Wien

Zu arm für Frisör – diese Schicksale machen betroffen

Im Chancenhaus Obdach Wurlitzergasse waren die Barber Angels zu Gast. Die "Frisöre gegen Armut" verpassten Bedürftigen kostenlos einen neuen Look.

Yvonne Mresch
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Doris (40, re.) verpasste Sandra (53) einen neuen Look – die Kurzhaarfrisur kam gut an.
Doris (40, re.) verpasste Sandra (53) einen neuen Look – die Kurzhaarfrisur kam gut an.
Helmut Graf

"Wir sind nicht die Hells Angels, auch wenn wir ein bisschen so aussehen", lacht Alexander (40), Präsident der "Barber Angels Brotherhood Austria". Der Leder-Look der ehrenamtlichen Frisöre hat einen ganz anderen Grund: "Die Hemmschwelle zu uns zu kommen wird dadurch geringer. Wir begegnen den Gästen auf Augenhöhe". 

Alfred (52): "Ich will einfach nur einen Job finden"

Bei den Barber Angels handelt es sich um einen sozialen Verein, der wohnungslosen und von Armut betroffenen Menschen einen kostenlosen Haarschnitt anbietet. 46 ehrenamtliche Frisöre sind dafür mit Schere, Föhn und Co. in ganz Österreich unterwegs. Am Sonntag machte das Team Station in Wien, genauer gesagt im Chancenhaus Obdach Wurlitzergasse (Hernals). Der Andrang war groß: "Das ist immer so. Die Nachfrage ist da, nur leider hält viele die Scham davon ab, tatsächlich zu uns zu kommen", erzählt der Chef. All jene, die an diesem Nachmittag nach Hernals gefunden haben, kommen mit bewegenden Geschichten. 

Alfred (52) ist seit drei Jahren obdachlos, der Tod eines Freundes gab den traurigen Anstoß dafür. Der gelernte Tischler findet kaum Worte, um aus seinem Leben zu erzählen, immer wieder fließen die Tränen. "Ich will doch nur endlich wieder eine Wohnung haben und einen Job finden. Aber das schaut schlecht aus", sagt er leise. Ihm gegenüber lässt sich Constantin eine Glatze scheren. Er lebt erst seit zwei Tagen im Chancenhaus. "Ich hatte ein gutes Leben, einen guten Job. Und plötzlich war alles vorbei" – wie ihm geht es vielen, die sich mit einem neuen Haarschnitt auch ein wenig Würde holen, wie Frisörin Doris (40) erzählt: "Ich bin seit vier Jahren dabei und das schönste ist eigentlich, wenn die Gäste sich bedanken und uns sagen, dass sie sich für eine halbe Stunde wie ein Mensch gefühlt haben. Weil sie mit uns reden können und wir ihnen auf Augenhöhe begegnen. Das gibt ihnen Selbstvertrauen." 

Von der Klientin zur Koordinatorin

Sieben Jahre lang lebte Renate (55) auf der Straße, verdiente sich mit Nebenjobs im Prater ein wenig Geld dazu. Für eine eigene Wohnung rechte das nicht. "Ich habe früher in Fabriken gearbeitet, aber durch familiäre Probleme wurde ich obdachlos", erzählt sie. Doch die Wienerin gab nicht auf, kämpfte sich durch und arbeitet heute als Betreuerin im Chancenhaus. "Über einen Kurs von neunerhaus bin ich dazu gekommen", berichtet sie. "Ich wollte einfach nicht mehr arbeitslos sein". Heute lebt Renata in einer Wohnung und koordiniert als Betreuerin Termine wie jenen mit den Barber Angels. "Sie ist unser 'Zenturio' von Wien", lacht Alex. Durch ihre Lebensgeschichte macht sie anderen Mut. "Für viele bin ich eine Unterstützung, es ist für sie natürlich etwas anderes, zu wissen dass ich selbst einmal obdachlos war und es geschafft habe."

Freiwillige gesucht

Schockierendes und Schicksale, aber auch Erfolgsgeschichten erleben die Barber Angels bei jedem Einsatz, weiß Frisörin Doris. "Zu Beginn sind wir immer sehr euphorisch, bei der Rückfahrt im Auto herrscht Stille." Diese sei aber keineswegs deprimierend, versichert sie. "Man wird sich einfach wieder bewusst, wie glücklich man sich selbst schätzen kann. Denn ich kann nach dem Termin in meine Wohnung fahren und ein Schnitzel essen. Anderen ist das nicht vergönnt." 

Die Barber Angels sind jedes zweite Wochenende in ganz Österreich im Einsatz. Bei ihren Einsätzen wollen sie "mit Handwerk Gutes tun." Dabei arbeitet der Verein mit Institutionen vor Ort zusammen. Die "schneidenden Engel", wie sie auch genannt werden, finanzieren sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Wer selbst mithelfen möchte, sollte zunächst zwei "Gastengel-Einsätze" absolvieren. Eine Ausbildung als Frisör ist keine Voraussetzung – auch im Bereich Organisation werden immer Helfer gesucht. Wichtig, so der Präsident, sei Empathie, Mut zum Abenteuer und eine gewisse Portion Lockerheit. Weitere Infos dazu gibt es auf www.barberangels.at

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