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Hirnschaden nach Geburt – Eltern verklagen Klinik

Ein Baby erlitt bei der Geburt in Biel eine Hirnschädigung. Die Hebamme habe ihre Sorgfaltspflicht missachtet, sagen die Eltern und klagen.

Heute Redaktion
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Die Geburt eines Kindes gehört für viele Eltern zu den glückbringendsten Momenten des Lebens. Für Martin K.* (31) und Natalie S.* (35) hingegen war der 1. Oktober 2018, an dem ihre Tochter Anna* in der Hirslanden Klinik in Biel in der Schweiz zur Welt kam, eine höchst traumatische Erfahrung.

"Als erstes fiel mir auf, dass meine Tochter nicht geschrien hat", erinnert sich K. Sie sei ganz blau gewesen und habe sich kaum bewegt. "Sie röchelte nur und rang nach Luft. Es war ganz schlimm." Anna musste beatmet werden. Man brauche sich keine Sorgen zu machen, das Kind habe lediglich "ein wenig Startschwierigkeiten", habe die zuständige Hebamme zu beschwichtigen versucht.

Es war eine Fehleinschätzung: Annas Zustand blieb trotz Beatmung kritisch, per Ambulanz musste sie in die Neonatologie des Krankenhauszentrums Biel überführt werden. "In diesem Moment hatte ich nur einen Wunsch: dass meine Tochter lebt", sagt K. Nach sechs Tagen wurde das Kind entlassen. Neurologische Auffälligkeiten waren vorerst keine auszumachen.

Ärztin zu spät informiert?

Dies änderte sich jedoch in den Folgemonaten. "Unser Kinderarzt stellte fest, dass Anna vermehrt mit dem linken Arm nach Dingen greift und sich asymmetrisch bewegt", so der Vater. Der Arzt überwies den Säugling zur Untersuchung ins Inselspital. Dort erfolgte der nächste Schock für die Eltern: Neurologen diagnostizierten bei Anna eine zerebrale Bewegungsstörung. "Wir können noch nicht abschätzen, mit welchen Behinderungen sie ihre Zukunft bewältigen muss", so die Eltern.

Die Diagnose hinterließ beim Paar tiefe Ohnmacht – und große Wut auf die Hirslanden Klinik. Denn, da sind sich die Eltern sicher, die Hirnschädigung ihres Kindes hätte verhindert werden können. Sie verdächtigen die verantwortliche Hebamme: Diese habe es trotz akuter Warnzeichen für lebensgefährlichen Sauerstoffmangel während mehrerer Stunden unterlassen, die anwesende Ärztin über die Komplikationen ins Bild zu setzen. Für den Vater steht fest: "Die Hebamme hat grob fahrlässig gehandelt."

"Letzte 3 Stunden hätten nicht stattfinden sollen"

Das Paar schaltete einen Anwalt ein und ließ einen vertrauensärztlichen Bericht erstellen. Dieser stützt den Verdacht: Laut dem unabhängigen Gynäkologen hatte sich während mehr als dreieinhalb Stunden bis zur Entbindung das CTG (Herzton- und Wehenschreiber) in einem Maße verschlechtert, "dass sich ein erfahrener Geburtshelfer fragen sollte, wie lange das Kind noch seine Sauerstoffreserve verbrauchen kann, ohne Schaden zu nehmen". Das grüne Fruchtwasser beim spontanen Blasensprung habe ein weiteres Warnzeichen dargestellt.

Das Fazit des Arztes ist ernüchternd: "Die letzten drei Stunden vor der Entbindung hätten nicht stattfinden sollen." Es sei stark anzunehmen, dass ein früherer Beizug der diensthabenden Ärztin "entsprechende Maßnahmen ausgelöst hätte". Ebenso könne davon ausgegangen werden, "dass eine frühere Entbindung zu einem tadellosen Allgemeinzustand der Neugeborenen geführt hätte."

Es wird Sache des Gerichts sein, diese Vorwürfe zu prüfen: Das Paar hat Klage gegen die Klinik eingereicht und stellt Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung.

Von der Hirslanden Klinik fühlen sich die Eltern im Stich gelassen. K.: "Wir haben bis zum heutigen Tag weder eine Stellungnahme noch eine Entschuldigung für den Schaden an unserer Tochter erhalten."

Klinik räumt Fehler in Kommunikation ein

Die Hirslanden Klinik Linde bedauert die Umstände der Geburt und den geschilderten Zustand des Kindes sehr und hofft, dass sich seine Verfassung schnell bessert, wie sie auf Anfrage mitteilt. "Wir können die große Sorge der Eltern nachvollziehen und werden unserseits alles tun, um den Vorfall lückenlos aufzuklären", sagt Sprecherin Bettina Widmer-Renfer. Zu den medizinischen und personellen Einzelheiten will sich die Klinik aufgrund der laufenden rechtlichen Abklärungen nicht äußern.

Die Ereignisse rund um die Geburt werde man unter Einbezug des beteiligten medizinischen Personals aufarbeiten und die notwendigen Maßnahmen einleiten. "Nach unserem jetzigen Kenntnisstand ist nach dem Aufenthalt die Kommunikation zwischen Klinik und den Eltern nicht so verlaufen, wie das mit unserem Anspruch an Empathie in der Patientenkommunikation zu vereinbaren wäre", räumt Widmer-Renfer ein. "Dafür entschuldigen wir uns und werden unsererseits umgehend das Gespräch mit den Eltern suchen."

Namen geändert*

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