Politik

Caps Bruder ruft Josef zur Ordnung

Heute Redaktion
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Skurril: In einem offenen Brief ruft der ehemalige Juso-Chef Christian Cap seinem Bruder, dem früheren SPÖ-Klubobmann und künftigen Programmdenker Josef Cap, wesentliche Prinzipien sozialdemokratischer Politik in Erinnerung. Den Brief hat die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" abgedruckt. Lesen Sie den ganzen Text unten.

Skurril: In einem offenen Brief ruft Ex-Juso-Chef Christian Cap seinem Bruder, dem früheren SPÖ-Klubobmann und künftigen Programmdenker Josef Cap (61), wesentliche Prinzipien sozialdemokratischer Politik in Erinnerung. Den Brief hat die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" abgedruckt. Lesen Sie den ganzen Text unten.

Nachdem Josef Cap nach zwölf Jahren Leitung der SP-Parlamentsfraktion dem bisherigen Staatssekretär im Finanzministerium, Andreas Schieder, weichen musste, um am neuen Parteiprogramm der Sozialdemokraten zu arbeiten, hagelte es für sein In einem offenen Brief mahnt ihn nun sein Bruder Christian, einst Juso-Chef, rote Meilensteine auf die Höhe der Zeit zu heben und nicht an alten Errungenschaften festzuhalten. Dabei weist er ihn nicht nur auf heutige Missstände, wie etwa die enorme Jugendarbeitslosigkeit und fehlende Lösungskonzepte, sondern auch auf die Notwendigkeit hin, Antworten auf Fragen von Umweltschutzthemen zu finden. Auch das Thema Datenschutz im Zusammenhang mit der NSA-Überwachung legt Christian seinem Bruder Josef ans Herz.

Es gehe darum, so der Betriebswissenschafter, dass die SPÖ neu definieren müsse, für welche Inhalte sie steht. Die Partei sei heute ein "abgeschottetes Gebilde, das sich als Plattform für politische Initiativen öffnen müsse".

Anbei der "offene Brief":

Lieber Josef,

Du sollst Dich in Deinem neuen Job als Präsident des SPÖ-eigenen Renner-Instituts mit der Zukunft der SPÖ und ihrem neuen Parteiprogramm auseinandersetzen. Das kann spannend sein, aber auch nervenaufreibend werden.

Lass mich daher eines vorweg klarstellen: Bei aller derzeit hörbaren Kritik an der Höhe Deines zukünftigen Gehalts bin ich der Meinung, dass Du jeden Cent wert bist, wenn es Dir tatsächlich gelingen sollte, die intellektuell behäbig gewordene SPÖ geistig wieder zu mobilisieren. Dein Gehalt wäre dann wohl Schmerzensgeld und Erfolgsprämie in einem.

Mit den folgenden Zeilen lade ich Dich daher - gleichsam zum geistigen Aufwärmen - zu ein paar Reflexionen ein.

Reden wir nicht lang herum. Das letzte Wahlergebnis bescherte beiden ehemaligen Großparteien eine neue Qualität des jahrelang schon zu beobachtenden Wählerschwunds. Gemeinsam verfügen sie nun gerade noch über 50 Prozent Wähleranteil. Das sind etwas weniger als 40 Prozent der Wahlberechtigten.

Geblieben ist die formale Zustimmung zur Bildung einer Großen Koalition, geblieben ist die machtpragmatische Fähigkeit, das tagespolitische Routine- und Verwaltungsgeschäft solide zu erledigen. Das ist, wie Du weißt, auf Dauer zu wenig.
Was in dieser Koalition von SPÖ und ÖVP fehlt, ist die Vermittlung der Faszination des Politischen per se. Nichts verhilft dem Wähler zu der Gewissheit, Subjekt und nicht Objekt der politischen Sphäre zu sein. Es fehlt die Einladung zum gestaltenden Dabeisein. Stattdessen wird ein Wähler, will er einmal politisch agieren, als Störfall auf zwei Beinen wahrgenommen.

Was fehlt, ist die Freude am Gedankenspiel politischer Möglichkeiten. Stattdessen wird verteidigt, was ist, und, wenn überhaupt, nur vorsichtig und in kleinsten Schritten verändert.

