Welt

Der teuflischste Erreger der Welt

1967 wurden in Marburg Menschen auf zunächst unerklärliche Weise todkrank. Schuld war ein Virus, gegen das bis heute kein Kraut gewachsen ist.

Heute Redaktion
Teilen
1/12
Gehe zur Galerie
    Im August 1967 erkrankten im deutschen Marburg innerhalb weniger Wochen mehrere Menschen an einer mysteriösen Infektion. Betroffen waren vor allem Mitarbeiter eines Labors. (Im Bild: die Universitätskirche)
    Im August 1967 erkrankten im deutschen Marburg innerhalb weniger Wochen mehrere Menschen an einer mysteriösen Infektion. Betroffen waren vor allem Mitarbeiter eines Labors. (Im Bild: die Universitätskirche)
    (Bild: Wikimedia Commons/Nikanos/CC BY-SA 2.5)

    Als im August 1967 ein schwer kranker Patient ins Marburger UniKrankenhaus gebracht wird, vermuten die Ärzte eine Sommergrippe. Doch die Symptome werden immer schlimmer und diffuser. Der nächste Kranke kommt, dann noch einer. Den Medizinern wird klar: Sie haben es mit einem gefährlichen und bis dahin unbekannten Feind zu tun.

    Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Auf die Spur kommt man ihm schließlich dort, wo die Krankheit ausgebrochen ist: in Marburg. Seitdem trägt das Virus, ein Verwandter des Ebola-Erregers, den Namen der Stadt.

    Mit Affen eingeschleppt

    "Dass ein Virus aus Afrika nach Deutschland eingeschleppt wird und dann hier Todesopfer fordert, war neu", sagt Stephan Becker, Virologe an der Universität Marburg. Für Versuche importierte Affen aus Uganda brachten ihn mit, und es waren insbesondere Labor-Beschäftigte, die sich infizierten.

    Das bringt die Immunfluoreszenz

    Bei dieser Methode werden Antikörper, die mit dem Erreger reagieren sollen, mit einem Farbstoff markiert. Wenn man sie dann mit UV-Licht zum Leuchten bringt, können die Strukturen des Erregers sichtbar gemacht werden – beispielsweise mit einem Immunfluoreszenz-Mikroskop.

    Das Ganze hatte aber auch etwas Gutes: "Der Ausbruch war die Initialzündung für das Verständnis von solch hochpathogenen Viren", sagt Becker. "Das Problem dieser Infektionen ist, dass das menschliche Immunsystem nicht darauf vorbereitet ist. Es reagiert falsch." Es könne diese Viren nicht interpretieren. "Dadurch reagiert das Immunsystem über. Das nennt man Zytokinsturm – es ist der Grund, warum Menschen daran sterben."

    So schlimm ist das Marburg-Virus

    Die Viren gehören laut WHO zu den gefährlichsten Krankheitserregern. Die Krankheit beginnt abrupt mit schlimmen Kopfschmerzen und grossem Unwohlsein. Zwischen dem 5. und 7. Tag kommt es oft zu schweren Blutungen aus allen Körperöffnungen sowie in den inneren Organen (hämorrhagisches Fieber).

    Hohes Fieber, Organversagen und Herz-Kreislauf-Beschwerden sind weitere Folgen. Es gibt weder Impfstoff noch Gegenmittel. Nur die Symptome können mit Medikamenten zur Stützung des Kreislaufs und des Gerinnungssystems gelindert werden. Der Anteil der Toten unter den Infizierten schwankt je nach Ausbruch zwischen 25 und 90 Prozent.

    31 Infizierte, sieben Tote

    Doch nicht nur in Marburg, sondern auch in Frankfurt und in Belgrad rangen 1967 Patienten um ihr Leben. Von den 31 Infizierten starben 7. "Es war eine unheimliche Situation. Man wusste ja zunächst nicht, wie die Infektion übertragen wird", erinnerhalb sich Werner Slenczka, der damals Forschungsassistent war und den Erreger schlussendlich identifizierte.

    Slenczka war zum Zeitpunkt des Ausbruchs in den Ferien und las in der "Bild" von der "Affen-Seuche" in Hessen. Dort ging die Angst um. Auch unter Wissenschaftlern. Deshalb wurde Ende August beschlossen, die Diagnostik-Arbeiten an Proben von Patienten sowohl in Marburg als auch in Frankfurt zu stoppen – aus Angst, die zentral gelegenen Labors könnten dazu beitragen, die Seuche zu verbreiten.

    "Das Material wurde eingefroren und an ausländische Institute geschickt, weil die Labors hier nicht für solch einen Erreger ausgerichtet waren. Wir hatten ja keine guten Schutzmöglichkeiten. Masken hatten wir und Handschuhe – aber das war ja nicht so wie heute."

    Nadel im Heuhaufen

    Die Situation entspannte sich allmählich: Im September seien die ersten Patienten aus dem Krankenhaus entlassen worden, so Slenczka. "Man stellte fest, dass keine bleibenden Schäden zu vermuten waren und es vor allem keine weitere Ausbreitung gab." Also sei die Suche nach dem Erreger in Marburg wieder aufgenommen worden.

    "Es war keine leichte Aufgabe. Es war die Suche nach der Nadel im Heuhaufen", sagt der heute 82-Jährige. Zudem sei es ein "ziemlicher Ritt über den Bodensee" gewesen. "Denn wir wussten nicht sicher, ob der Erreger durch unsere Methode inaktiviert wird."

    Die Methode, die zum Erfolg führte, war die Immunfluoreszenz (siehe Box). "Am 20. Oktober habe ich zum ersten Mal etwas unter UV-Licht im Mikroskop gesehen, wovon ich überzeugt war, dass es der Erreger ist. Es ist ein tolles Gefühl, etwas zu sehen, von dem man weiß, dass es noch nie zuvor jemand gesehen hat", erzählt Slenczka.

    Wichtig für die Viren-Forschung

    Der Feind war damit nicht nur identifiziert. Die Suche nach dem Erreger prägte Becker zufolge auch mmaßgeblich die weitere virologische Forschung in Marburg. Mittlerweile ausgestattet mit einem modernen Hochsicherheitslabor wird hier nicht nur an Marburg-Viren geforscht, sondern auch mit Lassa- oder Ebola-Viren.

    Marburger Wissenschaftler waren auch während der Ebola-Epidemie 2014 in Westafrika im Einsatz und sind an der Entwicklung eines Impfstoffes beteiligt.

    "Die Geschichte des Marburg-Virus ist nicht nur eine Geschichte der hochpathogenen Infektionen", betont Becker. "Es sagt auch sehr viel über unsere Umwelt und Gesellschaft aus." Etwa, dass wir auch heute noch sehr verletzlich solchen Infektionen gegenüber sind. Das habe der Ebola-Ausbruch 2014 gezeigt. "Und wenn dann solch ein Ausbruch da ist, ist das nicht nur ein Gesundheitsproblem. Dann wird es auch zu einem politischen Problem, weil ganze Regionen plötzlich instabil werden." (fee/sda)