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Conchita: "Ich bin ein wahnsinniger Egoist"

Heute Redaktion
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Die Conchita, der Conchita, völlig wurst. Die schillerndste Kunstfigur Österreichs macht Musik – und lässt sich dabei von den Wiener Symphonikern tragen. Das große Interview.

Kaum einer hat die Spielwiese Showbiz in den letzten Jahren so gründlich abgegrast, wie Thomas Neuwirth alias Conchita (vormals Wurst). 2014 siegte er beim Song Contest in Kopenhagen, seither folgten ein Debütalbum, zahlreiche Awards, Darbietungen bei Prides, Einladungen in TV-Shows in mehr als 20 Ländern, Konzerte in der ausverkauften Oper von Sydney, der Berliner Philharmonie, im Palladium in London, sowie Auftritte als Host des Life Ball, der Eröffnung der Wiener Festwochen und der Amadeus Austrian Music Awards 2018.

"Melancholische Popmusik im klassischen Gewand"

Ab 19.10 wird's klassisch, für sein neues Album "From Vienna With Love" (großes Galakonzert am 20.10. im Wiener Konzerthaus!) ließ sich der Sänger von den Wiener Symphonikern begleiten. Im Herbst geht's dann wieder mit seiner Band auf Tour, auf dem Programm der 17 Abende in 15 deutschen und österreichischen Städten stehen Lieblings-Coversongs der letzten Jahre genauso wie Ausschnitte aus seinem Orchesterprogramm.

Highlight ist das "Birthday-Special" am 8.12. in Wiener MuseumsQuartier – Conchita wird 30!

Männlichkeit, Mama und mörderische Mode

Bevor es aber soweit ist, verpasste Tom seiner Kunstfigur ein deutliches Facelift. Vor wenigen Wochen ließ der Sänger nämlich damit aufhorchen, künftig wieder als Mann wahrgenommen zu werden. Äußerlich hat die Verwandlung light begonnen, innerlich ist sie längst vollzogen. Im Interview spricht Conchita über Männlichkeit, Dancing Stars, das Konterfei seiner Mutter Helga auf seinem Rücken und die Errungenschaft, "Nein" zu sagen. Und wir erfahren auch, warum er die Golden Globes 2015 nach nur einer Stunde verließ.

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Interview mit Conchita

"Heute": "Conchita ist jetzt ein Mann", titelte kürzlich die "Bild". Das hat mich ein wenig verwirrt.

Conchita: Versteh ich. Ich hab über dieses Headline auch gelacht und mir gedacht: Ihr wisst aber schon, dass ich auch früher einer war, oder?

"Heute": Ich hab das ja immer so verstanden: Sie, Tom Neuwirth, haben eine Kunstfigur kreiert, die männliche und weiblich Attribute vereint, um Zweifler in ihren Zweifeln zu irritieren.

Conchita: Das ist fast schon zu viel der Rosen. In Wahrheit hab ich das Ganze tatsächlich nur gemacht, weil ich es lustig fand. Ich hab nicht darüber nachgedacht, wem es gefällt und wem nicht. Dass es dann auch funktioniert, ist einfach passiert.

"Heute": Aber was genau ist jetzt anders, als vor Ihrer Ansage, wieder als Mann wahrgenommen zu werden? Äußerlich ist's ersichtlich (kürzere Haare, weniger Make-Up, maskulinere Kleidung, Anm.). Und innerlich?

Conchita: Ich hab in diesem Interview einfach nur den Zustand beschrieben, in dem ich mich gerade in meine Leben befinde. Und das ist eine Weiterentwicklung von dem Zustand von vor vier Jahren. Momentan sieht es in mir einfach so aus. Und deshalb trage ich auch diese Frisur und diese Kleidung. Und ja, ich fühle mich in manchen Belangen – ohne jetzt zu viele Schubladen bedienen zu wollen – einfach männlicher als damals. Nicht mehr und nicht weniger.

"Heute": Wie würden Sie einer alten Dame, die Sie auf der Straße mit großen Augen anschaut, erklären, wer Sie sind und was Sie tun. Wenn sie Sie darum bitten würde…



Conchita: Ich bin Künstler und habe das Glück, die Seite an mir, die larger than life ist, die sich gerne verkleidet und gerne im Mittelpunkt steht, auch tatsächlich ausleben zu können. Wir sind alle so wahnsinnig facettenreich. Es gibt mich als Privatperson, die im Jogginganzug vor Netflix liegt und eine Pizza reinschaufelt. Und dann gibts die Person, die schön frisiert mit einem tollen Anzug mit einem Orchester performt. Das würde ich sagen.