Was fehlt, ist eine von den Koalitionsparteien gelebte Bereitschaft, in einem System der Europäischen Gemeinschaft die eigenen Machtgrenzen offen zu legen und gleichzeitig die Mehrheit in unserem Land endlich für das Gelingen des europäischen Projektes zu begeistern, statt wie bisher die Kultur der wirtschaftlichen Nur-Nutznießer zu pflegen. Erst dann kann eine nationale Regierung jene Unterstützung erlangen, die sie benötigt, um auch unpopuläre Entscheidungen auf europäischer Ebene offensiv mitzugestalten und sie nicht nur wie derzeit still geschehen zu lassen.

Parteien haben in unserem demokratischen System die Aufgabe, einen Entwurf für etwas so Großes wie "das moderne Leben" zu formulieren, wobei mir die Dehnbarkeit dieses Begriffs wohl bewusst ist.

Wenn eine Partei wie die SPÖ mit ihrem Wahlprogramm den Wählern keine inspirierende Idee für deren zukünftige persönliche Lebensgestaltung zu vermitteln weiß, so muss sie letztendlich auf Dankbarkeit für Vergangenes hoffen. Unfreiwillig wird sie dann schnell Teil der politischen Folklore und zu einem Objekt der Traditionspflege.

Beide ehemalige Großparteien haben sich zu Traditionsvereinen gewandelt. Was beiden fehlt, ist der erkennbare Entwurf eines modernen Lebenskonzepts in einer ungemein dynamischen Zeit.

Die SPÖ, einst mit absoluter Mehrheit ausgestattet, hat sich in den letzten 20 Jahren thematisch zu einer Einthemenpartei zurückentwickelt. Alles, was unter dem nach wie vor großen Dach des europaweiten Konzepts der sozialen Marktwirtschaft mit Erwerbsarbeit und sozialer Absicherung zu tun hat, ist ihr zentrales Anliegen geblieben. Karl Marx, Victor Adler und Bruno Kreisky sei Dank!

Nur: Der klassische Begriff der Erwerbsarbeit als zentraler Orientierungspunkt wahlstrategischer Themenentwicklung (wobei auch die Pensionszeit als Zeit nach dem Arbeitsleben auf diesen Arbeitsbegriff Bezug nimmt) greift inzwischen viel zu kurz. Leben im Heute besteht aus viel mehr als nur aus der Absicherung und Verteidigung des Erreichten.

Unser Leben hat neue, auch virtuelle Existenzräume hinzugewonnen. Die Freizeitgesellschaft steht gleichberechtigt neben der Arbeitsgesellschaft, die Möglichkeiten der Selbstfindung und -verwirklichung in der Medien- und Spielegesellschaft sind ungemein herausfordernd. Die angestrebte Bildungsgesellschaft wurde längst von einer stupiden Lerngesellschaft abgelöst, und Qualifikation ist kein Garant mehr für ein wirtschaftlich abgesichertes Leben.

Josef, es tut mir leid, aber der alte Klassenbegriff – der ohnedies nur noch als etwas traditionell Nachzuempfindendes zelebriert wird – hat ausgedient. Aus. Vorbei.

Lesen Sie auf er nächsten Seite weiter!

Viele junge, gut ausgebildete Menschen leben heute in einer neuen Selbstständigkeit. Oftmals freiwillig, nicht selten aber auch unfreiwillig, um der Jugendarbeitslosigkeit zu entgehen. Die Gewerkschaft hat für diese Menschen bis heute kein Integrationsangebot unterbreiten können, das ausreichend attraktiv wäre.

Die Umweltschutzthemen sind wuchtige Fundamentalfragen unserer Zeit, die mit gewerkschaftlich-industriellem Wirtschaftsverständnis häufig nicht in Einklang zu bringen sind. Aus dem Wahrnehmungsradar der SPÖ bleiben sie ausgeblendet. Wie konnte es Euch denn sonst passieren, dass der während des Wahlkampfes veröffentlichte Weltklimabericht nicht einmal den "Ach da war doch noch was"-Status bei den Strategen der SPÖ erlangte?

Auch der für alle offene Zugang zu Datendiensten, für viele junge Menschen Lebensgrundlage ihrer virtuellen Existenz im Internet, hat nach wie vor lediglich Fußnotencharakter im Programmatischen der SPÖ.

