Wien

"Die Computer-Sucht hat mein Leben zerstört"

Übergewicht, Drogen, Obdachlosigkeit: Die Geschichte von Peter Z. gleicht einem Hollywood-Film. Er sagt: Es begann mit der Mediensucht.

Heute Redaktion
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"Nichts in der Außenwelt konnte mir das geben, was die Welt im Computer mir gab", sagt Peter Z. Er litt unter einer massiven Computer-Sucht, die Auswirkungen auf sein ganzes Leben hatte.
"Nichts in der Außenwelt konnte mir das geben, was die Welt im Computer mir gab", sagt Peter Z. Er litt unter einer massiven Computer-Sucht, die Auswirkungen auf sein ganzes Leben hatte.
Helmut Graf

Er ist erst 25 Jahre alt und hat in seinen jungen Jahren schon weitaus mehr erlebt, als so mancher Mann im hohen Alter. "Mich kann nichts mehr umhauen", lacht Peter Z. (Name von der Redaktion geändert) im Gespräch mit "Heute". Sein Gesicht zeigen möchte er nicht - zu sehr verfolgt ihn seine Vergangenheit noch heute.

Wenn die Außenwelt zum Störfaktor wird

Als Peter Z. mit zehn Jahren seinen ersten Computer bekam, war die Freude groß. Mobbing in der Schule, die Scheidung der Eltern, der Vater Alkoholiker: Die Welt im Flimmerkasten bot dem Jungen eine Fluchtmöglichkeit aus der tristen Realität. Aber was als harmloses Hobby begann, nahm schon bald ein gravierendes Ausmaß an. "Alles in meinem Leben hat sich verändert", erinnert er sich zurück. Aus einer Stunde täglich wurden schon bald mehrere, die Schule trat immer mehr in den Hintergrund. Der frühere 1er-Schüler musste die Klasse wiederholen. "Ich nutzte jede Gelegenheit, um zuhause zu bleiben, habe eine Krankheit vorgetäuscht oder geschwänzt", erzählt Z.

Tag und Nacht saß er am PC, der Kontakt zur Außenwelt wurde zum Störfaktor, das Gerät nahm immer mehr Platz in Z.s Leben ein. Das hatte auch körperliche Folgen. Die Augen litten unter dem ständigen Medienkonsum, eine Brille musste her. Der Rücken war verkrümmt, die Waage zeigte jede Woche mehr Kilos an - bis sie schließlich schon auf 190 kg stand. Nach der Pflichtschule wurde das Spielen am Computer zu Peter Z.s einziger Beschäftigung: Weiterbildende Schulen oder Ausbildung kamen nicht in Frage. "Ich war stark übergewichtig, faul und auf dem geistigen Level eines 12-Jährigen. Eigentlich war ich ein einziger Vollidiot. Und das obwohl ich weiß, dass ich intelligent bin und Potential in mir steckt", so der heute 25-Jährige.

"Wollte nur zurück zu meinem Spiel": Erste Therapien scheiterten

Z.s Umfeld empfahl ihm, er solle sich psychologische Hilfe holen. "Ich war bei verschiedenen Psychologen und Psychiatern. Geholfen hat das alles nichts", erzählt er. "Es war für mich einen Termin, den ich absitzen musste, damit andere Ruhe geben. Ich habe die ganze Zeit nur daran gedacht, wann ich wieder zu meinem Spiel kann. Das Spiel war meine Familie. Dort fühlte ich mich wohl und angenommen. Nichts in der Außenwelt hätte mir das geben können." Hinzu kommt: Zur Jugendzeit von Peter Z. war Computer-Sucht noch kein so großes Thema wie heute. "Therapeuten waren dahingehend nicht geschult und haben mich behandelt wie einen Casino-Süchtigen. Das hat gar nichts gebracht."

Dann der nächste Schlag: Die Mutter erkrankte plötzlich schwer. Diagnose: Krebs - unheilbar. Der süchtige, übergewichtige Junge ohne Ziele im Leben musste nun auch noch jemanden pflegen. "Ich lernte Kleinigkeiten, wie zu kochen und den Haushalt zu machen." Als die Mutter starb, war der Junge völlig überfordert. "Der Mietvertrag von Mamas Wohnung war ausgelaufen, ich hatte kein Geld mehr. Also zog ich auf die Straße." Ein halbes Jahr lang war Z. obdachlos und völlig auf sich allein gestellt - ohne Geld, ohne Ausbildung. "Die Mutter tot, Vater Alkoholiker, Großeltern auch schon verstorben, keine Freunde. Ich war ganz allein", sagt er leise.

Mit "Heute" sprach Peter Z. über seine bewegte Vergangenheit, die ihn nicht loslässt.
Mit "Heute" sprach Peter Z. über seine bewegte Vergangenheit, die ihn nicht loslässt.
Helmut Graf

Zeit, um den Tod der Mutter und all die anderen Ereignisse zu verkraften, blieben dem damals 23-Jährigen nicht. "Ich war damit beschäftigt zu überleben." Der Gedanke, irgendwie durch den Tag zu kommen, trieb Z. während der Zeit der Obdachlosigkeit in die Hände falscher Freunde. "Sie meinten: 'Schluck das, dann geht es dir besser' und ich tat es." Z. nahm Drogen, verbrachte einen Großteil seiner Zeit im Park mit seinen neuen Bekanntschaften. "Da wurde mir bewusst: Ich muss endlich etwas aus meinem Leben machen. Damals erkannte ich das, was ich auch noch heute predige: Schulbildung ist das Wichtigste!" Z. rappelte sich auf und schrieb sich an einer Schule ein, um die verlorenen Jahre aufzuholen, lernte nachmittags an öffentlichen Computern. Nachts schlief er auf der Straße.

Therapie, Arbeit und Lehre: Ein neues Leben für Peter Z.

Und tatsächlich: Der junge Mann schaffte den Hauptschulabschluss und steht heute vor einer neuen Zukunft. Mit Hilfe einer Waisenpension und einer Menge Vertrauen seitens der Vermieterin konnte er nun auch wieder eine Wohnung beziehen. Die Kilos waren während der Zeit auf der Straße gepurzelt. Z. ist heute ein fitter, 25-jähriger Mann, der sich von seiner dramatischen Geschichte nicht unterkriegen lässt. Dass er seine Vergangenheit nicht von einem Tag auf den anderen auslöschen kann, ist dennoch klar. In der Therapie arbeitet er an seiner Computersucht. 

"Ich bin kein Opfer mehr!"

Warum er seine Geschichte öffentlich preisgibt, hat vor allem einen Grund: "Ich will anderen zeigen, es gibt noch einen anderen Ausweg, als den Suizid. Ich weiß, wie hart das Leben sein kann. Aber man kann sich aus allem herauskämpfen. Das will ich zeigen und damit anderen Mut machen." Mut machen kann er anderen auch im Zuge der Selbsthilfegruppe "Mediensucht" der Sigmund Freud Universität Wien, an der Z. regelmäßig teilnimmt. Er sagt: "Meine Geschichte hat mich verändert. Aber das Leben bietet mir eine neue Chance. Ich bin kein Opfer mehr und nehme mein Glück selbst in die Hand."

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