"Heute": Pizza, gutes Stichwort. Sie waren medial immer so extrem straight unterwegs, nie ein Ausrutscher bei Ihren Aussagen oder Auftritten. Hat sich Ihr Korsett jetzt auch anders gelockert, als nur in Bezug auf die Kleidung?



Conchita: Ja, ich denke schon. Conchita war in der Phase nach dem Song Contest eine konservative Präsidentengattin. So hab ich sie gespürt und so hab ich das kommunziert. Ich habe mich weiterentwickelt, über mich selbst und das Leben gelernt. Was mir von dieser Zeit damals aber schon geblieben ist: Ich bin sehr diplomatisch, weil ich nichts verurteilen will, von dem ich am Ende des Tages vielleicht gar keine Ahnung habe. Ich gehe einfach respektvoll damit um, wie andere Menschen die Welt sehen. Ganz egal, ob ich sie auch so sehe. Ich kann ja nicht allen meine Wahrheit diktatorisch überstülpen. Es gibt viele Dinge, bei denen ich anderen Parteien eingestehen muss, dass sie richtig sein könnten. Es gibt aber auch Positionen, die ich ganz klar beziehe.

"Heute": Bitte um ein konkretes Beispiel…

Conchita: Ich hab einfach aufgehört, für andere mitzudenken. Ich hab begonnen, mich damit zu begnügen, dass, wenn man mir etwas sagt, es diese Person auch so meint. Früher hab ich das, was gesagt wurde, hinterfragt und analysiert. Das macht einen wahnsinnig. Das hat sich geändert. Und das birgt für mich eine eine wahsninnige Freiheit. Weil: Wenn man den anderen zugesteht, so zu sein, wie sie wollen und das zu sagen, was sie denken, räumt man sich selbst dieses Recht auch ein. Also bin ich jetzt kompromissloser mit meiner Meinung. Ganz konkret? Ich kann mittlerweile "Nein" sagen. Wenn ich zum Beispiel extrem müde bin am Abend, einfach nicht mehr will oder kann, sage ich Verabredeungen ab, auch, wenn ich weiß, dass wir uns schon lange nicht mehr gesehen haben. "Schatz, i'm sorry, aber heut geht's einfach nicht." Diesen Satz kann ich mittlerweile sagen.

"Heute": Sie haben seit Ihrem ESC-Sieg zahllose Stationen abgegrast. Kam nie der Moment, in dem Sie sich auf dieser großen Spielwiese verloren haben?

Conchita: Nein, weil ich echt nur das gemacht habe, was ich machen wollte. Das war ja auch ein grosses Privileg. Ich meine, hätte ich angefangen, direkt nach dem Sieg Fitnessmode zu verkaufen, hätte ich mich schon fragen müssen, wie ich diesen Spagat schaffe. Aber ich sehe es schon als immer wiederkehrende Chance, Neues zu entdecken.

"Heute": Was haben Sie kürzlich neu entdeckt?

Conchita: Das Tanzen. Ich habe lange nicht getanzt. Das hat jetzt vor einem Jahr ein bisschen begonnen. Ich wollte das wirklich mit Ernsthaftigkeit probieren, es ein bisschen ausfeilen und schauen, ob das nicht vielleicht doch etwas für mich ist.

"Heute": Also doch "Dancing Stars" …

Conchita (lacht, sein Manager verfällt derweil in Schockstarre, Anm.): Nein, ich glaube nicht, dass ich gut darin bin, Standardtänze zu lernen. Das hab ich schon mitgekriegt.

"Heute": Und wie oft hat der ORF wirklich schon angeklopft?

Conchita: Ein paar Mal.

"Heute": Die wohl abgedroschenste aller Fragen bekommt angesichts Ihrer Wandlunsgfähigkeit neuen Glanz: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Conchita: Nachdem ich nicht einmal weiß, wie ich in zwei Wochen aussehe werde, tu ich mir da schon schwer. Ich bin so ein intuitiver Mensch und ich handle so viel aus dem Bauch heraus, dass ich oft Prognosen habe und dann aber merke, dass etwas anderes viel cooler ist. Ich weiß halt von mir, dass ich immer etwas finden werde, was mich glücklich macht.

"Heute": Tom in Jeans und Shirt auf der Bühne, könnte auch das Zukunftsmusik sein?

