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Briefe aus der Stalingrad-Hölle in Echtzeit auf FB

Regisseur Ascan Breuer veröffentlicht 75 Jahre nach ihrem Entstehen über 90 Briefe seines Großvaters auf Facebook in Echtzeit.

Heute Redaktion
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...Mir ist nicht mehr zumute weiterzuschreiben. Ich mache den Schlamassel nur mit, um für Euch zu leben. Hoffentlich bleibt Ihr mir in der Heimat auch erhalten. Aus einer sehr traurigen Stimmung sendet Dir, mein liebes Frauchen, Dir, meine kleine Heidi und meinem 2. Sprößling, den ich noch nicht gesehen habe, die allerherzlichsten Grüße und Küsse

Euer Vati

Verwahre bitte alle meine Briefe, ich möchte sie später noch mal lesen.

3. August 1942

90 Briefe meines Großvaters aus dem Osten

Dieser Brief ist nur einer von vielen beachtlichen Zeitdokumenten, die seit 5. Juni auf Facebook und Twitter zu lesen sind. Der junge Wiener Filmemacher präsentiert dort nämlich täglich einen von rund 200 transkribierten Briefen seines Großvaters Max Breuer aus dessen prägender Kriegszeit in Stalingrad an seine Frau.

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"Starless in Stalingrad" wird viral

„Starless in Stalingrad" hat mittlerweile über 2.500 Follower. „Ich habe mich nie so stark für den Krieg interessiert und habe die Auseinandersetzung mit den Briefen, die mir meine Tante überlassen hat, hinausgezögert", so Breuer, dessen Großmutter nie mit ihm über die besagten Schriftstücke gesprochen hat. Erst nach ihrem Tod entdeckte Breuer's Tante das Vermächtnis ihres Vaters und begann, die Briefe peu à peu zu digitalisieren.

Spannungsaufbau wie in Echtzeit

75 Jahre nach dem ersten Brief des Großvaters war für den Filmemacher schließlich klar, er müsse sich den Texten widmen und sie im Rahmen seines Projekts „Dokumentarisches Labor", mit dem er bereits Dokus wie das preisgekrönte „Jakarta Disorder" realisiert hat, veröffentlichen. Wichtig war ihm auch, die Briefe nicht alle auf einmal, sondern in der Reihenfolge ihres Entstehens zu veröffentlichen. „Das Besondere dabei ist, dass man sein Schicksal Brief für Brief, fast wie in Echtzeit miterlebt, und selbst nicht weiß, wie es weiter geht. Das hat bisher bei den Lesern sowohl Fragen als auch Frustrationen erzeugt", so Breuer über die bisherigen, durchaus emotionalen Reaktionen der Leser.

Prägende Erlebnisse in Briefform

Max Breuer wurde 1942 zunächst als Rechnungsprüfer seines Regiments eingesetzt und zog mit seinen Kameraden in Richtung Stalingrad. Immer wieder sei er auch an schlimmen Kampfhandlungen beteiligt gewesen. Diese Beobachtungen haben ihn tief geprägt, wie aus den immer drastischer werdenden Briefen hervorgeht, in denen er aber zur selben Zeit versucht, seine Ehefrau zu beruhigen.

"Was mich an dieser Sache interessiert ist, dass ich mich nicht aus familiären Gründen damit auseinandersetze, sondern als Zeitgenosse", so Ascan Breuer.

Ergreifend, berührend und irgendwie schön. Max Breuer würde sich sicher freuen über die digitalisierte Berichterstattung aus der Hölle, die aber immerhin ein Happy End hatte.

Nachzulesen auf Facebook: Starless in Stalingrad

Nachzulesen auf Twitter: StarlessStalin

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