtige ausmacht: Den nun angeblich ehemaligen Obmann, den Buchhalter und den Gruppensprecher.

Die Grabenkämpfe zwischen den verfeindeten Lagern gipfelten nur wenige Monate später 2016 in Neuwahlen, so Y.: "Die fünf Gewählten legten aus Protest ihr Amt nieder. So musste es zu Neuwahlen kommen. Es wurde die Abmachung getroffen, dass die zwei Hauptkandidaten mit ihren Listen antreten. Wir fühlten uns schon wie die Sieger, aber es endete im Desaster: Briefwahlen waren plötzlich kein Problem mehr, dabei waren sie schon immer per Vereinsbeschluss verboten. Da kamen also welche zur Wahl und wählten einfach für ihre Bekannten und Freunde, die gerade in der Türkei waren. Wir haben um fünf Stimmen verloren."

"Diktatur!" Geladene Stimmung bei der Wahl 2018

Wie gereizt die gegenwärtige Atmosphäre innerhalb des Vereins ist, soll ein Video vom 15. April 2018 bezeugen. Nach der knappen Niederlage von 2016 war sich die Opposition siegessicher – zu viele sollen unzufrieden mit den Vorgängen innerhalb der Moschee gewesen sein. Es folgte die zweite Wahl-Farce: "Plötzlich wurden uns ca. 60 neue Mitglieder vorgesetzt. Kein Mensch wusste woher die aufgetaucht sind, aber alle wussten weswegen sie hier sind. Keiner von denen war länger als zwei Monate Mitglied, wahlberechtigt ist man laut Statuten aber erst ab sechs Monaten. Das war ein Schlag ins Gesicht."

Y., der dabei gewesen ist, beschreibt die Szenerie im vorliegenden Video: "Das war kurz nach der Abstimmung. Nicht nur haben die neuen Mitglieder nicht beweisen können, dass sie lang genug dabei sind – nein, der Obmann und seine Freunde waren dreist genug, es schon wieder mit den Briefwählern zu versuchen. Zu Wort kommen, durften wir auch nicht."

"Der Mann auf dem Stuhl, der in das Mikro schreit, ist ebenfalls den meisten unbekannt. Sonst war immer jemand aus der Sonnleithnergasse (Anm.: Atib-Zentrale in Favoriten) da. Er stand also da und wedelte mit seinen Papieren, erklärte uns, es würde alles nach den Statuten gehen. Wir verließen den Raum, bevor die Tumulte in gewalttätige Auseinandersetzungen ausarteten. Manche von uns waren kurz davor, eine Schlägerei anzuzetteln."

Wichtige Fragen, die es zu beantworten gilt

Am Freitag sollen Mitarbeiter des Kultusamtes in Einvernahmen herausfinden, ob Atib und andere unter der IGGÖ stehenden Vereine eine nicht zu integrierende Parallelgesellschaft kultivieren. Die Glaubwürdigkeit von Atibs Stellungnahmen zur Causa "Kinder spielen Kriegstheater" stellt der Informant nicht nur in Frage, für ihn hat die Inkonsequenz System. Seit Erdogans sukzessivem Machtausbau gilt der an das türkische Konsulat weisungsgebundene Verein als verlängerter Arm des autoritären Machthabers in den europäischen Raum hinein.

Y., der sich als entschiedener Gegner von Erdogans Politik versteht, sieht das genau so: "Von Atib kamen bisher nur verbale Zugeständnisse, sonst nichts weiter. In der Dammstraße kann sonst wer als neuer Obmann ernannt werden, hier wissen alle wer noch das Sagen hat. Es wissen alle, wer die Finanzen betreut. Sie können auch den Imam von mir aus hinschicken, wo sie wollen. Irgendwann wird Gras über die Sache wachsen und dann sollte es niemanden wundern, den wieder in der Dammstraße predigen zu sehen."

Er möchte jedoch nicht, dass Atib geschlossen wird, sondern nur "aufgeräumt". Er hofft auch darauf, dass im Zuge der Untersuchungen die Geldflüsse durchleuchtet werden. Sollte sich der Verdacht der Veruntreuung erhärten, dann wäre der Verein dem Fiskus eine Erklärung schuldig. Der Verein selbst hat auf die schriftliche Anfrage von "Heute" nicht reagiert.

Sollte die Regierung Atib auflösen?

Efghani Dönmez (ÖVP), entschiedener Gegner des türkischen Nationalismus und religiösen Fundamentalismus, sieht eine Schwächung oder gar Auflösung des Vereins mit Gefahren verbunden.

In einer Aussendung auf seiner persönlichen Internetseite äußert Dönmez die Befürchtung, dass der Machtkampf zwischen Atib, der Moslembruderschaft und der ultra-nationalistischen Mili Görus zugunsten der "in ihren Ansichten viel reaktionäreren und islamistischeren" Vereine ausgehen wird. Atib sei im ideologischen Vergleich noch "der Einäugige unter den Blinden."