Der Waschsalon im Wiener Karl Marx-Hof widmet sich ab 12. April dem einzigen Wien-Besuch des Sozialtheoretikers. Bildlich dargestellt wird die Reise durch Illustrationen von P.M. Hoffmann.
Den Karl Marx-Hof in Wien kennt beinahe jeder. Jahr für Jahr kommen neben ausländischen Delegationen, die sich über die Wohnpolitik des "Roten Wien" informieren wollen, auch tausende Touristen, um den längsten zusammenhängenden Wohnbau der Welt zu sehen.
Auf die Spuren des namensgebenden Philosophen, Gesellschaftskritikers und wohl einflussreichsten Theoretikers des Kommunismus führt nun eine neue Sonderausstellung im Karl Marx-Hof. Anlässlich des 200. Geburtstages von Karl Marx am 5. Mai 2018 zeichnet der Waschsalon im Karl-Marx-Hof den Wien-Besuch von Marx und seinen Einfluss auf die Stadt nach. Zusammengestellt wurde die Ausstellung durch die Kuratoren Lilli und Werner Bauer.
"Es gibt insgesamt nur 15 Fotos von Karl Marx, davon sind viele Mutationen von ein und demselben Sujet", erklärt Lilli Bauer. Um die Wien-Reise von Karl Marx dennoch bildlich darstellen zu können, wandte sich das Kuratorenpaar an den deutschen Illustrator P.M. Hoffmann. "Wir wollten zum einen die Geschehnisse vermitteln und zum anderen eine Revolutionsästhetik erreichen", erklärt Lilli Bauer.
Der Karl-Marx-Hofwurde nach Plänen des Architekten Karl Ehn (ein Schüler Otto Wagners) in den Jahren 1926 bis 1930 erbaut. Der Wohnbau galt als Musterbeispiel des Wohnbaus im Roten Wien. So wurde neben den ursprünglich 1.382 Wohnungen für rund 5.000 Bewohner (nach Zusammenlegungen sind es heute noch 1.272 Wohnungen) besonderes Augenmerk auf sozialen Einrichtungen und Freiflächen gelegt.
Mit einer Gesamtlänge von rund 1.100 m ist der Karl Marx-Hof das längste zusammenhängende Wohngebäude der Welt.
Seit Februar 2017 zeichnete Hoffmann nach Vorgaben und Recherchen des Ehepaars Bauer und dessen Teams insgesamt neun Tafeln. "Das war schon zeitaufwendig. Wir mussten ja auch recherchieren, wie der damalige Nordbahnhof und jetzige Bahnhof Praterstern ausgesehen hat, als Marx hier am 27. August 1848 in Wien ankam", erzählt Werner Bauer. Dazu griffen die Ausstellungsmacher auf die vorhandene Literatur zurück, lasen unzählige Zeitungsartikel der damaligen Zeit.
Das revolutionäre Wien von 1848
Karl Marx war nur ein einziges Mal in Wien. Zu dieser Zeit ähnelte die Stadt einem Pulverfass. In vielen Gebieten des Habsburger-regierten Vielvölkerstaates war es in den Jahren 1847 und 1848 zu Protesten gegen das vorherrschende politische System gekommen. In Frankreich hatte die Februarrevolution 1848 die Absetzung von König Louis Philippe I. und die Ausrufung der Zweiten Französischen Republik zur Folge.
Diese Idee schwappte auf das Kaiserreich Österreich und seine Kronländer über. Während Böhmen, Ungarn und Oberitalien vor allem die Unabhängigkeit forderten, konzentrierte sich der Protest in Wien auf die Abschaffung der Monarchie, die Ausrufung einer Staatsverfassung und bessere Bedingungen für die Arbeiterschaft.
Start der österreichischen Revolution
Am 13. März 1848 brach die Revolution in Österreich aus. Sozialrevolutionäre stürmten das "Ständehaus" (das heutige Palais Niederösterreich) sowie Fabriken und Läden in den Wiener Vorstädten. Dies gipfelte in der Amtsniederlegung und der Flucht von Staatskanzler Fürst von Metternich. Um die Lage zu beruhigen, machte Kaiser Ferdinand I. erste Zugeständnisse. So versprach er das Ende der Zensur und die Erarbeitung einer Staatsverfassung.
Lange hielt der Frieden aber nicht. Nachdem die sogenannte "Pillersdorf'sche Verfassung" ohne Vertreter des Volkes erfolgte, flammte der Widerstand erneut auf und der Zweite Wiener Aufstand brach aus. Der Kaiser flüchtete im Mai nach Innsbruck.
In diese Zeit fiel auch der Besuch von Marx in Wien. Der damals 30-Jährige reiste am 27. August für zehn Tage nach Wien, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Am 28. August nahm er als Redner bei einer vom "Demokratischen Verein" veranstalteten Diskussion über die Arbeiterfrage teil. Am 30. August und 2. September sprach er auf Einladung des "Ersten Allgemeinen Arbeitervereins" in den Sträußelsälen (das heutige Theater in der Josefstadt) über "Die sozialen Verhältnisse in Westeuropa" bzw. über "Lohnarbeit und Kapital". Am 7. September 1848 reiste er schließlich aus Wien ab. Nur kurze Zeit später folgte mit der sogenannten Wiener Oktoberrevolution der letzte große Aufstand von 1848.
