Gesundheit

Coronavirus zombifiziert Zellen mithilfe von Tentakeln

Ist eine Zelle mit Sars-CoV-2 infiziert, wachsen aus ihr mit Viruspartikeln übersäte Tentakeln. Diese übertragen das Virus dann auf gesunde Zellen.

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Der Virus Sars-CoV-2 auf einer infizierten Zelle mit langen Filopodien.
Der Virus Sars-CoV-2 auf einer infizierten Zelle mit langen Filopodien.
Elizabeth Fischer, Miscroscopy Unit NIH/NIAID

Die neueste Erkenntnis klingt, als sei sie dem Script eines Horrorfilms entnommen. Doch sie stammt tatsächlich aus einer im Fachjournal "Cell" veröffentlichten Studie. In dieser war ein internationales Forscherteam um Mehdi Bouhaddou von der University of California in San Francisco (UCSF) der Frage nachgegangen, wie das neuartige Coronavirus sich so gut in unserem Körper ausbreitet.

Dabei stießen sie auf zwei Mechanismen, die dem Virus den Weg ebnen.

Außergewöhnliches Verhalten infizierter Zellen

Durch Umprogrammierung von menschlichen Proteinen verhindert Sars-CoV-2 einerseits "die Teilung menschlicher Zellen und hält sie an einem bestimmten Punkt im Zellzyklus fest", erklärt Co-Autor Pedro Beltrao, Gruppenleiter am EMBL (Europäisches Institut für Bioinformatik) in einer Mitteilung. Dadurch erhalte das Virus eine relativ stabile Umgebung, die es ihm erleichtere, sich weiter zu vermehren.

Andererseits wachsen aus einer mit Sars-CoV-2 infizierten Zelle lange, verzweigte, armähnliche Stränge, die mit Viruspartikeln besetzt sind – sogenannte Filopodien. Diese könnten dem Virus dabei helfen, gesunde Zellen zu erreichen, sie zu befallen und sie ebenfalls "zu zombifizieren", wie Latimes.com schreibt. Um diesbezüglich ganz sicher zu sein, so das Team um Bouhaddou, bedürfe es allerdings noch weiterer Studien.

Sollten diese die These der Forscher bestätigen, breitet sich das neuartige Coronavirus nicht nur anders aus als viele andere Viren, die sich über Zellreproduktion vermehren, sondern auch deutlich effizienter.

Tückisch dank Filopodien

Sars-CoV-2 ist nicht das einzige Virus, das sich mithilfe von Tentakel-ähnlichen Ausstülpungen weiterverbreitet. Auch das Vaccinia-Virus (siehe Bild), das zu den besonders gefährlichen Pockenviren gehört, geht diesen Weg, wie man seit 2008 weiß. Damals berichteten Forscher der ETH-Zürich im Fachjournal "Science", dass sich das Virus – als Zellabfall getarnt – entlang von Filopodien zu den noch gesunden Zellen hinbewegt und so in ihr Inneres gelangt, ehe die Immunabwehr das bemerkt.
Auch das HIV und einige Influenzaviren nutzen die Filopodien, um besser in Zellen einzudringen.

Das Vaccinia-Virus wandert entlang der Zellfäden zur Zelloberfläche.
Das Vaccinia-Virus wandert entlang der Zellfäden zur Zelloberfläche.
J. Mercer / Institut für Biochemie, ETH Zürich

Schnelle Virusweitergabe

Die Entdeckung, dass das Coronavirus infizierte Zellen zum Wachstum von Filopodien initiiert, lässt vermuten, dass es irgendwann in seiner Entwicklung mehr als eine Möglichkeit entwickelt hat, um sicherzustellen, dass es schnell von Zelle zu Zelle weitergegeben wird.

Das ist laut Nevan Krogan, Professor an der UCSF, der ebenfalls an der Studie beteiligt war, "unheimlich" – und für den Menschen problematisch. Denn ein schneller Anstieg infizierter Zellen erhöht typischerweise die Viruslast eines Opfers, es lässt sich krank fühlen und fördert die Übertragung des Virus auf andere Menschen.

Alte Medikamente, neue Therapieansätze

Die neuen Erkenntnisse sind jedoch nicht nur negativ: "Die ausgeprägte Visualisierung der ausgedehnten Verzweigung von Filopodien verdeutlicht einmal mehr, wie das Verständnis der Biologie hinter Virus-Wirt-Interaktionen mögliche Eingriffspunkte gegen die Krankheit aufzeigen kann", sagt Krogan in der Mitteilung.

Konkret heißt das: Die Forscher haben in Folge ihrer Studie Dutzende bereits zugelassene Medikamente ausmachen können, die verhindern könnten, dass Sars-CoV-2 menschliche Proteine zu seinem eigenen Nutzen umprogrammiert.

Sieben dieser Verbindungen – in erster Linie krebs- und entzündungshemmende Medikamente – zeigten in Laborexperimenten starke antivirale Eigenschaften. Diese haben gemäss Krogan "ein großes Potenzial zur Bekämpfung von Covid-19" – entweder allein oder in Kombination mit anderen Mitteln.