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"Die USA sind eine Weltmacht im Niedergang"

Die Entscheidung, die Antifa als Terrororganisation einzustufen, spiele Rechtsextremisten in die Hand, sagt Sicherheitsexperte Peter Neumann im Interview. Mit Trump an der Spitze sieht er für die USA schwarz.

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    Das US-Militär hat nach eigenen Angaben rund 1600 Soldaten auf Militärstützpunkte rund um Washington verlegt, um die Sicherheitskräfte in der Hauptstadt angesichts der anhaltenden Proteste bei Bedarf unterstützen zu können.
    Das US-Militär hat nach eigenen Angaben rund 1600 Soldaten auf Militärstützpunkte rund um Washington verlegt, um die Sicherheitskräfte in der Hauptstadt angesichts der anhaltenden Proteste bei Bedarf unterstützen zu können.
    Reuters

    Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd kommt es in zahlreichen US-Staaten zu heftigen Protesten. Nun hat US-Präsident Donald Trump am Sonntag bekanntgegeben, dass er die Antifa zur Terrororganisation erklären will.

    Peter Neumann: Das ist ein Ablenkungsmanöver, mit dem Trump demonstrieren will, dass es erstens einen identifizierbaren Drahtzieher für die Tumulte gibt und zweitens, dass er mit starker Hand harte Maßnahmen gegen die Urheber ergreift. Tatsächlich ist aber weder das eine, noch das andere der Fall.

    "Es besteht die Gefahr, dass sich daraus eine bürgerkriegsähnliche Situation entwickelt."

    Wie meinen Sie das?

    Bei den Protesten in den USA mischen viele Gruppen mit: Linke Strömungen, die Trump kollektiv als Antifa verschreit, soziale Bewegungen der Minderheiten wie etwa "Black Lives Matter" und auf der anderen Seite die weißen Nationalisten, Verschwörungstheoretiker und Milizen. Keine dieser Gruppen orchestriert die Proteste alleine. Seit dem Tod von George Floyd versuchen viele dieser Organisationen, ihren Einfluss zu vergrößern und ihre Bewegung zu stärken. Dadurch werden sehr viele Leute von allen Seiten in den Konflikt miteinbezogen. Und daher besteht meiner Meinung nach die Gefahr, dass sich daraus eine bürgerkriegsähnliche Situation entwickelt.

    Wie kommt Trump dazu, der Antifa die Schuld für die Proteste zu geben?

    Trump hat nur umgesetzt, was die extremen Rechten – die Alt-Right – schon lange forderten. Die Rechtsextremen feierten heute die Entscheidung Trumps auf ihren Telegram-Kanälen. So hat sich etwa auch Martin Sellner, der Chef der rechtsradikalen Identitären Bewegung in Österreich, lobend dazu geäußert. Und gleich die Forderung gestellt, dass man die Antifa auch in Österreich, Deutschland und der Schweiz als terroristische Organisation definieren sollte.

    Die Antifa – also eine sehr lose Bewegung von Antifaschisten, die nicht hierarchisch organisiert sind – ist den Rechtsextremen schon seit langem ein Dorn im Auge. Denn das sind die Leute, die dann auftauchen, wenn die extreme Rechte demonstriert und die zum Teil gewaltsame Auseinandersetzung mit den Rechten auch nicht scheut. Die sind also durchaus bereit, sich zu prügeln. Leute wie ich sind aus dem Grund keine großen Fans der Antifa, aber das bedeutet nicht, dass sie terroristisch sind.

    "Es sagt viel aus, dass Trump die Augen vor dem rechtsextremen Terror verschließt, die Antifa jetzt aber zur Terrororganisation erklärt."

    Welche Konsequenzen hat Trumps Entscheidung?

    Das weiß man noch gar nicht genau. Es existiert eine Liste von ausländischen, nicht aber von inländischen Terrororganisationen. Trump hatte sich bis jetzt immer dagegen gewehrt, dass eine solche Liste erstellt wird – wahrscheinlich, weil es unter seiner Präsidentschaft oft zu rechtsextremistisch motivierten Terroranschlägen gekommen ist. Und Trump wehrt sich dezidiert dagegen, Abstand von extremen Rechten oder von Rassisten zu nehmen. So behauptete er etwa, dass die rassistisch motivierten Anschläge in San Diego und El Paso von verrückten Einzeltätern begangen worden seien. Und beim Umzug von Charlottesville 2017 sprach er sogar von "sehr guten Menschen", die da mitmachten.

