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Austro-Schockregisseur Seidl ausgezeichnet

Heute Redaktion
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Ulrich Seidl ist bei den 69. Filmfestspielen von Venedig für seinen Film "Paradies: Glaube" mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet worden.

Ulrich Seidl ist bei den 69. Filmfestspielen von Venedig für seinen Film "Paradies: Glaube" mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet worden.

Der österreichische Regisseur hatte mit seinem umstrittenen Film bereits am ersten Wochenende für Aufregung am Lido gesorgt und unter anderem eine Anzeige wegen Blasphemie erhalten (). Der Goldene Löwe ging nach Südkorea: Kim Ki-duks Drama "Pieta" hat die Jury um US-Regisseur Michael Mann am meisten überzeugt, wie die Preisverleihung am Samstagabend ergab.

Auch der US-Amerikaner Paul Thomas Anderson hatte Grund zur Freude: Für sein Sektendrama "The Master" erhielt er den Silbernen Löwen für die beste Regie, seine Hauptdarsteller Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman wurden als beste Schauspieler prämiert. Zur besten Hauptdarstellerin wurde Hadas Yaron für "Fill the Void" gekürt, für das beste Drehbuch der Konkurrenz wurde der Franzose Olivier Assayas für "Apres Mai" geehrt.

Die wichtigsten Auszeichnungen im Überblick:

Goldener Löwe für den besten Film: "Pieta" von Kim Ki-duk
Spezialpreis der Jury: "Paradies: Glaube" von Ulrich Seidl
Silberner Löwe für die beste Regie: Paul Thomas Anderson für "The Master
Preis für die besten Schauspieler: Philip Seymour Hoffman und Joaquin Phoenix für "The Master"
Preis für die beste Schauspielerin: Hadas Yaron für "Fill the Void"
Bestes Drehbuch: Olivier Assayas für "Après Mai"

Große Freude herrschte bei Ulrich Seidl über den Spezialpreis der Jury bei den Filmfestspielen von Venedig. "Man kann sich nur gut fühlen, wenn man diesen Preis gewinnt", sagte Seidl unmittelbar nach der Preisverleihung, "noch dazu mit einem nicht ganz leichten Film, wie ich meine." Dass "Paradies: Glaube", der zweite Teil einer Trilogie, nicht nur eine Minderheit anspricht, hat selbst den österreichischen Regisseur ein wenig überrascht: "Da bin ich sehr stolz und freue mich sehr."

Seidls Film über eine missionarische Katholikin, die ein sowohl masochistisches als auch erotisches Verhältnis zu Jesus pflegt, war in Venedig positiv aufgenommen, aber von Ultrakatholiken auch verteufelt und mit einer Anzeige bedacht worden. "Ich bin der Meinung, dass da nichts dabei herauskommen wird", sagte Seidl. "Aber natürlich ist es schön, dass die Qualität des Films nun vom Festival und von der Jury bestätigt worden ist." Auf den Filmemacher wartete am Abend in Venedig noch das Dinner für die Gewinner, wie er erzählte. "Es wird mit Sicherheit eine lange und rauschende Nacht werden."

Lesen Sie weiter: Seidl und der Film im Detail Egal ob man die Filme von Ulrich Seidl mag oder nicht, kalt lassen sie einen nie. Das ist auch bei "Paradies: Glaube" so, dem zweiten Teil der "Paradies"-Trilogie, deren erster Teil mit dem Zusatztitel "Liebe" bereits bei den Filmfestspielen in Cannes lief.

Die Szenen der missionarischen Krankenschwester Anna Maria, die sich selbst geißelt, mit dem Kruzifix masturbiert und einen innerehelichen Konflikt mit einem muslimischen Ägypter austrägt, sind zwar über weite Strecken amüsanter, als Seidl das selbst erwartet hätte - aber immer wieder bleibt einem dabei auch das Lachen im Halse stecken.