Conchita: Ich würde nicht sagen, dass es nicht irgendwann einmal soweit ist. Es könnte schon sein, dass Tom wieder kommt, aber eines ist fix: Ganz sicher nicht nur in Jeans und T-Shirt. Weil das bin ich einfach nicht. Die Bühne ist meine Welt, wo ich ausleben darf, so auszusehen, wie ich nicht aussehen will, wenn ich zum Billa einkaufen gehe. Und deswegen wird die Bühne immer der Ort sein, an dem ich schön sein werde.

"Heute": Was war das unbequemste Couture-Outfit, das Sie jemals tragen durften?

Conchita: Ach Gott, wenn an das zurückdenke. Ich war bei den Golden Globes eingeladen und wollte auf diesem Red Carpet alle Blicke auf mich ziehen, ich wollte die Schönste sein. Und so hab ich ein unfassbar schönes Kleid getragen. Ich ging über den Teppich, wurde geseated und merkte nach fünf Minuten, dass ich einfach nicht mehr sitzen kann. Diese Couture ist nicht dazu gemacht, sich wohlzufühlen. Im Gegenteil. Diese Kleidungsstücke sind gegen dich. Es hat unglaublich weh getan, ich bekam keine Luft und bin wirklich nach einer Stunde gegangen. Es war nicht auszuhalten.

"Heute": Wann sind Sie eigentlich mit klassischer Musik in Kontakt gekommen?

Conchita: Ich bin nicht aufgewachsen und habe mit meinen Eltern Mozart gehört. Ich hab klassische Musik erst im Kontekt mit Popmusik wahrgenommen. Das waren schon immer diese Crossover-Projekte, die mir zu verstehen gegeben haben, dass Orchester richtig toll klingen. In den letzten Jahren hab ich ein bisschen begonnen, mich damit zu befassen. Ich hab mir viel erklären lassen, auch zu den Epochen und ihren Merkmalen, so komme ich in die essentielle Materie der Klassik. Aber das, was ich hier mache, ist ja immer noch Popmusik. Aber in einem sehr klassichen Gewand. Und natürlich mit viel Melancholie.

"Heute": Christina Stürmer kann lebt mittlerweile gut damit leben, wenn man ihr sagt, sie mache Schlager. Schubladisieren Sie Ihre Musik noch oder haben Sie diesbezüglich auch jegliches Ressentiment übertaucht?



Conchita: Man macht so viele Phasen durch. Je älter ich werde, desto mehr verstehe ich, dass es nur, weil es antrainierte Regeln gibt, noch lange nicht heißt, dass man sie befolgen muss. Es geht am Ende des Tages einfach nur darum, selber glücklich zu sein. Ich bin ein wahnsinniger Egoist. Ich bin sehr egozentrisch. Ich will, dass es MIR gut geht und ich will aus MEINEM Leben 200 Prozent rausholen. Schön ist, dass ich von meinen Eltern mitbekommen habe, dass Liebe und Freundschaft und das Interesse an Menschen dein Leben komplettieren. Man darf sich selbst nie aus den Augen verlieren, in diesem Konstrukt, wie man sein soll. Sprich: Man muss die Menschen finden, die dich so sein lassen, wie du bist.

"Heute": Bei wie viel von den 200 Prozent sind Sie schon angelangt?

Conchita: Ich hoffe doch, dass ich bei ein bisschen über 100 bin. Man denkt sich doch so oft, zu wissen, was man will und was man braucht und dann kommt man wieder drauf, ach, nein… das nicht. Das hab ich schon gelernt. Ich bin der, der ich bin, und zwar immer im Moment. Wenn man gewillt ist, zu wachsen, passiert einem das auch. Darauf verlasse ich mich.

"Heute": Wie viele Tattoos haben Sie mittlerweile?

Conchita: Immer noch drei. Ich hab eine Meerjungfrau, ein Familiensymbol und am Rücken ein großes Porträt meiner Mutter Helga.

"Heute": Wie hat sie damals reagiert?

Conchita: Nicht so wahnsinnig gut. Sie hat nicht erkannt, dass sie das ist. Als ich's ihr gesagt hab, ging's dann aber. Es ist ja auch nicht so offentichtlich ein Porträt von ihr, sondern eine Illustration.

"Heute": Ihr bisher schönster Moment mit den Wiener Symphonikern?

Conchita: An einem Freitagnachmittag im Studio zu stehen. Sie spielen dein Album ein und du realisierst, dass dir die Symphoniker grad ein Privatkonzert geben. Das ist so surreal und groß und erfüllt mich so einer Demut. Weil ich mir denke: Ich bin ein Popsänger, der nur sein Bestes versucht, um der Klassik die Ehre zu erweisen, die ihr gebührt.

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