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Bulgaren hielten ihre Minister im Parlament fest

Heute Redaktion
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Bild: STR (EPA)

Seit 14. Juni demonstrieren die Bulgaren vor ihrem Parlament in Sofia. Am Dienstag eskalierte der Protest. Der wütenden Menge gelang es am Dienstagabend, Dutzende Abgeordnete und drei Minister am Verlassen des Parlamentsgebäudes in Sofia zu hindern. Erst gegen 4 Uhr früh (3 Uhr MESZ) konnte die Polizei den Belagerungsring brechen und die Politiker evakuieren. Mindestens zehn Menschen wurden bei Zusammenstößen verletzt.

Die Demonstranten fordern seit Mitte Juni in täglichen Kundgebungen vor dem Parlament den Rücktritt der sozialistisch geführten Regierung und Neuwahlen. Weil ein zwielichtiger Medienmagnat zum Geheimdienstchef ernannt wurde, gingen die Proteste los. Mittlerweile richtet sich der Zorn aber gegen das korrupte politische Establishment Bulgariens als Ganzes.

Sitzblockade ließ Politiker nicht hinaus

Zunächst versuchten die Demonstranten vergeblich, die Abgeordneten am Betreten des Parlamentsgebäudes zu hindern, damit das Gremium nicht beschlussfähig ist. Dann änderten die Demonstranten am gestrigen Dienstag ihre Taktik. Sie richteten eine Sitzblockade rund um das Parlament ein und hinderten die Politiker daran, das Gebäude zu verlassen.

Polizei schaffte um 22 Uhr Evakuierung nicht - Bus wurde attackiert

Gegen 22.00 Uhr Ortszeit scheiterte ein Versuch der Polizei, rund 100 Abgeordnete, drei Minister sowie Journalisten in einem Reisebus aus dem Parlament zu schaffen. Die Demonstranten schlugen nämlich mehrere Scheiben des Gefährts ein, das dann wieder umdrehte.

Gummiknüppel gegen Flaschen und Fahrräder

Die Demonstranten errichteten Barrikaden aus Mülltonnen, Parkbänken und Pflastersteinen, um sich gegen die vorrückenden Polizisten zu schützen. Diese setzten Medienberichten zufolge auch Gummiknüppel ein, während sich die Protestierenden mit Flaschenwürfen verteidigten. Auch ein Fahrrad sei auf die Polizisten geschleudert worden. "Wir sind viele, wir sind stark", skandierten die Demonstranten, die auch die Nationalhymne anstimmten.

400 Polizisten machten "Hände hoch" und schafften Evakuierung

Erst durch die Verlegung von 400 Polizisten zum Parlamentsgebäude konnten die Sicherheitskräfte die Überhand gewinnen. Gegen 4 Uhr Ortszeit schlugen sie einen Korridor durch die demonstrierende Menge und begannen die im Gebäude festsitzenden Personen in mehreren Autos zu evakuieren. Die Polizisten stellten sich in Reihen auf und hielten die Hände hoch, um den Demonstranten zu signalisieren, dass sie keine Gewalt mehr anwenden wollen. Die Beamten wurden von der Menge als "Verräter" und "Söldner" beschimpft. Mindestens fünf Demonstranten und ebenso viele Polizisten wurden bei den Auseinandersetzungen seit Dienstagabend verletzt.

Schweigen von der Regierung

Für Spekulationen sorgte in der Nacht auf Mittwoch das beharrliche Schweigen der Spitzenvertreter der Regierungskoalition aus Sozialisten (BSP) und Türken-Partei (DPS) angesichts der beispiellosen Eskalation der Proteste. Weder Premier Plamen Orescharski noch die Parteichefs Sergej Stanischew und Ljutfi Mestan meldeten sich zu Wort.

EU-Justizkommissarin will Protestierenden helfen

Unterstützung erhielten die Protestierenden am gestrigen Dienstag von EU-Justizkommissarin Viviane Reding. "Ihr könnt auf uns zählen. Wir werden die Regierung in einen echten Kampf gegen die Korruption drängen", sagte Reding nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP bei einem Besuch in Sofia.

Bulgarien befindet sich seit Monaten in einer tiefen politischen Krise. Der Parlamentswahl im Mai war nämlich der vorzeitige Rücktritt des damaligen konservativen Ministerpräsidenten Borissow vorausgegangen. Er hatte im Februar nach Massenprotesten gegen Strompreiserhöhungen das Handtuch geworfen.

APA/red.