Dass der Film in Venedig nun - wie schon einst "Hundstage", ebenfalls mit Maria Hofstätter in einer zentralen Rolle - mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde, ist nur konsequent: Über kaum einen Film wurde am Lido so heftig diskutiert, und kaum ein Film vermochte eingefahrene Diskurse über Religion und Glauben stärker aus den Angeln zu heben. Schon "Paradies: Liebe" über weibliche Sextouristen in Kenia hatte in Cannes für viele Diskussionen gesorgt, "Paradies: Glaube" kam nun im katholischen Italien jedoch besonders zur Geltung. Die Auszeichnung der Jury gab es nur wenige Tage nach einer Anzeige wegen Blasphemie: ein Triumph für den 59-jährigen Regisseur.

Arbeit mit Profis und Laien  

Wie bei "Hundstage" oder "Import Export" arbeitete Seidl wieder sowohl mit professionellen Schauspielern (u.a. Hofstätter) als auch mit Laien, mit viel natürlichem Licht und dokumentarischen Stilmitteln, mit zwar genauem Drehbuch, wie er erklärte, aber ohne vorgegebene Dialoge: "Man kann und muss immer mit dem Zufall rechnen." Er sei nicht darauf angewiesen, dass geschriebene Szenen in den Film kommen, verlasse sich dagegen vielmehr auf Improvisation und daraus erwachsende Überraschungen. Das führt auch dazu, dass oftmals sehr viel Material zusammenkommt und sich die Arbeit an Filmen oft jahrelang ziehen kann. "Bei mir dauert's immer lange", kommentiert Seidl diesen Zugang lapidar.

Sein kritischer Blick auf die Gesellschaft und die besondere ästhetische Form seiner Filme haben den Drehbuchautor, Regisseur und Produzenten zu einem Aushängeschild für den österreichischen Film gemacht - auch wenn seine Filme nicht zuletzt auch hierzulande oft heftige Reaktionen ernten. Dokumentarfilme wie "Good News", "Die letzten Männer" oder "Tierische Liebe" wurden heiß diskutiert, mit "Models" bekamen seine Arbeiten schließlich einen fiktionaleren Charakter. Seine Doku "Jesus, du weißt", die ebenfalls kontrovers aufgenommen wurde, verwandelte Seidl an der Berliner Volksbühne schließlich auch in ein Theaterstück mit dem Titel "Vater unser".

Seidl wollte eigentlich Priester werden  

Die Auseinandersetzung mit Religion kommt indes nicht von ungefähr. Der am 24. November 1952 in Wien geborene und im niederösterreichischen Horn aufgewachsene Seidl hätte eigentlich Priester werden sollen, schlich stattdessen aber an den Wochenenden ins für ihn verbotene Kino: Uschi Glas- und Westernfilme waren erste prägende Filmerfahrungen. Seidl studierte in Wien Publizistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte, mit Jobs als Nachtwächter, Lagerarbeiter und als Medikamenten-Versuchskaninchen finanzierte er sein Studium. Erst mit 26 Jahren entschloss er sich, die Filmakademie zu besuchen, die er nach seinem Debüt "Einsvierzig" (über einen Liliputaner) und dem umstrittenen Film "Der Ball" frühzeitig wieder verließ.

Inzwischen hat Seidl selbst schon auf Filmakademien gelehrt und galt als einer der Vorreiter einer verstärkten Suche nach Realismus im europäischen Kino. Sein Leben hat er ganz der Arbeit gewidmet: "Wenn ich keine Filme mache, bereite ich welche vor. Filme machen oder Filme denken ist sozusagen mein Leben." Das hielt ihn aber nicht ab, sich auch ein zweites Mal dem Theater zu widmen: Kurz nach den Filmfestspielen von Cannes feierte seine David-Foster-Wallace-Adaption "Böse Buben / Fiese Männer" bei den Wiener Festwochen Premiere. Inzwischen wächst bereits die Neugier auf seine nächste Filmarbeit: Der Abschluss der "Paradies"-Trilogie, "Hoffnung", soll 2013 im Wettbewerb der Berlinale laufen - und damit einen wohl einmaligen Festival-Hattrick komplett machen.