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Brite spielt Putin-Kritiker und wird sofort verfolgt

Heute Redaktion
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Vor der Wahl reiste BBC-Journalist John Sweeney nach Russland. Er wollte wissen, wie es Putin-Kritikern ergeht – und bekam es am eigenen Leib zu spüren.

John Sweeney, britischer Investigativ-Journalist, reiste vor der Präsidentschaftswahl in Russland für die BBC nach Moskau. Das Ziel: In zehn Tagen herausfinden, wie die Opposition unter Wladimir Putin lebt.

"Ich will die Leute treffen, die sich gegen den Kreml stellen", so Sweeney. In dem rund dreißigminütigen BBC-Beitrag wird vor allem eines klar: Nicht nur Putin-Kritiker leben gefährlich, sondern auch Sweeney und sein Team. Tatsächlich ist der BBC-Reporter noch nicht lange in Moskau, als er bemerkt: "Wir wurden sofort selbst zum Ziel."

"Ok, ich bin jetzt paranoid"

Auf dem Weg ins Büro der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verfolgt ein Volkswagen Sweeney. Hektik kommt auf, auch Angst: "Schließt die Türe, schließt die Wagentüre", hört man Sweeney sagen.

Bei Human Rights Watch erzählt man Sweeney, wie Oppositionelle in Russland drangsaliert und eingeschüchtert werden. Sweeney fasst zusammen: "Kein Zweifel, Putin ist populär. Doch in diesem Land kann man getötet werden, wenn man die Mächtigen herausfordert."

Nach dem Besuch bei den Menschenrechtsaktivisten hängt sich der Volkswagen wieder an den Wagen des BBC-Teams. "Ok, ich bin jetzt paranoid. Überall wo wir hingehen, werden wir von einem Auto mit dem Anfangskennzeichen /-914 verfolgt", so Sweeney.

"Mehr Meinungsfreiheit als jedes andere Land"

Er interviewt den derzeit wohl bekanntesten Oppositionellen im Land, Alexei Nawalny. Ob Russland ein Polizeistaat sei, will der Brite wissen. "Absolut", sagt Nawalny, "hundertprozentig."

Die gleiche Frage stellt Sweeney dem Parlamentarier Wjatscheslaw Nikonow. Dessen Antwort: "Russland ist weniger ein Polizeistaat als jeder andere westliche Staat, den ich kenne. Wir haben sehr liberale Gesetze hinsichtlich Kritikern. Die Menschen müssen sich nur daran halten."

Auf die Frage, ob Russland eine Demokratie sei, sagt Nikonow: "Natürlich. Wir haben ein gewähltes Parlament und einen gewählten Präsidenten. Ich würde sagen, dass Russland mehr Meinungsfreiheit hat als jedes andere Land das ich kenne. Im russischen TV gibt es ein größeres Spektrum an Meinungen als etwa bei der BBC."

Sweeney tappt in eine Falle

Sweeneys Erfahrungen decken sich nicht gerade mit dieser Aussage. Jeden Tag folgt mindestens ein Auto dem Journalisten, der dies lakonisch hinnimmt. Als er sich mit einer Gruppe von Putin-Anhängern trifft, tappt er in eine Falle.

So nimmt ein Vertreter der rechten Gruppe SERB (South East Radical Block) den Briten auf einen Rundgang mit. An einer Gedenkstätte für den 2015 erschossenen Oppositionellen Boris Nemzow reißt der SERB-Vertreter kurzerhand Kränze und Blumen herunter. "Entweihen Sie damit nicht einen Schrein?", fragt ihn der BBC-Journalist, erhält aber keine Antwort. "Es ist klar ein Vandalenakt durch die SERB-Gruppe und wir haben das alles auf Film", so Sweeney.

Heimlich gefilmt, von Polizei verhört

"Aber am nächsten Tag sind wir es, die von der Polizei aufgegriffen werden. Es scheint, als ob man uns hat auflaufen lassen". Drei Stunden lang werden die BBC-Leute und ihr Übersetzer getrennt befragt – zum Vandalenakt an der Nemzow-Gedenkstätte. Etwas gestresst filmt sich Sweeney auf dem Posten: "Ich bin hier alleine. Es ist surreal. Ich bin sicher, dass alles gut ist, aber ich weiß es nicht genau. So geht es zu in der Demokratie Russlands".

Man lässt die Ausländer schließlich gehen. Vor der Tür wartete "zufällig" ein russisches TV-Team. Es zieht schnell ab, als ein ungehaltener Sweeney wissen will, wieso sie von seinem Besuch bei der Polizei wussten.

Vorwurf des Vandalismus

Später sollte sich zeigen, dass Sweeney bei seinem Rundgang mit den SERB-Leuten heimlich gefilmt worden war. Das Material wird später in russischen Medien publiziert – und gegen den Briten verwendet. Er müsse sich wegen Vandalismus verantworten, hieß es.

"Wir haben nur einen kleinen Vorgeschmack davon erhalten, wie das Leben für die russische Opposition ist, die regelmäßig ins Visier der russischen Staatsmedien gerät", so Sweeney.

Sweeneys Pass-Angaben im TV ausgestrahlt

Richtig beklemmend wird es, als ein kremltreuer Fernsehsender einen "special report" über Sweeney ausstrahlt. Nebst dem Vorwurf wegen Vandalismus soll der Brite auch Geschichten über Studenten und Kosaken erfunden haben – obwohl "ich diese Leute in meinem Leben noch nie getroffen habe", wie Sweeney sagt.

Dann werden seine Pass-Informationen eingeblendet sowie seine Aussage, die er in Moskau auf dem Polizeiposten gemacht hatte. "So läuft es in Wladimir Putins Russland", kommentiert Sweeney trocken.

"Der Kreml will uns glauben machen, dass die Wahlen am Sonntag die gelebte Demokratie zeigen", schließt er im Beitrag. "Wladimir Putin hatte zwei Rivalen, die er fürchtete. Einer wurde von den Wahlen verbannt. Der andere wurde erschossen. Um sich gegen Putin zu erheben, muss man sich mit dem gesamten Staat anlegen. Was für eine Demokratie ist das?" (gux/20 Minuten)