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Deutscher "Rockefeller" ist des Mordes schuldig

Heute Redaktion
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Bild: Walt Mancini (San Gabriel Valley Tribune)

Mit zusammengepressten Lippen steht Christian Karl Gerhartsreiter vor der Richterbank, den Blick durch die randlose Brille starr nach vorne gerichtet. Hier, im siebenten Stock eines klobigen Hochhauses in der Innenstadt von Los Angeles, nimmt die unglaubliche Geschichte des schmächtigen Mannes aus der bayerischen Provinz eine weitere Wendung.

Der Hochstapler ist seit Mittwoch auch ein verurteilter Mörder - wegen einer Tat, die fast 30 Jahre zurückliegt. Gerhartsreiter nimmt den Schuldspruch nahezu regungslos auf. Nach Angaben seiner Anwälte will er das Urteil anfechten. Die zwölf Geschworenen brauchten nur etwas mehr als einen Tag, um in dem spektakulären Prozess ihre einstimmige Entscheidung zu treffen. Mehr als 40 Zeugen hatte die Staatsanwaltschaft vorgeladen, 160 Beweisstücke vorgelegt, um Gerhartsreiter den Mord am Sohn seiner früheren Vermieterin nachzuweisen.

Die Anklage konnte dabei nicht mit Augenzeugen oder DNA-Spuren aufwarten, sondern stützte sich lediglich auf Indizien. Im Februar 1985 hatte sich Gerhartsreiter im Gästehaus einer älteren Dame in einem wohlhabenden Vorort von Los Angeles einquartiert. Der Deutsche nannte sich damals Christopher Chichester und träumte von einer Karriere als Filmproduzent in Hollywood. Auf dem Anwesen lebten auch John und Linda Sohus - der Sohn der Vermieterin und dessen Ehefrau, die spurlos verschwanden.

Zerstückelte Leiche entdeckt  

Neun Jahre später entdeckte der neue Besitzer des Grundstücks beim Bau eines Schwimmbeckens hinter dem Gästehaus die zerstückelte Leiche von John Sohus. Gerhartsreiter hatte sich zu diesem Zeitpunkt fernab von Los Angeles wieder neu erfunden. Mit Fabelgeschichten verschaffte er sich Zugang zu besten Kreisen in New York, trat dabei als Spross des legendären Rockefeller-Clans auf. Sogar die Frau, die er Mitte der 90er Jahre heiratete und mit der er eine Tochter hat, täuschte er über seine wahre Identität.

In den vergangenen drei Wochen fügte Staatsanwalt Habib Balian die vielen Puzzlestücke im Gerichtssaal zu einer Theorie zusammen, in der Gerhartsreiter als kaltblütiger Mörder erscheint. Auch die bis heute vermisste Linda Sohus soll der Deutsche demnach auf dem Gewissen haben - wenngleich er dafür nicht angeklagt war. Zufrieden tritt Balian dann am Mittwoch auch vor die Presse. "Wir haben dem System und den Geschworenen vertraut", sagt er. "Sie haben die Beweise gehört und ein faires und gerechtes Urteil gefällt."

Seit Jahren im Gefängnis, jetzt droht lebenslang  

Gerhartsreiter sitzt bereits seit mehr als vier Jahren im Gefängnis, ein Gericht im Bundesstaat Massachusetts hatte ihn 2009 wegen der Entführung seiner Tochter verurteilt. Im Sommer wäre die Strafe abgelaufen, doch nun droht dem Deutschen lebenslänglich. Das Strafmaß soll am 26. Juni bekanntgegeben werden. Sein Mandant habe mit einem Freispruch gerechnet, spricht Gerhartsreiters Verteidiger Brad Bailey nach dem Urteil in die Fernsehkameras. "Er ist enttäuscht und besteht weiter auf seiner Unschuld." Bailey und sein Kollege Jeffrey Denner haben während des Verfahrens argumentiert, dass die verschollene Ehefrau Linda als Täterin mindestens ebenso gut in Frage komme.

Doch die Geschworenen folgten der Anklage - vielleicht auch, weil Staatsanwalt Balian in seinem Schlussplädoyer am Montag die Jury mit einer forschen Argumentation samt Powerpoint-Präsentation fesseln konnte. Gerhartsreiters ergrauter Anwalt Denner wirkte bei seinem Plädoyer dagegen bisweilen wie ein leicht verwirrter Professor.

Angeklagter wirke nicht gerade "sympathisch"

Nach dem Schuldspruch sagt Denner, dass Gerhartsreiters betrügerische Vergangenheit eine schwere Bürde gewesen sei. Der Hochstapler wirke nicht gerade "sympathisch". "Aber das bedeutet nicht, dass er ein Mörder ist", betont der Strafverteidiger.

Zu der Urteilsverkündung ist auch John Sohus' Stiefschwester Ellen gekommen. "Es ist endlich vorbei", sagt sie im Flur vor dem Gerichtssaal. Allerdings will Gerhartsreiter den Schuldspruch nicht hinnehmen. Der Fall könnte noch jahrelang durch die Instanzen gehen.