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Darum war der Vatikan so lange für die Todesstrafe

Heute Redaktion
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Papst Franziskus bei einer Rede im Circus Maximus in Rom am 11. August 2018.
Papst Franziskus bei einer Rede im Circus Maximus in Rom am 11. August 2018.
Bild: picturedesk.com

Seit dem 1. August 2018 lehnt der Vatikan die Todesstrafe entschieden ab. Vorher wurden sie in dem Gottesstaat verteidigt, auch mit religiösen Argumenten.

2015 redete Papst Franziskus den US-Parlamentariern ins Gewissen. In einer Rede vor dem Kongress sagte er, die Todesstrafe gehöre abgeschafft. Jedes Leben sei heilig. Die Gesellschaft könne nur davon profitieren, wenn diejenigen rehabilitiert würden, die wegen Verbrechen verurteilt worden seien.

Dabei wurde dieser Grundsatz aber selbst im Vatikan nicht in der Form gelebt: Im "Katechismus der katholischen Kirche" (Nr. 2267) hieß es damals, die Kirche schließe die Todesstrafe unter bestimmten Bedingungen nicht aus, wenn dies der einzige Weg sei, Menschen vor einem Aggressor zu schützen.

Erst drei Jahre später, am 1. August 2018 wurde dieser Passus geändert: "Deshalb lehrt die Kirche im Licht des Evangeliums, dass die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt."

"Du sollst nicht morden"

Aber hätte die katholische Kirche die Todesstrafe nicht schon lange ablehnen müssen? Schließlich betrachtet sie die Zehn Gebote der Bibel als verpflichtend, und das (nach katholischer Zählung) fünfte lautet, wie viele zu wissen glauben: "Du sollst nicht töten."

Doch hier liegt ein Missverständnis vor. Im Alten Testament wird nicht nur häufig, sondern auch mit gutem Gewissen getötet. So kann man etwa im 2. Buch Mose, Kapitel 32 nachlesen, wie Männer aus dem Stamm der Leviten dreitausend Israeliten niedermachen, weil sie um das Goldene Kalb getanzt sind und sich damit der Götzenverehrung schuldig gemacht haben. Moses kommentiert zufrieden: "Füllt heute eure Hände mit Gaben für den Herrn! Denn jeder von euch ist heute gegen seinen Sohn und seinen Bruder vorgegangen, und der Herr hat Segen auf euch gelegt." Es ist offensichtlich, dass das fünfte Gebot eigentlich mit "Du sollst nicht morden" wiedergegeben werden sollte.

Selbsttötung schlecht, Todesstrafe gut

Augustinus (354–430 n.Chr.) war der wohl wichtigste Theologe für den Katholizismus wie den Protestantismus. In seinem monumentalen Werk "Vom Gottesstaat" verurteilt er zunächst die Selbsttötung, weil sie angeblich gegen das fünfte Gebot verstößt.

Die Todesstrafe hält er aber für zulässig, wenn "nach den Gesetzen Gottes" Verbrecher mit dem Tod bestraft werden. Den Hintergrund dieser Äußerung dürfte die Lehre des Apostels Paulus bilden, dass man den Trägern der staatlichen Gewalt Gehorsam schulde, weil sie von Gott eingesetzt seien. Wenn die Obrigkeit also ein Gesetz erlässt, ist es als göttliches Gesetz zu betrachten und somit nicht zu kritisieren.

Todesstrafe als religiöses Ritual

Der französische Schriftsteller Albert Camus verfasste 1957 ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die Todesstrafe unter dem Titel "Réflexions sur la guillotine". Die Todesstrafe, heißt es dort, sei schon immer eine religiöse Strafe gewesen, "auferlegt im Namen des Königs, des Repräsentanten Gottes auf Erden".

Weil Christen an ein Leben nach dem Tod glauben, halten sie die Todesstrafe nicht für endgültig – Gott kann den Sünder immer noch im Jenseits begnadigen. Nur vor diesem weltanschaulichen Hintergrund, so Camus, könnten Hinrichtungen überhaupt gerechtfertigt werden.

Eine Stimme aus der Schweiz

Als Kronzeugen für diese Auffassung zitiert Camus einen Schweizer Nationalrat, den katholisch-konservativen Freiburger Eugène Grand. Dieser erklärte 1937 in einer Debatte, die Aussicht, hingerichtet zu werden, zwinge den Verbrecher dazu, in sich zu gehen und seine Untaten zu bereuen. Damit steige seine Chance, doch noch das ewige Leben zu erlangen. Dazu präsentierte er im Nationalratssaal das Schwert des früheren Henkers der Stadt Freiburg, auf dem "Seigneur Jésus, tu es le Juge" (Herr Jesus, du bist der Richter) zu lesen war.

"Der Tod ist keine große Sache"

Dass diese Art des Denkens auch im 21. Jahrhundert noch nicht ausgestorben ist, zeigt eine Äußerung von Antonin Scalia, einem 2016 verstorbenen Richter am US-amerikanischen Supreme Court.

2002 sagte er in Chicago: "Je christlicher ein Land ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es die Todesstrafe als unmoralisch betrachtet ... Ich führe das auf die Tatsache zurück, dass der Tod für den gläubigen Christen keine große Sache ist ... Nach Ansicht des Ungläubigen dagegen beendet man die Existenz eines Menschen, wenn man ihn des Lebens beraubt. Was für eine schreckliche Tat!" Man darf vermuten, dass er mit den "Ungläubigen" die Europäer meinte.

Sakrales Staatsverständnis

Angesichts dieser geistesgeschichtlichen Hintergründe kann es nicht erstaunen, dass es so lange gedauert hat, bis sich die katholische Kirche zu einer bedingungslosen Verurteilung der Todesstrafe durchringen konnte.

Wer immer noch an der Todesstrafe festhalten möchte, sollte über die folgenden Worte des Schweizer Philosophen Jean-Claude Wolf nachdenken: "In der Vergangenheit setzte Todesstrafe ein sakrales Staatsverständnis voraus. Zur Legitimation der Strafe wurde zumindest an die Einsetzung der Obrigkeit von Gott, dem einzigen befugten Richter, erinnerhalb. Die Grausamkeit und wilde Phantastik des mittelalterlichen Strafvollzugs ist nicht zu lösen vom christlichen Weltbild. Obwohl der Hinweis auf diese kulturhistorischen und religiösen Hintergründe kein niederschmetterndes Argument gegen die Todesstrafe impliziert, könnte er doch dazu dienen, ihre Anhänger selbstkritischer zu machen."

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