"Die kleinen Füße in der Plastikdose werde ich nie vergessen." Wenn Claudia Turek über ihre Fehlgeburten spricht, wirkt sie emotional und doch gefasst. Über die Jahre hat sie gelernt, ihrer Trauer Platz zu geben und sie nicht zu verdrängen. Das hilft ihr heute im Privaten, aber auch in Gesprächen mit anderen Betroffenen. Diese betreut sie gemeinsam mit ihrem Team im Verein "Regenbogen".
"Ich wollte immer Kinder", erzählt die 43-Jährige im Gespräch mit "Heute". Dementsprechend groß war die Freude bei ihr und ihrem Partner, als der Schwangerschaftstest 2006 positiv war. "Es war ein absolutes Wunschkind", strahlt Turek. Die ersten Monate der Schwangerschaft verliefen gut, das Baby war gesund und die werdenden Eltern überglücklich. "Ich habe mich wohl gefühlt und schon sehr bald eine starke Bindung zu meinem Sohn aufgebaut." Dann der Schock: Nach einer Harnwegsinfektion, die sich die werdende Mama im Schwimmbad geholt hatte, setzten plötzlich Blutungen und schließlich Wehen ein. Turek kam ins Spital, sie war damals in der 16. Schwangerschaftswoche. "Anfangs haben sie versucht, die Wehen zu stoppen. Als sie dann umschwenkten und die Wehen verstärkt haben, war klar: es wird eine Fehlgeburt", erinnert sich die junge Frau.
"Wir waren im Schock. Ich habe immer gedacht, wenn ich aufpasse und mich an alles halte, wird es gut gehen. Aber es war schrecklich." Turek brachte ihr totes Kind per Kaiserschnitt zur Welt und wurde daraufhin von Psychologen betreut. Diese rieten ihr, das Baby noch einmal zu sehen, um begreifen zu können, was passiert war. Diesen Moment wird Turek nie vergessen: "Ich bekam eine Plastikdose mit einem 50 Gramm schweren Buben. Ein kleiner Kopf, kleiner Körper und kleine Füße. Das bleibt in Erinnerung." Ihr Dominik, so der Name des Kindes, wurde in einem Sammelgrab für Sternenkinder am Wiener Zentralfriedhof begraben. Ab der 12. Woche können verstorbene Kinder bestattet werden. Das Begräbnis war einer der schwersten Tage ihres Lebens: "Ich war ein heulendes Elend. Die ersten drei Wochen nach der Fehlgeburt konnte man nichts mit mir anfangen, ich war in einem tiefen, schwarzen Loch." Ihr Partner trennte sich nur kurze Zeit nach der Fehlgeburt von ihr. "Ich war alleine zuhause – ohne Kind und ohne Mann", sagt sie leise.
Mit der Hilfe von Freunden, Familie und Psychologen sowie der Selbsthilfegruppe in Wien rappelte sich die starke Frau wieder hoch, lernte ihren Mann kennen. Für sie war immer klar: "Ich möchte ein Kind haben." Doch es wollte einfach nicht klappen. 2015 und 2017 erlitt Turek zwei weitere Fehlgeburten. Nach zahlreichen Untersuchungen und künstlichen Befruchtungen stand fest: Die Wienerin leidet an einem Gendefekt. "Wir hätten es weiterhin versuchen können, aber das hätte viele Hormonspritzen und vor allem Anstrengungen bedeutet", so Turek. "Deshalb haben wir irgendwann gesagt 'es ist genug' und uns für eine Adoption entschieden." 2018 zogen die drei Monate alten Zwillinge Anna und Viktor als Dauerpflegekinder bei der Familie ein – ein Glück, das Turek kaum in Worte fassen kann. Und dann die große Überraschung: "Kurz nachdem die beiden eingezogen waren, hatte ich plötzlich einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Ich konnte es gar nicht fassen!"
Drei Kinder hat Claudia Turek verloren – heute lebt sie mit ihrem Mann und drei Kindern (Sohn Jan ist nur 10 Monate jünger als die Zwillinge) in Wien. "Mir wurden drei Kinder genommen und drei geschenkt. Wenn sich heute Eltern über ihre Kinder ärgern, dann denk ich mir immer: Vergesst nicht, was für ein Geschenk Kinder sind."
Die Kindergärtnerin engagiert sich mittlerweile beim Verein "Regenbogen" (Antonsplatz 20, Favoriten). Dieser bietet Eltern, deren Babys vor oder kurz nach der Geburt verstorben sind, Unterstützung. Dazu gehören Einzelgespräche, Gesprächsrunden, Informationsmappen oder Bastelrunden. Bei gemeinsamen Nähtreffen entstehen unter anderem Einschlagtücher, die Sternenmamas und Papas in den Wiener Krankenhäusern zur Verfügung stehen. Darin werden die Kinder eingewickelt, damit die Eltern sich noch verabschieden können.
Der Verein unterstützt auch bei Sammelbestattungen und sorgt dabei für die passende Gestaltung. Eine derartige Hilfe hätte sich Turek bei ihrer ersten Fehlgeburt gewunschen. "Damals gab es noch kaum Infos im Spital. Darf ich mein Kind bestatten lassen und wo? Das wusste ich alles nicht. Deshalb bieten wir dort unsere Mappen mit Erstinfos an." Betroffene, die sich mit anderen austauschen und Hilfe holen möchten, können sich jederzeit beim Verein "Regenbogen" melden.
Herzlich willkommen sind auch Männer: "Oft ist es so, dass die Männer für die Frauen da sind und ihre eigene Trauer zur Seite schieben. Aber es ist wichtig, sich der Trauer zu stellen. Sonst holt einen das Thema nach Jahren ein", sagt Turek. Der Verein "Regenbogen" finanziert sich über Spenden und eine Unterstützung der Wiener Gesundheitsförderung. Die EInschlagtücher und Infomappen erhalten Betroffene kostenlos. Mehr Infos finden Sie hier.