Szene

Bilgeri: "Im Stehen pinkeln? Pures Glück"

Heute Redaktion
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Als Erika vergöttert, als Erik verhöhnt – am 2.3. kommt die Berg- und Talfahrt der Kärntner Skilegende Schinegger (holte 1966 als Frau den WM-Titel, war genetisch aber ein Mann) ins Kino.

"Es ist die Story eines Outlaws, den eine Laune der Natur dazu machte", so Regisseur Reinhold Bilgeri beim "Heute"-Setbesuch im Interview. "Erik musste durch zwei Höllen gehen: die persönliche und die öffentliche. Letztere war noch viel schlimmer, weil den Verantwortlichen (u.a. ÖSV-Funktionär Dr. Fischer, gespielt von Cornelius Obonya, Anm.) die eigene Reputation wichtiger war als die Leiden des Teenagers."

"Die Geschichte der Ohnmacht einer Gesellschaft"

Bilgeri: "Es ist die Geschichte eines vermeintlich gebrochenen Helden, der als Frau und als Mann gelebt hat, die Geschichte eines Traumatisierten. Die Geschichte der Ohnmacht und Hilflosigkeit einer Gesellschaft, die von ihren Tabus entlarvt wird, eine Geschichte von Intoleranz, Vorurteilen und Scheinheiligkeit, ausgetragen auf den Schultern eines stigmatisierten Teenagers, der nur eines wollte: schnell Skifahren. Vielleicht war sein Überleben und schließlich der beeindruckende Kraftakt, sein Leben wieder ins Lot zu bringen, der größte Sieg seines Lebens."

Berg- und Talfahrt zwischen Drama und Irrwitz

Das Biopic beleuchtet den Umgang der Gesellschaft mit dem "Anderen", dem "Freak", dem "Betrüger" – das Ergebnis ist eine Berg- und Talfahrt zwischen unendlicher Bestürzung und echtem Irrwitz. Der Regisseur über eine der prägendsten Szenen im Film: „So ein ein Moment ist Eriks erster Versuch nach der Operation, im Stehen zu Pinkeln. Es gelingt, er ist einfach nur glücklich und lässt sein engste Vertraute, Schwester Sigberta (Marianne Sägebrecht, Anm.), daran teilhaben. Diese Szene desavouiert nicht, sie macht sympathisch."

"Der Ruhm gab Schinegger Kraft. Und nach dieser lechzt er"

Der operative Eingriff (beim Pseudohermaphrodit wurden die nach innen gestülpten Geschlechtsteile freigelegt) bedeutete zugleich den Untergang der professionellen Ski-Karriere, ein Schlag, der den stigmatisierten Sportler schwer traf. "Trotz allem ist es Erik aber gelungen, sich selbst zu besiegen. Er war ein einfacher Bauerbub, der seinen Weg – den des Sports – niemals verlassen hat. Man darf nie vergessen, was dieser Mensch durchgemacht hat. Deshalb muss man auch verstehen, warum er immer wieder in die Medien geht. Der Ruhm von damals hat ihm Kraft gegeben – und nach dieser Kraft lechzt er immer noch hin und wieder. Die Selbstbestätigung, die er damals bekam, von der hat er lange gezehrt. Und jetzt gibts wieder die Möglichkeit, ins Rampenlicht zu kommen und ich gönne ihm das. Ich war ein Fan von Erika und ich bin ein Fan von Erik."

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Freistätter im 60-Jahre-Jogger: "Mit Carven war nichts!"

Gewedelt wurde auf Originalmaterial (Markus Freistätter: "Mit Carven war da nichts!"), ein Jahr lang bereitete sich der Mime auf seine Doppelrolle vor. Zum Casting kam Freistätter im 60er-Jahre-Trainingsanzug seine Opas: "Der fühlte sich irgendwie richtig an!"

Mehr zum Biopic

Der Film erzählt die Geschichte der Kärntner Abfahrtsweltmeisterin von 1966, Erika Schinegger, bei der sich vor den olympischen Spielen 1966 in Grenoble bei medizinischen Voruntersuchungen herausstellte, dass sie genetisch gesehen ein Mann ist. Als vermeintlich weibliche Skirennläuferin jedoch machte sie zuvor Karriere. Erika fuhr sich mit ihren Skiern an die Weltspitze und auf den Gipfel der Hoffnungen ihres Skiverbandes. Auch wenn manch einer ahnte, dass da etwas nicht ganz richtig läuft. Der Triumph hielt bis zu dem Tag an, an dem auch im Skisport der sogenannte „Sex-Test" eingeführt wurde. Die Meldung war ein Riesen-Skandal, eine Sensation, und für Erika der Untergang: Ende der Karriere im jungen Alter von 19 Jahren. Zudem lag der Verdacht nahe, sie und ihr Verband hätten absichtlich betrogen. Der ÖSV versuchte alles zu vertuschen, machte Druck, sie solle sich zum „echten" Mädchen operieren lassen. Dann wäre wieder alles in Ordnung, dann könne sie ihre Medaille behalten. Und der Verband wäre fein raus.

Eine Geschichte aus dem Leben, über die Ungerechtigkeit der Natur, die Tabuthemen der 1970er-Gesellschaft und den Österreichischen Skiverband.

Darsteller und Co.

Unter der Regie von Reinhold Bilgeri spielen Marianne Sägebrecht, Cornelius Obonya, Lili Epply, Ulrike Beimpold, Rainer Wöss, Hary Prinz und viele andere. Die Hauptrolle, Erik/Erika, übernimmt der junge Schauspieler Markus Freistätter. Gedreht wurde bis Ende April 2017 teilweise an Originalschauplätzen in Kärnten wie Neuhaus, Sankt Urban und Umgebung, andere Spielorte sind das Skigebiet Gerlitzen und Lavamünd. Weitere Drehorte sind Wien und Innsbruck.

HIER geht's zur kürzlich erschienen Biografie "Der Mann, der Weltmeisterin wurde"

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