    Trumps Administration müsste also internationale Bezüge herstellen, um behaupten zu können, dass es sich bei der Antifa um ein internationales Netzwerk handelt und die Antifa in den USA ein Ableger davon ist. Es sagt viel aus, dass Trump die Augen vor dem rechtsextremen Terror verschließt, die Antifa jetzt aber zur Terrororganisation erklärt. Wenn man die Bedrohungslage und die Situation im Land anschaut, müsste es genau umgekehrt sein.

    Zur Person
    Peter Neumann ist Professor für Sicherheitsstudien am King's College in London und ist Gründer und Direktor des "International Centre for the Study of Radicalisation" (ICSR).

    Welchen Einfluss hat Trumps Rhetorik auf die Proteste?

    Bis auf einige Tweets hat sich Trump noch nicht wirklich dazu geäußert. Es wird aber gemunkelt, dass er eine Ansprache halten soll. Meiner Meinung nach wäre es besser, wenn er nichts sagt. Die ganze Logik seiner Präsidentschaft basiert auf der Spaltung der Gesellschaft. Seine Zustimmung beruht darauf, dass er zuspitzt, polarisiert, die Gräben vertieft. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass er in der Lage ist, die Situation wieder zu beruhigen. Im Gegenteil: Ich könnte mir vorstellen, dass er eine Rede hält, die eher noch Öl ins Feuer gießt und die Konfrontationen noch weiter anheizt. Trump ist keine Figur, die eint. Trump ist ein Brandbeschleuniger.

    Lässt sich auch die Polizei von dieser Rhetorik beeinflussen?

    Die lokalen Polizisten unterstehen nicht direkt Trump. Aber sie sind sehr schlecht ausgebildet und wurden in den letzten Jahren extrem militarisiert und aufgerüstet. Teils erhielten sie ganze Equipment-Ladungen von zurückkehrenden Truppen aus dem Irak oder Afghanistan geschenkt. Auch der Ethos der Polizisten ist soldatisch geworden. Die Beamten verstehen sich nicht mehr als Nachbarschaftspolizisten, sondern als Art Robocop.

    Hinzu kommt, dass es seit Jahren erhebliche Spannungen zwischen der Polizei und vor allem schwarzen Communities gibt. Schwarze werden in Situationen erschossen, wo Weiße höchstens eine Verhaftung befürchten müssten. Wenn man auf diese explosive Mischung die Rhetorik Trumps draufpackt, in der er die Polizisten dazu ermutigt, richtig draufzuhauen, dann ist das zumindest einen Teil einer Erklärung, wieso die Polizisten in den USA derart gewaltsam gegen Demonstrierende vorgehen.

    "So sieht es also aus, wenn Rom brennt."

    Die USA sind eine wirtschaftliche, technologische und militärische Supermacht. Auf der anderen Seite ist die soziale Ungleichheit und Spaltung extrem groß. Ist die Wut, die sich momentan auf Amerikas Straßen entlädt, ein Vorbote für die Zukunft?

    Das ist natürlich die Frage. Aber mit Trump an der Spitze sehe ich für die USA schwarz. Wenn man jetzt die Bilder aus Washington ansieht, lassen sie nur einen Schluss zu: Dass die USA eine Weltmacht im Niedergang sind. So sieht es also aus, wenn Rom brennt.

    Ich glaube nicht, dass Trump in der Lage ist, das Ende aufzuhalten. Er beschleunigt es vielmehr eher noch. Der einzige Weg aus der Krise wäre, dass Trump abgewählt wird. Jedoch ist die Sorge bei vielen groß, dass die Situation bis November noch weiter eskaliert und Trump dann die Wahlen verschiebt. Man darf nicht vergessen, dass in den USA über 300 Millionen Waffen in Privatbesitz sind. Und dass vor allem die extrem Rechten und Verschwörungstheoretiker wie etwa QAnon scharf bewaffnet sind und nur auf eine Bürgerkriegssituation warten, in der sie "ihren Mann" Trump verteidigen können. Als Präsident müsste man in einer solchen volatilen Lage extrem vorsichtig agieren. Genau das traue ich Trump aber nicht zu.

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