Hunderte Menschen haben am Sonntagabend in der Schweiz ihrer Enttäuschung über die Annahme der Initiative der SVP "Gegen Massenzuwanderung" mit spontanen Kundgebungen Luft verschafft. Zu größeren Demonstrationen kam es in Zürich, Bern und Luzern. Auch die EU zeigte sich prompt enttäuscht.
mit spontanen Kundgebungen Luft verschafft. Zu größeren Demonstrationen kam es in Zürich, Bern und Luzern. Auch die EU zeigte sich prompt enttäuscht.
In Zürich zogen rund 700 Personen vom Helvetiaplatz durch den Kreis 4 nordwestlich der Innenstadt, später riegelten Polizisten in Kampfmontur den Weg in die Innenstadt ab. Der Kundgebungszug sorgte vorübergehend für Verkehrsbehinderungen.
Die Demonstrantinnen und Demonstranten hätten sich weitgehend friedlich verhalten, teilte die Stadtpolizei Zürich mit. Einzelne hätten jedoch Feuerwerk gezündet, Fassaden besprayt und Steine gegen ein Gebäude geworfen. Der Sachschaden wird auf mehrere tausend Franken geschätzt.
"Ihre Schweiz - Unser Graus"
In Bern versammelten sich beim Bahnhof geschätzte 600 Personen zu einer Kundgebung. Dem Zug schlossen sich in der Stadt immer mehr Menschen an. Angeführt wurde der Demonstrationszug mit einem Transparent mit der Aufschrift "Ihre Schweiz - Unser Graus" angeführt. Darauf abgebildet war ein Hundehaufen, über dem das von der SVP mitunter als Logo verwendete "Sünneli" aufging.
"Wir schämen uns"
Auf ihrem Marsch durch die Berner Innenstadt skandierte die Menge lautstark antirassistische und antifaschistische Parolen. "Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall", war etwa zu hören. Hie und da knallten Feuerwerkskörper. Der Demonstrationszug zog zweimal vor dem Bundeshaus, dem Regierungs- und Parlamentsgebäude vorbei. Die Polizei hielt sich im Hintergrund. Zu Zwischenfällen kam es auch in Bern bis 21.00 Uhr nicht, nur war auch hier der Verkehr vorübergehend beeinträchtigt.
In Luzern versammelten sich rund 300 vorwiegend Jugendliche zu einer Kundgebung. "Wir schämen uns" oder "Bleiberecht für alle überall" war auf Transparenten zu lesen. Auch diese von der Polizei kurzfristig bewilligte Manifestation blieb friedlich.
EU ermahnt die Schweiz
Die Schweiz muss mit "Gegen Masseneinwanderung" rechnen: Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, ermahnte die Schweizer, sie könnten nicht nur die Vorteile des großen europäischen Binnenmarktes für sich in Anspruch nehmen.
"Wir können das nicht widerspruchslos hinnehmen", sagte auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok, dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Die EU-Kommission erklärte, sie bedaure den Ausgang der Volksabstimmung und werde "die Folgen dieser Initiative für die Gesamtbeziehungen analysieren".
Sie wies darauf hin, dass die sieben bilateralen Abkommen mit der Schweiz über Bereiche wie Freizügigkeit, Verkehr, Landwirtschaft, Forschung und öffentliche Ausschreibungen aus dem Jahr 1999 rechtlich miteinander verknüpft seien und nicht einzeln aufgekündigt werden könnten. Der Volksentscheid verletze das "Prinzip des freien Personenverkehrs".
Schweizer Wirtschaft besorgt
Der Erfolg der Initiative gegen "Masseneinwanderung" löste in der Schweizer Wirtschaft große Sorgen aus. "Wir werden jetzt in eine Phase der Unsicherheit einbiegen", sagte der Präsident des Schweizer Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt, im Schweizer Fernsehen. Unsicherheit sei für die Wirtschaft schlimmer als schlechte Nachrichten. Die stark exportorientierte Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie fürchtet nach Angaben vom Sonntagabend beträchtliche Nachteile im Handel mit der EU. Die Politik müsse alles daran setzen, das die Verträge mit der EU intakt blieben.
Die Schweiz wickelt den übergroßen Teil ihres Außenhandels mit der EU ab, ist aber selbst nicht Mitglied. Der Anteil der Ausländer in der Schweiz wird mit 23,5 Prozent (fast 1,9 Millionen) angegeben. Die Italiener liegen mit 291.000 vorne, knapp gefolgt von den Deutschen (284.200). Dahinter folgen Portugiesen (237.000) und Franzosen (104.000). Umgekehrt leben 430.000 Schweizer in EU-Staaten.
Die Schweizer hatten sich am Sonntag in einer Volksabstimmung überraschend dafür ausgesprochen, die Zuwanderung aus der EU zu begrenzen. Mit 50,3 Prozent fiel die Zustimmung für die Initiative der national-konservativen Schweizer Volkspartei (SVP) "Gegen Masseneinwanderung" denkbar knapp aus. Aus Enttäuschung über die Niederlage gingen in den Großstädten Zürich, Bern und Luzern am Abend Hunderte Menschen auf die Straßen, um weiterhin für eine offene Schweiz zu werben.
Lob erhielten die Schweizer Stimmberechtigten von den Rechtspopulisten und EU-Skeptikern für ihren Entscheid: Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders meinte zum Abstimmungsresultat via Twitter "fantastisch". Die Französin Marine Le Pen, EU-Parlamentarierin und Parteivorsitzende der rechtspopulistischen Front National twitterte: "Die Schweiz sagt Nein zur Masseneinwanderung, bravo! Wird die EU nun Panzer schicken?"
Die EU-kritische britisch UKIP (United Kingdom Independence Party) twitterte, ihr Chef und EU-Abgeordnete Nigel Farage habe das Resultat in der Schweiz als "wundervolle Neuigkeit für die nationale Souveränität" bezeichnet.
Die Regierung in Bern muss nun binnen drei Jahren das Ergebnis der Volksabstimmung umsetzen. Als assoziierter EU-Partner würde die Schweiz allerdings im Fall von Zuwanderer-Kontingenten gegen das Recht der Personenfreizügigkeit verstoßen.