Wieso hat nach den Enthüllungen über die NSA-Überwachung jeglicher politischer Reflex ausgesetzt? Hängt das vielleicht damit zusammen, dass Politikern der Koalitionsparteien die Macht des Kommunikationsraumes Internet verdächtig ist, weil er sich der Lenkungsfantasie zu sehr entzieht und eben nicht kontrollierbar ist? Du solltest Dir bewusst sein, dass das Internet das Wissen unserer Zeit radikal demokratisiert hat und eine Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft wie die unsrige vom Zugang zu Wissen und dem vertrauensvollen Umgang mit Informationen lebt. Und dazu zählt der Schutz der digitalen Privatsphäre und ihre Verteidigung durch den Staat.

In dieser Situation den Verteidigungsminister Gerald Klug vor die Kamera zu stellen und in sparsamer Sprache über die Notwendigkeit von Geheimhaltung philosophieren zu lassen, hat in mir das entbehrliche Gefühl ausgelöst, Österreich sei wieder einmal lediglich das 97. Add-on der Weltpolitik.

Wie sehr haben mir da Kreisky und seine Politik gefehlt. Was hätte der aus solch einer Situation gemacht! Wie sehr hat er es verstanden, die charismatische Vision der Modernisierung Österreichs, unter anderem mit der Forderung nach Demokratisierung aller Lebensbereiche und dem Ausbau des Sozialstaates, zu formulieren und erfolgreich in eine absolute Regierungsmehrheit umzusetzen.

Keine Angst, Josef, es geht nicht darum alte Zeiten herbeizusehnen. Mir geht es darum, Dich alten Politikhasen anzustacheln, das erneut zu finden, was uns damals zu politisch interessierten Bürgern gemacht hat: die Gewissheit, dass eine Gruppe von Politikern in der SPÖ wieder entschlossen ist, neu zu definieren, was Modernität in heutiger Zeit bedeutet, und die es versteht, jene Wünsche politisch zu formulieren, die aus sozialdemokratischer Sicht an ein zeitgerechtes Leben zu richten sind.

Die SPÖ, heute ein abgeschottetes Gebilde, muss sich als Plattform für politische Initiativen öffnen. Es muss möglich sein, in ihr Demokratie auf Augenhöhe zu leben. Um Ausgrenzung zu vermeiden, sollte sie den Problemen einer multikulturellen Gesellschaft begegnen, indem sie um ein neues Verständnis der österreichischen Identität ringt. Sie muss den Stellenwert des Einzelnen, seine Individualität, im Sinne der Aufklärung, wieder stärker gegenüber der zunehmenden Missachtung durch große Unternehmen und, ja, auch staatliche Gebilde, schützen, damit Würde wieder eine Grundlage jeder Biografie bildet.

Das alles setzt aber voraus, dass intellektuelle Intervention und das Formulieren ungewöhnlicher Analysen, Gedanken und Vorschläge als Bereicherung gesehen wird und nicht als störender Hintergrundlärm im politischen Alltag, den es auszublenden gilt.

Die Neos, als Überraschungsgast am Wahlabend das Frischedeodorant unserer Demokratie schlechthin, haben es immerhin verstanden, der Idee der liberalen Individualgesellschaft ohne Ellbogenbrutalität vorerst neues Leben einzuhauchen. Sie waren für viele junge Menschen inspirierend genug, zur Wahl zu gehen und sich danach mit der neuen Partei zu freuen. Bereitschaft zu Engagement gibt es also genug!

Das ist es, was das neue SPÖ-Programm leisten muss: die Freude am Politischen ins politische Leben zurückzubringen und das traurige Gefühl vieler Wähler, nur eine duldsame Wartesaalexistenz zu sein, aufzulösen. So lassen sich die Möglichkeiten des Gestaltens wieder zum Leben erwecken.

Ein früherer Parteivorsitzender der SPÖ hat einmal auf die Frage nach den charismatischen Visionen der SPÖ geantwortet: "Wer Visionen hat, braucht einen Arzt."

Schau Dir bitte diese – unsere – Partei ohne Visionen an. Da kann ein Arzt allein nicht mehr helfen. Da muss mehr her!

In Nachdenklichkeit,

Christian