Marx Einfluss auf Wien
Während die Oktoberrevolution in Russland zu einem Umsturz der politischen Verhältnisse und dem Aufstieg Lenins führte, kam es in Wien zu keinen vergleichbaren Änderungen. "Politischen Einfluss auf die Revolution hatte Marx' Wienbesuch keinen", erklären die Kuratoren.
"Den österreichischen Arbeitern ging es mehr um eine Rücknahme der Lohnkürzung um fünf Kronen als um die Revolution", erläutert Lilli Bauer und erklärt, dass Marx wegen des fehlenden Revolutionspotentials in Wien wohl eher enttäuscht war. Diese Frustration dürfte auch mitgespielt haben, als Marx Österreich Rückständigkeit attestierte und als "europäisches China" bezeichnete.
Eine Rolle spielte vielleicht auch die Tatsache, dass das "Kommunistische Manifest" in Österreich erst 1868, also 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung, publiziert wurde.
Journalist und politischer Kommentator
Ganz den Bezug zu Österreich verlor Marx aber auch nach der Revolution nicht. So arbeitete er zwischen Oktober 1861 und Dezember 1862 von seinem Londoner Exil aus als Korrespondent der bürgerlich-liberalen Tageszeitung "Die Presse". Der damalige "Presse"-Chefredakteur Max Friedländer war von Marx' Schriften begeistert und heuerte ihn als Journalisten und politischen Kommentator an. "Insgesamt wurden über 50 Artikel von Marx veröffentlicht. Um die bürgerliche Leserschaft nicht zu verschrecken, wurden diese aber nicht unter Marx' Namen publiziert", erklärt Werner Bauer.
Auswirkungen hatten Marx' Artikel sicher auch auf den Konflikt zwischen "Gemäßigten" und "Radikalen" innerhalb der österreichischen Arbeiterbewegung. Während die "Gemäßigten" auf Ferdinand Lassalle setzen, wollten die "Radikalen" den Vorgaben von Andreas Scheu folgen, der stark von Marx inspiriert wurde. Erst Victor Adler konnte den Streit am "Einigungsparteitag", der über Silvester 1888/1889 stattfand, schlichten.
Marx im "Roten Wien" omnipräsent
Auch wenn Marx das "Roten Wien der Ersten Republik" nicht mehr selbst erlebte, ist er dennoch omnipräsent. Anlässlich seines Todestages veranstaltete die Sozialdemokratische Arbeiterpartei regelmäßig wiederkehrende Gedenkfeiern, die Parteilinke um Friedrich Adler formiert sich im Bildungsverein "Karl Marx" und Otto Bauer entwickelt unter dem Begriff "Austromarxismus" Marx' Lehre innerhalb der Sozialdemokratie weiter. 1930 wird schließlich das "Flaggschiff" des Roten Wien, der Karl-Marx-Hof, nach dem deutschen Philosophen benannt.
"Aufbauend auf die Ideen von Marx wurde überlegt, wie man eine neue Gesellschaft mit selbstständigen, politisch gebildeten Arbeiterinnen und Arbeitern errichten kann", erzählt Lilli Bauer.
Vieles, was damals im Roten Wien erstmals umgesetzt wurde – darunter etwa städtische Büchereien, neue Wohnbauten mit sozialen Einrichtungen und ausreichend Freiraum – gilt bis heute als Vorbild. "Im Austromarxismus ging es nicht nur um Wohnraum, sondern darum, eine ganz neue Welt zu erschließen", so Lilli Bauer. Oder wie es Maria Jahoda, die Autorin der Sozialstudie "Die Arbeitslosen vom Marienthal" formulierte: "Austromarxismus war nicht nur ein Versprechen für eine bessere Zukunft, sondern eine das ganze Leben umfassende Aktivität".
Ausstellung im Karl Marx-Hof
In den Räumen des Waschsalon Karl Marx-Hof (Waschsalon Nr. 2, Karl-Marx-Hof, Halteraugasse 7, 1190 Wien) wird an Marx und seinen Wien-Besuch erinnert. Neun Tafeln beschreiben Karl Marx' Reise nach und durch Wien und geben interessante Informationen zur damaligen Zeit.
Eröffnet wird die Sonderausstellung "Karl Marx in Wien" am Mittwoch, 11. April um 18.30 Uhr durch den Parteivorsitzenden der SPÖ Wien und designierten Wiener Bürgermeister Michael Ludwig.
Die Ausstellung ist ab 12. April bis 20. Dezember 2018 jeweils Donnerstag von 13 bis 18 Uhr und Sonntag in der Zeit von 12 bis 16 Uhr zu sehen. An ausgewählten Tagen finden auch Führungen durch die Sonderausstellung statt. Hierfür ist eine Vorabanmeldung unter [email protected] nötig.
Neben der Marx-Ausstellung bietet der Waschsalon Karl Marx-Hof auch eine Dauerausstellung zu den vier Themenbereichen "Die Geschichte des Roten Wien", "Bautätigkeit im Roten Wien", "Bildungs- und Kulturarbeit" und "Fest- und Feierkultur".