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Die ersten Gen-Zwillinge sorgen für Entsetzen

Die Nachricht, dass erstmals genmanipulierte Babys zur Welt gekommen sind, klingt nach Sensation, ist laut Experten aber eine Katastrophe.

Heute Redaktion
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Die Kunde, dass der chinesische Forscher He Jiankui die ersten gentechnisch veränderten Babys erschaffen hatte, sorgte für einen riesigen Aufschrei. Kritiker sprachen von "GAU", "Wahnsinn", "unverantwortlichen Menschenversuchen" oder dass die "Büchse der Pandora" geöffnet worden sei.

Die Hochschule von He Jiankui gab an, sie hätte nichts von dem Vorhaben gewusst, und nahm sein Profil vom Netz. Sein Handeln sei eine "ernsthafte Verletzung akademischer Ethik und Normen". Das chinesische Wissenschaftsministerium hat die sofortige Einstellung der Forschungen veranlasst. Schon am Mittwoch hatte He angekündigt, die Experimente vorerst auszusetzen.

Woher kommt die große Empörung?

Es stößt sauer auf, dass weder Hes Hochschule noch das Krankenhaus Kenntnis von seinem Tun hatten. Laut "China Daily" hat He auch keine Genehmigung der Behörden eingeholt. Das Versäumnis kritisieren Experten wie Robin Lovell-Badge vom Londoner Francis Crick Institute als intransparent.

Martin Jinek – Wegbereiter der Genschere

Der gebürtige Tscheche, der am Biochemischen Institut der Universität Zürich arbeitet, war maßgeblich an der Entwicklung von Crispr/Cas9 beteiligt: Jinek hat von 2007 bis 2012, damals noch als Postdoc an der University of California in Berkeley, die Grundlagen für die neue Technologie gelegt.

Im Labor von Jennifer Doudna untersuchte er als Erster die Funktion des bakteriellen Eiweißes Cas9 und erkannte ­dessen Potenzial. Jinek war auch Erstautor jenes Aufsatzes im Fachjournal "Science", der im August 2012 den Crispr-Hype so richtig lostrat.

Zudem wird Hes Tempo kritisiert. Laut Wolfram Henn von der Universität des Saarlandes wurden – sollten die Behauptungen stimmen – "Jahrzehnte an Sicherheitsforschung einfach übergangen". Das sieht auch Martin Jinek von der Universität Zürich so, der an der Entwicklung der Genschere Crispr/Cas9 beteiligt war (siehe Box): "Die Technik ist zwar ausgereift, aber niemand weiß, welche Langzeitfolgen die Anwendung bei menschlichen Embryonen hat."

Weiter monieren die Experten, dass He eine heikle Grenze überschritten hat: "Die DNA der Zwillinge wurde so verändert, dass die Modifikationen – die gewollten und gegebenenfalls unabsichtlich herbeigeführten – an die nächste Generation vererbt werden können – mit unklaren Folgen", sagt Nikola Biller-Andorno, Leiterin des Instituts für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich. Ihr Kollege Jinek ergänzt: "Das ist wirklich etwas, das nicht getan werden sollte."

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Warum gelten die Experimente als "unethisch"?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Hier wurden zwei Kinder ungefragt instrumentalisiert, wie Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, zu "Deutschlandfunk Kultur" sagte. Man hat die Babys einem unkalkulierbaren und dazu unnötigen Risiko ausgesetzt.

Unklar ist weiter, wie der Forscher die Familien rekrutiert hat. Es gibt Hinweise, dass er den Paaren nicht die ganze Wahrheit erzählt haben soll. So soll auf den Einverständniserklärungen lediglich von einer HIV-Impfung die Rede gewesen sein. Zudem soll den Probanden eine kostenlose Kinderwunschbehandlung versprochen worden sein. "Sollte das stimmen, wäre das verwerflich", so Biller-Andorno.

Kritisiert wird auch, dass He nicht einen defekten Embryo repariert, sondern einen potenziell gesunden zu optimieren versuchte. "Er hat ein Gen ausgeschaltet, das die meisten Menschen besitzen", erklärt die UZH-Ethikerin. Zwar sind jene, die es nicht haben, eher HIV-resistent. Allerdings, so Biller-Andorno, seien Menschen ohne dieses Gen "anfälliger gegenüber anderen Infektionskrankheiten wie dem West-Nil-Virus".

Stimmen Hes Behauptungen überhaupt?

Sicher sagen kann das niemand, der nicht an den Experimenten beteiligt war. Belege gibt es nicht. Allerdings trauen viele Forscher He diese Leistung zu – auch Jinek: "Ausgehend von dem, was er an einer Konferenz in Hongkong präsentiert hat, halte ich Hes Behauptungen für realistisch." Doch um sicher zu sein, braucht es DNA-Tests. Auf diese wartet auch Biller-Andorno. Denn es "hat schon öfters derartige Ankündigungen gegeben, die sich dann als unwahr erwiesen haben".

Was wird mit den gentechnisch veränderten Kindern?

Schwer zu sagen. "Wir wissen nicht, ob es noch unentdeckte, nicht zielgerichtete Veränderungen an anderer Stelle im Genom dieser Babys gibt oder was es bedeutet, dass nicht alle Zellen im Körper die gleichen Modifikationen haben", sagt Jinek. "Ich hoffe wirklich das Beste – es kann auch schrecklich schiefgegangen sein."

Kann so etwas auch hierzulande geschehen?

Nein, diese Art der Forschung ist hierzulande verboten, genauso wie in all jenen Ländern, die die Bioethikkonvention des Europarats ratifiziert haben.

Was muss passieren, damit so etwas in dieser Form nicht wieder vorkommt?

Direkt nach der Bekanntgabe Hes kamen erste Forderungen nach einer Überwachungsinstanz auf. Dabrock beispielsweise regte die Schaffung einer Behörde "analog zur Internationalen Atomenergie-Behörde" an.

Ob das der richtige Weg wäre, bezweifelt Biller-Andorno. Ihr zufolge funktioniere die interne Kontrolle in der Wissenschaft "gar nicht so schlecht", wie der weltweite Aufschrei zeige. Jetzt ginge es darum, sich auf globale Mindeststandards zu einigen. Laut Jinek müssten diese lauten, keine Genomeditierung in der menschlichen Fortpflanzung vorzunehmen, weil die Veränderungen dann vererbt werden können.