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"Cyberpunk 2077" im Test: Viel Licht, mehr Schatten

Nach all dem Hype kam die Ernüchterung: "Cyberpunk 2077" hat jede Menge technische Probleme. Doch darunter steckt ein großartiges Rollenspiel.

Heute Redaktion
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Keanu Reeves spielt Johnny Silverhand in "Cyberpunk 2077".
Keanu Reeves spielt Johnny Silverhand in "Cyberpunk 2077".
CD Projekt Red

Seit einiger Zeit hat es kein großes Blockbuster-Game mehr gegeben, das zum Start ein dermaßen zwiespältiges Bild abgibt. Einerseits sind Welt und Story von "Cyberpunk 2077" fantastisch ausgearbeitet, die Charaktere wirken wie echte Personen, die vielfältigen Charakteroptionen laden zum Experimentieren ein. Andererseits ist die technische Umsetzung auf manchem Plattformen inakzeptabel, sogar auf dem PC und Next-Gen-Konsolen kommt es immer wieder zu Fehlern, die das Spielerlebnis stören.

Keanu Reeves als digitaler Geist

Aber zunächst zurück zum Anfang: Night City im Jahr 2077. Der Spielcharakter mit dem simplen Namen "V" navigiert sich durch die gesellschaftlichen Untiefen der Metropole. Skrupellose Konzerne kontrollieren jeden Aspekt des menschlichen Lebens, Gewalt und Kriminalität stehen an der Tagesordnung. V kann Mann oder Frau sein, die Gestaltung des Aussehens liegt in der Hand des Spielers – und auch die Vorgeschichte darf in groben Zügen gewählt werden. Straßenkind, ehemaliger Karrierist, der dieses Leben aufgegeben hat, oder doch lieber Nomade aus den öden Badlands rund um Night City? Die Entscheidung sollte man sich nicht zu schwer machen, denn sie beeinflusst hauptsächlich den Einstieg ins Spiel sowie ein paar Dialogoptionen. Auch das Aussehen der Spielfigur tut – anders als der umfangreiche Editor suggeriert – nicht viel zur Sache. Man spielt ohnehin in der Ego-Perspektive und sieht V fast nie von außen.

Die Prämisse der Story: In Vs Kopf landet durch eine Reihe unglücklicher Verstrickungen ein mysteriöser Biochip, der das Geheimnis zur Unsterblichkeit bergen soll. Zudem lässt das Stück Hardware V den digitalen Geist des verstorbenen Musikers Johnny Silverhand sehen, gespielt von Keanu Reeves. Der Rockerboy ist nicht nur ein ziemlich schwieriger Zeitgenosse, der ohne Reeves’ Charisma wohl reichlich unsympathisch rüberkommen würde, sondern auch noch ein Terrorist, der vor Jahrzehnten eine Atombombe in einem Hochhaus zündete.

    Night City im Jahr 2077.
    Night City im Jahr 2077.
    CD Projekt Red

    Kurze Handlung

    Die Krux an der Sache: Der Biochip droht, V zu töten. V kann je nach Spezialisierung entweder mit brachialer Gewalt vorgehen und Gegner mit allerlei Knarren abschlachten, still und heimlich aus dem Hinterhalt agieren oder seine (oder ihre) Hacker-Fertigkeiten einsetzen, um die Technik der Feinde gegen sie zu richten. In der Praxis läuft es zumeist auf eine Mischung all dieser Elemente hinaus, wenn auch je nach Spieler in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Keines dieser Elemente ist zu 100 Prozent perfekt umgesetzt, im Gesamtverbund bietet das Game aber eine wunderbar vielseitige Werkzeugkiste, um die Aufgaben in Night City zu erfüllen.

    Zu tun gibt es nämlich viel in der futuristischen Stadt. Die Hauptstory selbst lässt sich in "nur" 20 bis 30 Stunden durchspielen, eine schöne Neuerung angesichts der heutzutage prominenten Open-World-Monster, die mit vielen mühsamen Systemen ihre Spielzeit auf 100 Stunden oder mehr strecken. "Cyberpunk 2077" erzählt seine Geschichte und nimmt sich dafür die Zeit, die es dafür braucht, nicht mehr, aber auch nicht weniger – zudem gibt es ohnehin mehrere Enden, je nachdem, welche Entscheidungen man im Spielverlauf getroffen hat.

