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Cannes: Ein Sieg für das konventionelle Kino

Heute Redaktion
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Finale in Cannes: Bei der Vergabe der Goldenen Palme hatte die Jury die Wahl zwischen einem herkömmlichen Arthaus-Film und einer jungen, wilden Produktion. Das konservative Kino gewann. Nuri Bilge Ceylan holte mit "Winter Sleep" Gold, Xavier Nolan musste für den Publikums-Liebling "Mommy" mit dem Preis der Jury vorlieb nehmen.

Finale in Cannes: Bei der hatte die Jury die Wahl zwischen einem herkömmlichen Arthaus-Film und einer jungen, wilden Produktion. Das konservative Kino gewann. Nuri Bilge Ceylan holte mit "Winter Sleep" Gold, Xavier Nolan musste für den Publikums-Liebling "Mommy" mit dem Preis der Jury vorlieb nehmen.

Der große Quentin Tarantino und sein Star Uma Thurman präsentierten den Sieger, als am Samstag Abend in Cannes die Goldene Palme verliehen wurde. 1994 hatte der junge Tarantino hier Gold gewonnen und mit "Pulp Fiction" dem Kino einen neuen Weg eröffnet. Auch heuer rüttelte mit dem erst 25-jährigen Kanadier Xavier Nolan ein Regisseur an der Tür,  der das Talent hat, den Regeln des Filmemachens einen Sauerstoff-Schub zu verpassen. Doch zum Leidwesen vielen Beobachter (und gewiss auch Xavier Nolans) setzten die Juroren um die Regisseurinnen Jane Campion und Sofia Coppola auf die konservative Karte.

Sieger-Film über drei Stunden lang

"Winter Sleep", der Gold-Siegerfilm von Cannes 2014, ist ein stilles Drama, das auf Motiven des russischen Dichterfürsten Anton Tschechow beruht und vom Publikum viel Geduld einfordert. Das Werk des anerkannten türkischen Filmkünstlers Nuri Bilge Ceylan dauert drei Stunden und 15 Minuten. "Winter Sleep" wird in den Arthaus-Kinos ein kleines Cineasten-Publikum finden und dann langsam in den Archiven und DVD-Regalen verschwinden.

"Mommy" wird für volle Kinos sorgen

"Mommy" aber, die radikal inszenierte Familiengeschichte um einen unzähmbaren Teenager mit ADHS-Syndrom und seine exaltierte Mutter, wird rund um den Globus für Schlagzeilen und volle Kinos sorgen - Goldene Palme hin oder her. Autor/Regisseur Nolan, der Wert darauf legt, hier nicht seine eigene Jugend aufgearbeitet zu haben, hat einen Geniestreich geliefert. Das in einem fast quadratischen Bildformat aufgenommene Drama - teils familiärer Horrorfilm, teils schrille Farce - liefert schrecklich gute Unterhaltung. Eine Lösung liefert der Film allerdings nicht: Was soll man mit einem Sprössling tun, der sich konsequent schreiend, krakeelend und gewaltbereit allen Regeln des menschlichen Zusammenlebens verweigert?

Im Vergleich zu "Mommy" boten die meisten Filme des Wettbewerbs formal eher konventionelle Kost. Sehr drastisch in seiner grellen Sicht auf das Neurosen-Paradies Hollywood war allerdings David Cronenbergs Showbiz-Farce "Maps to the Stars".  Dass Julianne Moore als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde, war mehr als verdient. Im Grunde müsste Miss Moore unterwegs zu den Oscars sein - wenn sich Hollywood denn traut, ihr hinreißendes Porträt einer komplett durchgeknallten Filmdiva mit dem Academy Award zu würdigen.

Wenig Einwände gab es in Cannes auch gegen die Wahl von Timothy Spall zum besten Darsteller. In der Film-Bio "Mr. Turner" von Mike Leigh legt er den berühmten Landschaftsmaler William Turner als grunzenden, grummelnden und grollenden Exzentriker an, der nur in der Kunst zu beschwingter Leichtigkeit findet.

Viele gute, aber wenig herausragende Filme

In Summe bot Cannes 2014 eine Menge gute, aber wenig herausragende Filme. Gleichwohl fehlen in der Liste der Preisträger einige Namen, die man gerne unter den Gewinnern gesehen hätte. Etwa Tommy Lee Jones, der mit "The Homesman" einen mitreißenden Western vorstellte. Oder die Brüder Luc und Jean-Pierre Dardenne, die mit dem Arbeiterinnen-Drama "Deux jours, une nuit" (mit Marion Cotillard) eine präzise und fesselnde Analyse der Arbeitswelt boten. Schade ist auch, dass der Mauretanier Abderrahmane Sissako unbelohnt blieb. Der Filmemacher aus Afrika lieferte mit "Timbuktu" eine beinharte Attacke gegen die mörderischen Taten fundamentalistischer  Gotteskrieger.

 

Gunther Baumann, Cannes

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