Zuschauer-Exodus bei Lars von Triers "The House That Jack Built", stehende Ovationen für Spike Lees Rassismus-Groteske "BlacKkKlansman".
Das Filmfest Cannes hat seinen ersten großen Aufreger. Die Weltpremiere von Lars von Triers Schocker "The House That Jack Built" endete Montagnacht vor deutlich weniger Zuschauern, als sie begonnen hatte. An die 100 Besucher verließen während der Vorstellung den Saal. Der Grund: Die Premierengäste mochten die extrem grausamen Gewaltszenen nicht länger ertragen.
Ein Haus voller Leichen
Der Däne Lars von Trier ("Dancer In The Dark", "Nymph()maniac") ist ja bekannt dafür, sein Image eines Enfant Terrible mit ständig neuen Provokationen auszureizen. In "The House That Jack Built" geht der Regisseur wieder mal einen Schritt weiter. Sein Film ist ein Horror-Drama über einen Serienkiller (Matt Dillon), der schon mehr als 60 Morde verübt hat. An fünf dieser Bluttaten muss das Kinopublikum teilhaben.
Es beginnt mit einer Autofahrerin (Uma Thurman), die nach einer Panne das Pech hat, dem Killer zu begegnen. Erst nimmt er sie in seinem Wagen mit, dann schlägt er ihr den Schädel ein. Anschließend erwürgt er eine Witwe und erschießt eine Mutter mit ihren zwei Söhnen. Und so fort.
Der Killer kennt seine Opfer kaum; die Morde haben kein erkennbares Motiv. Wozu also das Blutbad? In Dialogen mit einem geheimnisvollen Begleiter namens Verge (gespielt von Bruno Ganz, der in seinen meisten Szenen nur zu hören, aber nicht zu sehen ist), zieht der Killer immer wieder Parallelen zwischen seinen Taten und der Kunst - von der Musik eines Klassik-Genies wie Glenn Gould bis zur Architektur. Offenkundig versteht sich der seelisch kranke Mann als Künstler. In seinem Berufsleben als Bauingenieur ist er gescheitert. Das Haus, das dieser Jack baut, ist eines aus tiefgefrorenen Leichen.
Natürlich geht es einem Filmemacher wie Lars von Trier nicht darum, wie in einem Splatter-Movie eine möglichst grausige Blutsuppe anzurühren. Sein neues Drama handelt, wie alle seine Filme, von der menschlichen Befindlichkeit - allerdings konzentriert auf die eigene Person. Der schwer depressive Regisseur lässt einmal mehr einen Blick in die Abgründe seiner Seele zu. Ob ihm viele Kinozuschauer bei diesem Höllentrip folgen wollen, ist mehr als zweifelhaft.
BlacKkKlansman
Ganz anders war die Stimmung in Cannes, als Spike Lee - auch er ein Enfant Terrible, das die Provokationen liebt - mit seiner Groteske "BlacKkKlansman" in den Wettbewerb um die Goldene Palme eintrat: Das Publikum feierte den Regisseur und seine Stars mit stehenden Ovationen. Der Film erzählt die wahre Geschichte des dunkelhäutigen Polizisten Ron Stallworth, dem es in einer Undercover-Aktion gelang, zum Boss des rassistischen Ku Klux Klan in der Stadt Colorado Springs zu werden.
Dieser Ron Stallworth wird gespielt von John David Washington, einem Sohn von Hollywood-Star Denzel Washington, der von seinem Vater nicht nur das Talent, sondern auch die markante Stimme geerbt hat. Die Klan-Aktion beginnt damit, dass Stallworth einfach mal bei der "Organisation" (so nennt sich der Ku Klux Klan selbst) anruft - und freundlich zu einem Treffen eingeladen wird. Natürlich kann er dort als Schwarzer nicht selbst hingehen; das überlässt er seinem Cop-Kollegen Flip Zimmerman (Adam Driver).
Von da an beginnen die beiden, als doppelter Stallworth den Klan zu unterwandern - der schwarze Stallworth am Telefon, der weiße bei den Meetings. Das kann ganz schön unerträglich werden, weil die Jungs vom Klan ständig über Juden und "Nigger" herziehen. Und gefährlich ist es auch, weil die Fanatiker der "Organisation" einen Bombenanschlag planen.
"BlacKkKlansman" beginnt als rasante Farce, hängt dann ein wenig durch, um schließlich starke Thriller-Spannung aufzubauen, wenn es gilt, das Bombenattentat des Klans zu verhindern. Spike Lee lässt in bester Agitprop-Manier die Argumente (und die Köpfe) von schwarzen und von weißen Anführern aufeinander prallen. Wobei seine Sympathien natürlich eindeutig bei den Black-Power-Fans liegen und nicht bei den weißen Rassisten.
Am besten aber, daran lässt "BlacKkKlansman" keinen Zweifel, wäre es, wenn die verschiedenen Ethnien in den USA einfach friedlich miteinander leben könnten. Doch der Weg dorthin, das erfährt man regelmäßig aus den Nachrichten, ist noch weit.
Gunther Baumann (Film Clicks), Cannes