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"Before Your Eyes" im Test: Augen werden zu Controller

Videospiele werden immer schöner, flüssiger und länger. Kaum eines zeigt sich aber wirklich innovativ. "Before Your Eyes" ist die wunderbare Ausnahme.

Rene Findenig
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    Bei der Handlung zeigt sich "Before Your Eyes" mit mächtig Tiefgang. In der Ich-Perspektive begleitet der Spieler die Seele von Benjamin auf ihrer Reise ins Jenseits.
    Bei der Handlung zeigt sich "Before Your Eyes" mit mächtig Tiefgang. In der Ich-Perspektive begleitet der Spieler die Seele von Benjamin auf ihrer Reise ins Jenseits.
    Skybound Games

    "Before Your Eyes" (für PC auf Steam) von Skybound Games ist bereits auf den ersten Blick eine Ausnahme am Spielemarkt. Es braucht nämlich eine Webcam, um zocken zu können. Denn während auch die Maus als Steuerungselement zum Einsatz kommt, werden auch die Augen des Spielers zum Controller. Denn während man sich im Spiel klassisch per Klicks umsieht, interagiert man mit den Inhalten des Spiels per Wimpernschlag und Blinzeln.

    Bei der Handlung zeigt sich "Before Your Eyes" mit mächtig Tiefgang. In der Ich-Perspektive begleitet der Spieler die Seele von Benjamin auf ihrer Reise ins Jenseits. Kurz nach dem Tod der Hauptfigur steigt der Spieler ins Geschehen ein und findet sich an Bord des Fährmanns wieder, der sie Seelen in die Ewigkeit schippert. Auf dem Weg dahin gilt es, das eigene Leben aufzuarbeiten, was ein erneutes Durchleben der wichtigsten Momente des sterblichen Daseins bedeutet.

    Spiel ist gleich mehrfach besonders

    Dies geschieht auf mehrfach besondere Art. So ist die Grafik des Spiels nicht nur in einem handgezeichneten und märchenhaften Look, sondern spart auch viele "Unwichtigkeiten" einfach aus. Erlebt der Spieler Momente wie die erste Liebe, Familien-Freuden und -Tränen sowie Erfolge im Beruf noch einmal, beschränkt sich die Darstellung auf das, was wohl auch der Realität entspricht: Personen, Objekte und Gefühle werden groß eingeblendet, das Drumherum wie die Umgebung oder Einrichtungsgegenstände verschwimmen entweder bis zur Unkenntlichkeit oder werden tiefschwarz überdeckt.

    Doch auch die Steuerung geht ihren ganz eigenen Weg. Während der Spieler sich mit der Maus in den Szenen umsehen kann, wird mit den Augen interagiert. Dazu wird die Maus auf Augen-Symbole in der Spielwelt geführt, ausgelöst wird die Interaktion dann per Augenblinzeln. Dazu verfolgt eine Webcam ständig die Augen des Spielers und reagiert auf deren Bewegungen. Per Augenschlag geht es so entweder von Passage zu Passage – oder aber das Spiel wechselt auch die Perspektive.

    Wirklich hinsehen ist überaus wichtig

    Das Spiel ist beim Hinstarren auf die wichtigen Szenen und die zentralen Elemente gnadenlos. In verschiedenen Situationen nämlich beendet ein Blinzeln die aktuell laufende Szene, auch wenn diese noch nicht fertig erzählt ist. Gut gemacht ist aber, dass das Spiel per Symbolen signalisiert, wann eine wichtige Passage abläuft und der Spieler sich bemühen sollte, die Augen offen zu halten. So interessant sie ist, gemein ist die Mechanik allemal, denn unweigerlich blinzelt man mal mehr, mal weniger.

    So passiert es immer wieder, dass lesbare Dokumente einfach übersprungen oder Dialoge mittendrin abgewürgt werden – was wiederum äußerst interessant ist. Denn das Blinzeln oder Wegschauen bedeutet umgelegt auf die Handlung, dass der Spielfigur die Erinnerung nicht "wichtig genug" warm, um sie dauerhaft vollständig zu speichern. So tiefgehend kann man als Spieler wohl kaum anderswo Einfluss auf den Ablauf der Story nehmen. Bedenken muss man allerdings, dass der Spieler zwischendrin immer wieder Entscheidungen treffen muss, für die er Infos aus seinen Erinnerungen ziehen kann.

    Mehr Geschichte als eigentliches Spiel

    Die interaktiven Elemente sind auch die großen Überraschungen des Spiels, denn sie zeigen, wie sehr sich Erinnerungen, Realität und der Wunsch nach einem ausgefüllten, idealen Leben in die Quere kommen können. Ohne zu viel zu verraten: Selbst dem Fährmann ins Jenseits kommen schnell Zweifel, ob der Protagonist hier auch Erwünschtes mit tatsächlich Erlebtem vermischt. "Before Your Eyes" ist letztlich auch mehr eine emotionale Geschichte als ein Spiel, in der jeder für sich entscheiden muss, welche Werte ihm oder ihr im Leben am wichtigsten sind.

    Picture

    Technisch geht es einfach, aber solide her. Die nette Grafik ist eher grob gehalten und spart mit Details, die Handlung ist voll auf Englisch vertont und mit deutschen Untertiteln versehen. Allzu viele Interaktionsmöglichkeiten gibt es in "Before Your Eyes" letztlich nicht und mit rund fünf Stunden ist das Spiel relativ kurz ausgefallen. Dennoch berührt es mit seiner Handlung, gefällt mit der innovativen Blinzel-Steuerung und lässt den Spieler auch nach dem Ende noch lange über die Story, aber auch die Werte und Wünsche im eigenen Leben und seine oder ihre wichtigsten Erlebnisse nachdenken.