    Erkunden erwünscht

    Schnurstracks dem Hauptpfad zu folgen, würde dem Game aber nicht gerecht werden. Denn CD Projekt Red spielt auch in "Cyberpunk 2077" seine große Stärke aus, die bereits in den "Witcher"-Games gelobt wurde: fantastisch geschriebene Nebenmissionen. Diese ergeben sich immer wieder nebenbei. Entweder man stolpert in der Welt über sie oder erhält optionale Aufträge von Charakteren, die man in der Haupthandlung getroffen hat. Daraus entspinnen sich manchmal komplette Questreihen, in denen man sogar Romanzen nachgehen kann. Aber egal, ob man den Nomaden hilft, sich gegen ihre Feinde zu wehren oder einfach nur den Blick auf einen sprechenden Getränkeautomaten frei macht, indem man einen Mistkübel aus dem Weg schiebt: Hinter jeder Aufgabe steckt eine große oder kleine Geschichte.

    Technisch mangelhaft

    Diese Storys tragen einen wesentlichen Teil dazu bei, dass "Cyberpunk 2077" eine dermaßen dichte Atmosphäre entwickeln kann. Blöd nur, dass sie vom unfertigen Zustand des Spiels immer wieder eingerissen wird. Das Game hätte ursprünglich im Frühling erscheinen sollen, wurde aber mehrmals verschoben. Offenbar nicht oft genug. Denn es gibt Probleme auf mehreren Ebenen. Die Versionen für PlayStation 4 und Xbox One sind praktisch unspielbar. Die Auflösung dümpelt irgendwo bei 720p herum, die Framerate geht trotzdem ständig in den Keller. Bei unter 20 FPS ist ein flüssiges Spielen einfach nicht möglich. CD Projekt Red hat sich bereits entschuldigt und bietet Rückerstattungen an.

    Auf PS4 Pro und Xbox One X läuft das Game schon besser, aber nur mit 30 FPS. Für Konsolenspieler gibt es derzeit das beste Erlebnis auf PS5 (60 FPS) und Xbox Series X (wahlweise 60 FPS oder 30 FPS mit leicht hochgeschraubter Grafik). Es handelt sich allerdings nicht um native Umsetzungen für die Next-Gen-Konsolen, hier läuft die Last-Gen-Variante mit einigen Verbesserungen. Die Updates mit Optimierungen für die neue Hardware sollen 2021 kommen. Doch selbst wenn auf PS5, Xbox Series X und dem PC die Grafik passt und das Game flüssig läuft: Die vielen Bugs und Glitches bleiben. Immer wieder hat das Spiel Aussetzer. Das können Dialoge sein, die sich überlappen oder gar nicht erst starten, plötzliche Tode, Anzeigefehler des Interface oder ganz einfach Abstürze. Die Entwickler haben große Updates für Jänner und Februar angekündigt. Es bleibt zu hoffen, dass das Spiel sich dann endlich "fertig" anfühlt. Derzeit macht "Cyberpunk 2077" eher den Eindruck, es handle sich um einen "Early Access"-Titel.

    Fazit

    Es gibt nichts zu Beschönigen: Der technische Zustand von "Cyberpunk 2077" ist im besten Fall mangelhaft (auf Next-Gen und dem PC), im schlechtesten katastrophal (PS4 und Xbox One). Das ist insbesondere deshalb ein Jammer, weil das Spiel an sich großartig ist. Wenn alles wie geplant funktioniert, handelt es sich bei Night City um eine der beeindruckendsten Spielwelten der letzten Jahre. Die Storys in der Stadt sind komplex, mitreißend und einfach interessant. Man hat enorme Freiheiten bei der Charaktergestaltung und wohl kaum jemand wird die gleiche Figur spielen. CD Projekt Red ist bekannt dafür, seine Spiele regelmäßig mit Updates zu unterstützen. Hoffentlich kann "Cyberpunk 2077" dadurch in Zukunft sein volles Potential entfalten. Ohne Fehler, mit denen die grandiose Atmosphäre gestört wird.

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