Nahost-Experte klärt auf

Die Attacke stellt die Autorität der Hisbollah infrage

Der Mossad wird beschuldigt, Hunderte Pager im Libanon sabotiert zu haben. Der Angriff verletzte Hunderte. Dazu Nahost-Experte Andreas Böhm.

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Die Attacke stellt die Autorität der Hisbollah infrage
Die mutmaßlich koordinierten Explosionen von Pagern im Libanon mit Tausenden Verletzten und mehreren Toten schüren die Sorgen vor einem größeren Krieg zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz.
IMAGO/Xinhua

Im Libanon explodierten zeitgleich Hunderte Funkempfänger. Der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad ist nach Informationen der "New York Times" verantwortlich für den verheerenden Angriff. Israel hat aber bislang offiziell keine Verantwortung übernommen. Dazu Nahost-Experte Andreas Böhm.

Herr Böhm, anonymen US-Beamten zufolge war der Angriff ein Jetzt-oder-nie-Moment für Israel. Was steckt dahinter?
Israel hat aber bislang offiziell keine Verantwortung übernommen. Direkt nach der Aktion gab es zwei Erklärungsmuster: Erstens könnte es sich um eine vorbereitende Maßnahme handeln, die dazu diente, Hisbollah-Kämpfer auszuschalten und den Weg für eine größere militärische Operation zu ebnen. Hunderte, vielleicht sogar Tausende Kämpfer hätten so vor einem bevorstehenden israelischen Militäreinsatz neutralisiert werden können.

Die zweite Möglichkeit ist, dass der Plan aufzufliegen drohte und deshalb sofort umgesetzt werden musste. Aus dem Libanon hört man, dass die Hisbollah Verdacht schöpfte, weil Unregelmäßigkeiten bei den Pager-Systemen auffielen. Gemäß dieser Interpretation führte Israel den Angriff durch, bevor die Hisbollah die Pager deaktivieren konnte. In diesem Fall hätte Israel nach dem Prinzip gehandelt: Lieber jetzt zuschlagen als gar nie.

Wenn dem so wäre: Warum konnte die Hisbollah den Angriff nicht rechtzeitig verhindern, wenn sie schon Verdacht schöpfte?
Das deutet darauf hin, dass die Hisbollah stark vom israelischen Geheimdienst infiltriert ist. Die Attacke kam sehr schnell, nachdem erste Verdachtsmomente auftraten. Sobald sich der Verdacht innerhalb der Hisbollah verdichtete, musste Israel handeln, selbst auf die Gefahr hin, langfristige militärische Optionen aufgeben zu müssen. Das zeigt, wie effizient der israelische Geheimdienst arbeiten kann und dass er in der Lage ist, seine Gegner auf ihrem eigenen Territorium zu überwachen und zu treffen. Die Pager-Lieferkette konnte wohl bereits vor Monaten infiltriert und dann sabotiert werden, um eine solch gezielte Operation durchführen zu können.

Wie bewerten Sie diese Form der Kriegsführung?
Es ist eine äußerst unkonventionelle Art der Kriegsführung, die eher substaatlichen Akteuren wie Milizen oder Terrororganisationen zugeschrieben wird – also zum Beispiel der Hisbollah. Es mag paradox klingen: ein Terrorakt gegen eine Terrororganisation. Israel hat die Hisbollah hier mit ihren eigenen Mitteln geschlagen. Völkerrechtlich ist dieser Angriff problematisch, da man den Ablauf nicht kontrollieren konnte und bewusst in Kauf genommen hat, Zivilisten zu töten. Es gab Berichte über Explosionen in Supermärkten, wo Menschen verletzt oder getötet wurden, die nichts mit der Hisbollah zu tun hatten.

In welcher Form wurde die Hisbollah durch die Attacke geschwächt?
Die Hisbollah wurde in mehrfacher Hinsicht schwer getroffen. Zunächst einmal wurde durch den Angriff eine beträchtliche Anzahl ihrer Kämpfer außer Gefecht gesetzt – vorübergehend oder auch dauerhaft. Zusätzlich wurden ihre Kommunikationswege empfindlich gestört. Die Tatsache, dass die Hisbollah Pager benutzte, zeigt, dass der israelische Geheimdienst bereits stark in das Mobilfunknetz eingedrungen ist. Die Hisbollah hatte ihre Kämpfer gezwungen, weniger moderne Technologie zu nutzen, um sie vor der Überwachung zu schützen. Doch auch dieses System konnte Israel infiltrieren. Nun muss sich die Hisbollah neu organisieren und alternative Kommunikationswege finden, was Zeit und Ressourcen kosten wird.

Welche Auswirkungen hat der Angriff auf die Handlungsfähigkeit der Hisbollah?
Die Hisbollah ist nicht nur eine Miliz, sondern auch eine Art Mafia. Sie fordert Loyalität von ihren Anhängern, sorgt aber gleichzeitig für deren Wohlergehen und Sicherheit. Wenn nun jedoch Hunderte oder gar Tausende ihrer Kämpfer durch diesen Angriff getroffen wurden, stellt das die Autorität der Hisbollah infrage. Die Botschaft des Angriffs lautet: Israel kann die Hisbollah tief im Inneren verletzen. Das hat einen starken psychologischen Effekt auf die Kämpfer und Anhänger der Hisbollah, die jetzt um ihre Sicherheit fürchten müssen.

Die Hisbollah hat einen Vergeltungsschlag angekündigt. Welche Reaktion ist in den nächsten Wochen zu erwarten?
Die Hisbollah steckt in einem Dilemma. Sie hat seit letztem Oktober Kämpfer verloren, darunter ihren militärischen Anführer. Sie ist eigentlich gezwungen, zu reagieren, möchte aber einen richtigen Krieg unter allen Umständen vermeiden, da sonst dem Libanon, der ohnehin am seidenen Faden hängt, der Todesstoß versetzt und die Hisbollah dafür verantwortlich gemacht werden würde. Wie kann eine Reaktion aussehen, die Wirkung zeigt und gleichzeitig keine größere Eskalation auslöst? Davon hängt die weitere Entwicklung in der Region ab.

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    Starpix / picturedesk.com

    Auf den Punkt gebracht

    • Der Mossad wird beschuldigt, Hunderte Pager im Libanon sabotiert zu haben, was zu zahlreichen Verletzten und Toten unter den Hisbollah-Kämpfern führte
    • Dieser Angriff stellt die Autorität der Hisbollah infrage, da er ihre Kommunikationswege empfindlich störte und ihre Handlungsfähigkeit beeinträchtigte, während gleichzeitig die psychologische Wirkung auf ihre Anhänger erheblich ist
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